Debatte um das Bundestagswahlprogramm der Partei DIE LINKE
Beiträge der Delegation DIE LINKE im Europäischen Parlament
Bundestags- und Europawahlen sind inhaltlich nicht zu trennen. Die Europapolitik steht ganz oben auf der Themenliste und wir brauchen als LINKE von Anfang an konsistente Aussagen, die letztlich beiden Wahlkämpfen standhalten müssen. Deshalb melden wir uns mit eigenen Beiträgen zu den inhaltlichen Grundlagen der Bundestagswahlen.
Dafür spricht, dass die Bundestags- und Europawahlen in zeitlicher Nähe stattfinden werden. Auf Beschluss der Fraktionsvorsitzenden des Europaparlaments ist der Wahltermin für die Europawahlen nicht der Juni 2014, sondern der 22. bis 24. Mai 2014. Für einige Bundesländer bedeutet dies, dass die Europawahlen erstmals als einzelne Wahl (sonst mit Kommunalwahlen zeitgleich) stattfinden werden. Wichtig ist deshalb eine engmaschige Kooperation mit dem Parteivorstand.
Die Erfahrungen von uns Europaabgeordneten können und sollen 2013 abgerufen werden, in den Ländern, aber eben auch auf Bundesebene. Denn bei aller Themenvielfalt, der wir in Brüssel und Strassburg nachzukommen haben, haben die Bundestagswahlen absolute Priorität. Unsere Büros werden die Zeitplanung auch darauf einstellen, konkret unsere Kompetenzen für Europafragen zur Verfügung zu stellen.
In der Folge stellen wir Euch die Beiträge der einzelnen Abgeordnetenbüros vor und hoffen mit diesen einen Beitrag zur Erstellung der Wahlprogramme leisten zu können. In den einzelnen Beiträgen sind in der Regel die Schwerpunkte benannt, die aus unserer Sicht im kommenden und den darauf folgenden Jahren Themencluster identifizieren, mit den wir uns, mit den sich die Gesellschaft in der Europäischen Union und darüber hinaus auseinandersetzen muss und wird.
Die Reihenfolge der Beiträge stellt keine Qualifizierung dar, Überschneidungen und Doppelungen sind möglich.
Thomas Händel/ Frank Puskarev
Solidarität statt Konkurrenz
Überlegungen zu ganzheitlichen europäischen Modellen politischer und wirtschaftlicher Steuerung
Wir erleben derzeit eine beschleunigte und immer autoritärere Krisenbewältigungsstrategie, die mit Kürzung der Arbeits- und Sozialeinkommen, Spardiktaten und dem verordneten Ausverkauf öffentlichen Eigentums geradewegs in die wirtschaftliche Rezession führt. Nicht nur die Länder Südeuropas sind von einer wirtschaftlichen Talfahrt erfasst; auch in den bisher prosperierenden Staaten sind die Auswirkungen dieser verheerenden Austeritätspolitik bereits spürbar.
Europa droht in wirtschaftlicher Depression und sozialer Ungleichheit zu versinken. Die Arbeitslosenquote lag im August 2012 bei 10,5 Prozent und markiert damit den höchsten Stand seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft. Gerade junge Menschen sind von den Folgen der Krise betroffen. In diesem Bereich ist die Quote wesentlich höher, europaweit bei 22,7 Prozent, im krisengeschüttelten Griechenland sind gar mehr als die Hälfte aller jungen Menschen ohne Job. Insgesamt rund 14 Mio. junge Menschen unter 30 in Europa, denen man eine vernünftige Perspektive und Lebenschancen verwehrt. Armut ist nicht mehr nur ein Randgruppenthema, Armut kommt gerade in der Mitte der Gesellschaft an.
Europa braucht dringend einen radikalen Politikwechsel, will man vermeiden in einem wirtschaftlichen, sozialen und, so steht zu befürchten einem politischen Desaster zu enden. Die Beispiele von Ungarn, Griechenland und anderen Ländern weisen die Richtung, in die es gehen kann und wird.
Angesichts der Dimensionen reicht es allerdings nicht, ein rein die Konjunktur stimulierendes Programm aufzulegen und im Übrigen einfach weiter zu machen wie bisher. Auch die simple Forderung nach einer „Wirtschaftsregierung“ ist, bleibt sie auf der Basis der bisherigen Verfasstheit der EU, nichts weiter als die Forderung nach einem neuen Türschild für eine weitere neoliberale Institution. Längerfristige integrierte Wachstums- und Entwicklungsperspektiven sind für ein zukunftsweisendes Konzept für Europa unverzichtbar.
