„Die EZB hat ein Problem mit Demokratie“
Der Europaabgeordnete Fabio de Masi über die Europäische Zentralbank, den IT-Konzern Verizon und die Kontrolle sensibler Daten.
„Herr Draghi leakt und es stört ihn nicht“, schrieb der EU-Parlamentarier Fabio De Masi von der Linkspartei vor einigen Tagen als Antwort des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) auf eine Anfrage zur Zusammenarbeit mit dem US-Telekommunikationskonzern Verizon: „Ich darf als frei gewählter Abgeordneter marktsensible Informationen der EZB zum Banken-Stresstest nur unter strikter Geheimhaltung einsehen, aber die EZB hat einen völlig unbekümmerten Umgang mit Wirtschaftsspionage“, kritisierte der Europaabgeordnete. Telepolis fragte nach.
Die Europäische Zentralbank (EZB) arbeitet nach Ihren Informationen trotz Kritik weiter mit dem US-amerikanischen Telekommunikationskonzern Verizon zusammen. Was stört Sie daran?
Fabio de Masi: Verizon arbeitet als einer der größten US-Mobilfunkanbieter mit dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) zusammen. Auch der britische Geheimdienst GCHQ führt Verizon als „Kronjuwel“ bei der Informationsbeschaffung. Der Whistleblower und ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden ist überzeugt, dass Verizon Wirtschaftsspionage betreibt. EZB-Präsident Mario Draghi hat mir in einem Brief nun persönlich bestätigt, dass er dennoch weiter mit Verizon arbeiten möchte.
Welche Hinweise gibt es denn für eine fehlende Vertrauenswürdigkeit von Verizon?
Fabio de Masi: Es existiert eine Anordnung eines US-Geheimgerichts …
… des Foreign Intelligence Surveillance Court …
Fabio de Masi: … wonach Verizon alle Telefondaten an die NSA abzutreten hat. Das Dokument trägt den Vermerk „Top Secret/Noforn“. Das heißt, es sollte auf gar keinen Fall in die Hände von Ausländern gelangen. Laut CNN wurden selbst die Telefonverbindungen von US-Präsident Barack Obama von Verizon abgeschöpft. Der Konzern erhielt für seine Dienste in 2013 über 46 Millionen US-Dollar von der NSA.
Der Deutsche Bundestag hat den Vertrag mit dem Unternehmen zum Jahresende gekündigt und schon vor Wochen den Datentransfer über Verizon gekappt. Hätte die EZB diese Option auch?
Fabio de Masi: Selbstverständlich. Die EZB entscheidet autonom darüber, an wen sie Aufträge vergibt.
Welche Daten laufen Ihres Wissens nach denn über die Server von Verizon?
Fabio de Masi: Draghi hat erklärt, dass nur Internetdienste wie der E-Mail-Verkehr und Business Continuity Services – also etwa das Katastrophenmanagement bei einem Shutdown der EZB-Computer – betroffen seien. Telefondienste seien nicht betroffen. Beruhigt Sie das? Mich nicht.
Welches Interesse haben Datenräuber an der EZB?
Fabio de Masi: Die EZB ist als Zentralbank die Herzkammer des EU-Finanzsystems. Ihre Entscheidungen bewegen Märkte. Sie ist vielleicht der mächtigste politische Akteur in Europa. Umso schlimmer, dass sie keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Zumal sie auch mit der Bankenaufsicht befasst ist. Die EZB ist wahrscheinlich die einzige Bank, in die selbst ein Hedgefonds-Manager gerne einbrechen würde. Sie ist von der Menge der Daten her das Fort Knox der Informationen – nur eben viel, viel schlechter gesichert.
Eine starke Behauptung …
Fabio de Masi: … die durch die jüngsten Entwicklung aber doch belegt wird: Erst vor wenigen Wochen haben Hacker die EZB erfolgreich attackiert. Sie haben E-Mails und Daten gestohlen. Das ist übrigens genau der Bereich, den Verizon betreut. Das kommt eben davon, wenn man Diebe als Wachschutz engagiert.
