TISA verhindern!
Das geheim ausgehandelte »Dienstleistungsabkommen« dient privatem Profit. Es ist kriminell und ein Angriff auf die Demokratie.
Von Constantin Braun und Fabio De Masi. Der Artikel erschien am 1.Juli 2014 in der jungen Welt.
Die Tory-Regierung versprach den Briten in den 90er Jahren, sie könnten nach der Privatisierung der Bahn über Aktien Eigentümer des Unternehmens werden. Ein Bahnarbeiter bemerkte dazu, dies leuchte ihm nicht ein. Wozu solle er etwas verkaufen, das seine Großväter und Großmütter mit ihrem Schweiß bezahlt hätten und ihm ohnehin gehöre, um es dann zurückzukaufen? Vielleicht liegt es daran, daß Privatisierung aus dem Lateinischen kommt und im ursprünglichen Sinne »privare« auch mit rauben übersetzt werden kann? Der italienische Mafia-Enthüller Roberto Saviano hat darauf hingewiesen, daß Privatisierung und organisierte Kriminalität siamesische Zwillinge seien. In Neapel wird das Militär gerufen, weil die Stadt im Abfall versinkt – und Giftmüll im Boden Krebs zur Volkskrankheit macht.
Öffentliche Dienste eignen sich hervorragend für Beschaffungskriminalität internationaler Konzerne. Denn sie stehen für etwa ein Viertel des EU-weiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) und beschäftigen rund 65 Millionen Menschen. Seit Sommer 2013 treffen sich daher die Unterhändler der EU-Kommission, der USA und rund 20 weiterer Staaten regelmäßig in der australischen Botschaft in Genf. Sie verhandeln ein Abkommen zur Liberalisierung des Dienstleistungssektors (Trade in Services Agreement; TISA) und nennen sich nicht frei von Ironie »really good friends of services« (wirklich gute Freunde der Dienstleistungen). Die »guten Freunde« repräsentieren zusammen etwa 70 Prozent des weltweiten Handels mit Dienstleistungen. Daher kann TISA als noch umfassender und mächtiger gelten als die umstrittenen Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA).
Die aktuellste TISA-Verhandlungsrunde fand vergangene Woche statt. Natürlich geheim. Wikileaks veröffentlichte vor gut zwei Wochen Dokumente aus dem Frühjahr 2014, die nahelegen, daß TISA auch die letzten Regeln auf den internationalen Finanzmärkten beseitigen könnte und das gemeinnützige Modell Sparkasse untergrabe. Überdies wünschen die USA weitgehenden Zugriff auf Bankdaten ausländischer Staatsbürger.
Eine Studie des Internationalen Dachverbandes der Gewerkschaften für Öffentliche Dienste (PSI) schlägt Alarm: Wenn ein Land nicht explizit einen Wirtschaftsbereich ausnimmt, müssen die Vertragsparteien einander Marktzugang gewähren. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion beteuert, daß die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen nicht das Ziel der TISA-Verhandlungen sei. Gleichzeitig schließt die Bundesregierung aber nicht aus, daß private Unternehmen aus TISA-Vertragsländern Subventionen für Dienstleistungen vom Staat erhalten. Der private Gefängnisbetreiber erhielte dann etwa genauso hohe Zuschüsse wie das öffentliche Gefängnis und würde mit ihm in Konkurrenz um »Aufträge« treten. Träte TISA in Kraft, wären mitunter alle Rekommunalisierungen (zum Beispiel von Krankenhäusern oder Energienetzen) in Sektoren für die keine Ausnahme von TISA beantragt wurde zukünftig unmöglich. Der erfolgreiche Volksentscheid zum Rückkauf der Hamburger Energienetze wäre ohne TISA-Ausnahme demnach unwirksam.
Das Dienstleistungsabkommen könnte auch moderne Sklaverei über internationale Leiharbeit fördern und das Völkerrecht der Arbeitswelt – die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – endgültig verschrotten. Denn mit TISA drohen Regelungen, wonach sich ausländische Beschäftige in allen Vertragsländern nur für die Dauer einer Arbeit aufhalten dürfen und nach erledigter Arbeit in ihre Heimatländer zurückkehren müssen. Die Arbeitsbedingungen könnten die des Herkunftslandes sein. Das Herkunftslandprinzip hat sich bereits im Rahmen des EU-Binnenmarktes »bewährt«, um Beschäftigte um niedrigste Löhne konkurrieren zu lassen. Arbeitsbedingungen wie auf den WM-Baustellen in Katar, wo seit 2012 alleine 450 indische Arbeiter den Tod fanden, würden unter Umständen globalisiert.
Dies offenbart, wie radikal die Mächtigen heute sind und ein Wirtschaftsregime errichten, das selbst Papst Franziskus kürzlich »als nicht mehr zu ertragen« geißelte. TISA soll für Konzerne zu Gold machen was uns gehört. Eigentum schafft wirtschaftliche Macht und wirtschaftliche Macht ist politische Macht. Man denke daran wie Google bereits heute bestimmt was wir wissen, kennen und denken sollen, oder wie Energiekonzerne die Energiewende bzw. die Verhinderung des Klimawandels sabotieren. Daher ist der Kampf gegen TISA ein Kampf um die Demokratie.
Es gibt somit nur eine Antwort: Nein zu TISA. Die Verhandlungen müssen sofort eingestellt und alle Dokumente veröffentlicht werden. Die EU-Kommission will Europa indes weiter an die Konzerne verkaufen. Das Europäische Parlament darf bei Handelsverträgen nur Ja oder Nein stimmen – ohne Einfluß auf die Verhandlungen. Daher ist es wichtig, wie bei TTIP und CETA auch eine Befassung der nationalen Parlamente einzufordern. Denn es handelt sich offenbar um ein gemischtes Abkommen, das in einzelstaatliche Hoheitsrechte eingreift. Dann besteht die Chance mehr Druck zu machen und die Wahrscheinlichkeit, daß TISA in einem EU-Mitgliedsstaat scheitert, steigt. Selbstverständlich läßt sich das geplante Abkommen nur durch den Druck von Gewerkschaften und Straße stoppen. Machen wir den Mächtigen – frei nach Francis Ford Coppolas »Pate«) – ein Angebot, das sie nicht ablehnen können.
Constantin Braun ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter von Fabio De Masi
Fabio De Masi ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments (DIE LINKE)