Notwendig ist die Entwicklung eines integrierten Konzeptes demokratisch kontrollierter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklung für Europa, das bestehende Elemente von Industrie- und Dienstleistungspolitik, von Struktur- und Kohäsionspolitik einschließt, auf ihnen aufbaut und sie in wesentlichen Teilen ergänzt.
Will man dauerhaft weg von einem Konkurrenz-Europa zu einem Solidaritäts-Europa resp. einem Ausgleichseuropa, sind zusätzliche Elemente einer starken wirtschaftspolitischen Koordinierung und Steuerung erforderlich, die nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der ins Hintertreffen geratenen Länder wieder „an das Feld heranbringt“, sondern darüber hinaus und in erster Linie soziale Gerechtigkeit, gute Arbeit und gleichwertige Lebensverhältnisse schafft und transformatorischen Charakter im Sinne neu zu entwickelnden gesellschaftlichen Zusammenlebens entfaltet.
Dazu gilt es, Ansätze einer alternativen, beschäftigungsorientierten und demokratisch kontrollierten Konzeption weiter zu entwickeln. Bausteine dafür gibt es an vielen Stellen, nur müssen diese eben auch zusammengefügt, miteinander verknüpft und zu einem integrierten Ganzen entwickelt werden.
Überschussländer müssen durch die Stärkung der Massenkaufkraft mittels offensiver Tarifpolitik und der Erhöhung der Sozialeinkommen zu einer Verringerung der Exportüberschüsse beitragen. Es braucht eine konsequente dauerhafte Regulierung von Außenhandelsüberschüssen und -defiziten, ohne die eine Lösung nicht denkbar wäre. Sie sind ein wesentliches Problem der innereuropäischen Wirtschaftsungleichgewichte, die auf Dauer zu einer Selbstzerstörung der europäischen Integration führen würden.
Eurppa muss zu einer „Ausgleichsunion“ werden. Diese stellt darauf ab, auch die Länder mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen für die Herstellung und Einhaltung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts in Verantwortung zu nehmen. Nach kurz- und mittelfristig zulässigen Exportschwankungsbreiten müssen bei langfristig überhöhten Leistungsbilanzüberschüssen Sanktionen in Form von Strafzahlungen fällig, die dann einem Fonds zufließen sollen, dessen Aufgabe „die Förderung eines auf den Ausgleich der Leistungsbilanzen gerichteten Strukturwandels in Überschuss- und Defizitländern“ wäre.
Dazu müssten Investitionsprogramme aufgelegt werden, die die Verschuldung nicht weiter erhöhen. Diese müssten durch die Europäische Union im Rahmen der im Weiteren skizzierten Entwicklungsfonds finanziert werden. Das würde nach Berechnungen des IMK zu einer deutlichen Erhöhung des Wachstums und damit erheblich zu einer längerfristigen Verringerung der Verschuldung beitragen. Dazu braucht es aber „… eine deutliche wirtschaftspolitische Umorientierung im gesamten Euroraum“.
Die von Rat, Parlament und Kommission installierten neuen Verfahren zur Reduzierung der wirtschaftlichen Ungleichgewichte der Euroländer, verkauft als Instrumente zur Anpassung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, beschneiden dagegen essenzielle Rechte von Gewerkschaften und Arbeitnehmern und werden von uns abgelehnt. .
Die EU muss sich auf ihren eigenen Vertragsverabredungen z.B. aus § 3 EUV und § 151 AEUV mit der Verpflichtung zur Sozialstaatlichkeit und langfristigen Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse besinnen. Das wäre nur durch die Neudefinition europäischer Entwicklungsmodelle zu erreichen. Die Entwicklung einer industriellen Basis, die auf gleicher Augenhöhe zwischen den entwickelten kapitalistischen Zentren Europas Handel treibt bzw. miteinander konkurriert, ist aber weder ökonomisch vorstellbar noch in Bezug auf eine nachhaltige Verbrauchs- und Rohstoffpolitik wünschenswert. Niemand hielte wohl für Griechenland die Entwicklung einer Automobil- oder Maschinenbauindustrie auf deutschem oder, etwas abgeschwächt, auf französischem Niveau für realistisch. Einige Länder werden wohl noch sehr lange auf Importe von Investitionsgütern angewiesen sein. Sie in die Lage zu versetzen, diese ohne Staatsverschuldung mit eigenen Einkommensquellen – Gütern und Dienstleistungen mit Handels- respektive Marktpotential – zu finanzieren, wäre die Aufgabe einer integrierten europäischen Wirtschafts- , Finanz- und Industriepolitik, die ihre eigenen Vertragsverpflichtungen ernst nimmt.