Sie haben in einer Erklärung Informationen über sogenannte Banken-Stresstests angesprochen. Worum geht es dabei?
Fabio de Masi: Die EZB soll zur Vorbereitung der Bankenunion die Bilanzen europäischer Banken auf Herz und Nieren prüfen. Ich selbst darf als gewählter Europa-Abgeordneter bestimmte Dokumente zu diesen Stresstests nur unter Aufsicht lesen und mir keine Notizen machen. Wenn ich über die Informationen spreche, mache ich mich strafbar. Das wird unter anderem damit begründet, dass sonst Panik an den Märkten ausbrechen könnte oder Banken Schaden im Wettbewerb nehmen könnten. Aber wenn die NSA mitliest, weil Herr Draghi die Informationen sozusagen leakt, ist das offenbar kein Problem.
Wie erklären Sie sich das Vorgehen des EZB-Chefs?
Fabio de Masi: Zentralbanken unterliegen als Kreditgeber der Banken und Chef-Aufseher permanenten Interessenkonflikten. Herr Draghi ist ein ehemaliger Goldman-Sachs-Boy. Die sind so unabhängig wie die BILD-Zeitung in Deutschland überparteilich ist. Die EZB hat ja etwa bei der vermeintlichen Euro-Rettung in Irland darauf bestanden, dass die Eigentümer und Gläubiger von Schrott-Banken wie Anglo Irish von den irischen Steuerzahlern freigekauft werden. Auch die Deutsche Bank wurde als Gläubiger von Zombie-Banken und Krisenstaaten rausgehauen und wäre sonst von Insolvenz bedroht. Und bis heute konnte die Bank of England Vorwürfe nicht ausräumen, dass sie Barclays dazu ermutigt hat, die Interbankzinsen, Libor, zu manipulieren, damit Barclays besser dasteht oder eben, um einer Verstaatlichung zu entgehen.
Für Zentralbänker sind Abgeordnete, die gegen die Finanzlobby kämpfen, offenbar ein größeres Sicherheitsrisiko als Wirtschaftsspione. Aber im Unterschied zur NSA wurde ich immerhin von ein paar Leuten in Deutschland gewählt. Die EZB hat daher offenkundig ein Problem mit der Demokratie.
Wie hat EZB-Chef Mario Dhragi auf Ihre Anfrage reagiert? A; Ungewöhnlich. Der an mich adressierte Brief wurde umgehend auf der Homepage der EZB veröffentlicht und selbst über den Twitter-Account der EZB verbreitet. Diese Art der Transparenz ist für die EZB unüblich, zumal bei einem Schreiben an einen einfachen Abgeordneten. Der Brief erreichte mich in der Ferienzeit kurz nach „Feierabend“. Ich vermute die EZB wollte hierdurch verhindern, dass es eine exklusive Berichterstattung gibt. Ich habe sofort reagiert. Aber der Nachrichtenwert ist für eine Zeitung dann hoch, wenn es noch nicht über die Agenturen läuft. Tatsächlich hatte eine große deutsche Tageszeitung ursprünglich Interesse an der Story. Es steht also eins zu null für Draghi. Aber die Verlängerung läuft.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Sie nun noch?
Fabio de Masi: Ich werde das Thema in geeigneter Form im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments thematisieren. Schließlich haben auch Abgeordnete anderer Fraktionen die Zusammenarbeit mit Verizon kritisiert. Sie müssen jetzt deutlich machen, wo sie stehen. Wir werden auch gegenüber der Kommission nachhaken. Und ich werde mich mit Bundestagsabgeordneten der Linkspartei in Deutschland beraten, damit die Bundesregierung reagiert. Sie hat schließlich selbst Verizon gekündigt. Herr Draghi wird von mir hören. Das ist der Beginn einer wunderbaren Brieffreundschaft.