Denk- und machbar wäre eine europäische Clusterpolitik im Sinne der Zusammenarbeit von miteinander verbundenen Unternehmen, Zulieferern, Dienstleistern und Forschungsstellen. Diese gibt es auf regionaler und nationalstaatlicher Ebene schon lange. Ihre Stärken wurden aber bisher politisch nur eben auf dieser Ebene gefördert. Sie haben damit auch zur Konkurrenz von Volkswirtschaften (nicht nur) auf europäischer Ebene beigetragen. Ihre Vorteile bei der gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und Fachwissen für Unternehmen, Beschäftigte und Regionen auch auf europäischer Ebene zu nutzen wäre ein weiteres Instrument, eine ausgeglichenere Industrie- und Handelsentwicklung zu fördern. Dazu wären nicht nur bessere Informationen über nationalstaatliche verfasste Stärken in den europäischen Mitgliedsstaaten, eine bessere Synergieentwicklung bereits auf europäischer Ebene vorhandener und die Entwicklung neuer Förderungsansätze wie auch eine gemeinsame Steuerung derartiger Entwicklungsprozessen nötig. Sie nicht nach Austeritätsprinzipien zu konditionieren, sondern nach sozialen, beschäftigungspolitischen und nachhaltigen Kriterien erfordert aber ein anderes, demokratisch kontrolliertes Modell einer Europäischen Wirtschaftslenkung – und das Primat demokratischer Politik.
Ein integriertes Konzept demokratisch kontrollierter wirtschaftlicher Zukunftsentwicklung für Europa mit Elementen von Industrie-, Dienstleistungs-, Struktur- und Kohäsionspolitik kann und darf sich jedoch nicht auf die Energiewende alleine beschränken. Aufgabenfelder wie die Modernisierung der europäischen Verkehrsinfrastruktur, Investitionen in Bildung und Ausbildung, Förderung von altersgerechten Infrastrukturen und Wohnens sowie den Ausbau von öffentlicher Daseinsvorsorge muss ein künftiger Zukunftsentwicklungsplan umfassend abdecken. Die Verantwortung Europas als globaler Akteur hat vielschichtige Implikationen. Die umfassende Berücksichtigung dieser muss kennzeichnender Bestandteil eines ganzheitlichen Ansatzes sein und auch damit diese Konzeption von anderen Vorschlägen abgrenzen.
Eine aktive staatliche Industrie- und Dienstleistungspolitik ist erforderlich, um De-Industrialisierung zu verhindern und Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, im Handel und in anderen Dienstleistungsbereichen zu sichern. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung mit ihrer konsequenten Orientierung an Wachstumsgrößen steht im Gegensatz zu den öffentlichen Interessen unserer Gesellschaft. Eine Abkehr vom neoliberalen Kurs führt keinesfalls zum Stillstand technologischer Entwicklung. Ein ausgeklügeltes industriepolitisches Konzept muss vielmehr grundlegende Anforderungen, z.B. nach mehr sozialer Gerechtigkeit, Partizipation, Ökologischem Umbau und nachhaltige Friedenspolitik abdecken, sodass die Menschen in der europäischen Gesellschaft sich damit identifizieren können.
Ein solches Konzept darf nicht als neuer „grüner Kapitalismus“ entwickelt werden. Ohne klare Strukturen einer demokratischen Beteiligung und Steuerung liefe die künftige Entwicklung lediglich auf den alten Gleisen kapitalistischer Profitmaximierung, während die Interessen der Betroffenen, der Kommunen und Regionen, der Beschäftigten und Verbraucher allenfalls zweiter Sieger blieben. Deshalb muss die Gesellschaft auf allen Ebenen beteiligt werden und Instrumente z. B. der Rekommunalisierung, der Gründung von Genossenschaften oder die Bildung von Energiebeiräten in ein Zukunftsprogramm für Europa einfließen.
Zweifellos: akut kommt es darauf an, die richtigen Maßnahmen zur Re-Regulierung der Finanzmärkte und der Stabilisierung der Realwirtschaft rasch umzusetzen. Parallel dazu bedarf es einer umfassenden strategischen Neuausrichtung, um aus der Krise ohne Katastrophe für die realwirtschaftliche Entwicklung und damit für die Arbeits- und Lebensbedingungen herauszukommen.
Dazu ist ein Ausgleich zwischen den Mitgliedstaaten unabdingbar. Er muss auf einem ökonomisch soliden Fundament stehen. Die Akzeptanz der EU durch die Menschen, insbesondere einer stärkeren Integration hängt wesentlich von einer demokratischen Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik ab. Sie muss eine nachhaltige und ökologische wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung fördern. Wir entscheiden: wie wir künftig in Europa leben und arbeiten wollen.
Gute Arbeit, hohe soziale Sicherheit und nachhaltige ökologische und ökonomische Entwicklung wären Prämissen und Prädikate für ein europäisches Zukunftsmodell für das es zu werben gälte. Auf europäischer Ebene impliziert dies auch das Werben für andere gesellschaftliche und damit im Resultat politische und schlussendlich parlamentarische Mehrheiten. Und nur mit Initiativ- und Kontrollrechten des Europaparlaments, klarer Kompetenzverteilung zwischen nationalen Parlamenten und Europäischen Parlament, einer Kontrollfunktion des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen sowie von nationalen Egoismen weitgehend befreiten Legislativ- und Exekutiv-Institutionen wäre ein solches Konzept auch nachzuhalten. Ein solches Konzept gilt es auch und gerade für den heute schon absehbaren Verfassungsprozess[i] zu entwickeln, der gesellschaftlichen Linken als Angebot zu unterbreiten und dafür als Europäische Linke einzustehen. Ohne ein schlüssiges, glaubwürdiges und dadurch überzeugendes Konzept der Linken für Europa besteht die Gefahr, dass das autoritäre Regierungseuropa zur Durchsetzung neoliberaler und neokonservativer Politik, letztlich zur Wahrung der Interessen des Kapitals verfestigt wird.
Jürgen Klute / Hanna Penzer
ANMERKUNGEN IM HINBLICK AUF DAS
EUROPAPOLITISCHE „VORWAHLKAMPFJAHR“ 2013
BRIEFING FÜR PARTEIVORSTAND
Das Europäische Parlament: Schon jetzt verstehen, worum es bei den Europawahlen geht!
Um im Europawahlkampf sowohl kämpferisch als auch kompetent aufzutreten, macht es Sinn, die Kompetenzen des Europäischen Parlaments präsent zu haben. Nur so können wir Wählern und Wahlkämpfern klar machen, welche Forderungen kurzfristig über Wahlerfolge im Europa- und Bundestagswahlkampf, und welche nur mittelfristig über Vertragsänderungen erreichbar sind.
Was in der gerafften Berichterstattung in den Medien oft untergeht: Im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik beispielsweise ist das EU-Parlament längst kein Federgewicht mehr! Das EU-Parlament muss dem EU-Haushalt zustimmen. Es ist vollwertiger Mitentscheider in allen Fragen der Banken- und Finanzmarktregulierung.
Mitentscheidung – was heißt das noch gleich? Vergleichen wir das Gesetzgebungsverfahren der EU mit der Küche einer großen Wohngemeinschaft: Gleich wie viele Köche mitmischen dürfen, zu Beginn geht nichts vorbei an den Beamten der EU-Kommission. Sie alleine dürfen nach den EU-Verträgen entscheiden, welche Themenfelder neu geregelt werden sollen. Legt sie einen Vorschlag für die Neuregelung, etwa des Derivatehandels vor, verhandeln in der Folge EU-Abgeordnete und Finanzminister, welche Regeln konkret gelten sollen. Lassen die Kommissare den Dosenöffner im Schrank, bleiben allen weiteren Köchen die Hände gebunden. Im Mitentscheidungsverfahren braucht eine neue Verordnung (unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten geltendes Recht) oder eine neue Richtlinie (verpflichtet die Mitgliedsstaaten, eigene Gesetze zu erlassen und gibt inhaltliche Vorgaben für diese Gesetze) das OK sowohl des EU-Parlaments als auch des Rates, in dem die jeweiligen Fachminister vertreten sind.
Soweit die Vertragsbestimmungen. Schaffen es die Staats- und Regierungschefs in ihren neuerdings monatlichen Gipfeltreffen auf konkrete Vorhaben zu einigen, stellt sich die EU-Kommission in der Regel nicht quer. Nachdem sich die Regierungschefs 2010 etwa geeinigt hatten, die Defizitregeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts strenger zu regeln, hat die Kommission wenige Zeit später entsprechende Verordnungs- und Richtlinienentwürfe vorgelegt. Mit der Verabschiedung des sogenannten „Six Packs“ sind die neuen Regeln geltendes EU-Recht – im Gegensatz zu den rein zwischenstaatlichen Vereinbarungen des Fiskalpakts.
Kein Gipfeltreffen ohne Scheinwerferlicht, doch auch dem EU-Parlament leiht die Kommission bisweilen den legislativen Dosenöffner – wenn auch nicht ganz freiwillig. 2009 haben die Regierungen sich darauf geeinigt, José Manuel Barroso erneut als Präsidenten der EU-Kommission vorzuschlagen. Um ins Amt zu kommen, braucht der Kommissionspräsident allerdings die Zustimmung einer Mehrheit der EU-Abgeordneten. Die hat er bekommen – im Gegenzug hat Barroso jedoch versprochen, das Initiativrecht der Kommision auch mit dem EU-Parlament zu teilen. Vom Instrument der „legislativen Initiativberichte“ hat das Parlament bereits erfolgreich Gebrauch gemacht.
Obgleich der zuständige Kommissar für Steuerfragen, Algirdas Semeta, sich wiederholt erklärte, dass er von einer EU-Finanztransaktionssteuer nichts halte, hat er 2012 einen Vorschlag zur Einführung der Finanztransaktionssteuer vorgelegt. Die Kommission hat damit ihrer Selbstverpflichtung Folge geleistet, und die Forderung eines 2011 mit breiter Mehrheit angenommenen Initiativberichts des EU-Parlaments umgesetzt. Dass die Einführung der Steuer auf Finanzgeschäfte gegenwärtig zum Greifen nahe ist, ist ein wichtiger Etappenerfolg des EU-Parlaments – und das in einem Politikfeld, in dem es nicht mitentscheidend ist.
Es ist wichtig, dass unsere Wahlkämpfer eine Vorstellung, über die Kompetenzen des Europäischen Parlaments haben. Erfahrungen aus Diskussionen in den parteipolitischen Gremien lassen befürchten, dass hier großer Nachholbedarf an innerparteilicher Bildung besteht. Bereits 2013 sollten deshalb erste Bemühungen gestartet werden, hier gegenzusteuern. Es ist auch eine Frage politischer Glaubwürdigkeit, den Wählern zu erklären, welche Schritte kurzfristig umsetzbar sind, und welche Schritte nur auf mittlere Sicht machbar sind. Es kann kein Ansatz einer linken Partei in der Tradition der Aufklärung sein, Bürger für handwerklich schlechte und von vornherein zum Scheitern verurteilte politische Angebote und Konzepte zu mobilisieren.
Banken- und Finanzmarktpolitik: Aufsicht stärken, Verbote ausweiten
In den Bereichen der Banken- und Finanzmarktregulierung ist das Europaparlament entscheidend an der europäischen Gesetzgebung beteiligt. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung arbeitet auf Grundlage der Gesetzentwürfe von Binnenmarktkommissar Michel Barnier. Die Kommission verfolgt unter der Verantwortung des konservativen Franzosen Barnier einen Kurs, der nicht 1:1 mit den Ansätzen seiner Vorgänger gleichzusetzen ist. Im Rahmen des Europawahlkampfs wird es, wie in allen Wahlkämpfen, um die Bilanz der Legislaturperiode gehen. DIE LINKE muss dann in der Lage sein, nicht nur grundlegende Alternativen anzubieten, sondern auch Schwachstellen und Unzulänglichkeiten der bisher unternommenen Schritte aufzuzeigen.
Binnenmarktkommissar Barnier hat seit 2009 wiederholt betont, dass er nicht an die Selbstregulierungskräfte der Märkte glaube. So stehen die bisherigen Ansätze auf dem Gebiet der europäischen Finanzmarktpolitik für einen Kurs der gemäßigten Re-Regulierung. Das aktuelle Ziel der Kommission ist es, einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen, auf dem es neu geschaffene europäische Aufsichtsbehörden gemeinsam mit nationalen Aufsichtsbehörden gelingt, spekulative Geschäftspraktiken zu kontrollieren und ihre gefährlichsten Auswüchse zu unterbinden.
Seit 2009 wurden europäische Regeln u.a. für Rating-Agenturen, Hedge Fonds, Private Equity, Leerverkäufe und Derivate ausgehandelt und teilweise bereits umgesetzt. Daneben wurden drei neue Aufsichtsbehörden gegründet, die seit 2011 die in der Union angesiedelten Börsen, Banken sowie Versicherungen überwachen. Daneben wurde bei der Europäischen Zentralbank der „Ausschuss für Europäische Systemrisiken“ angesiedelt. Gibt der Ausschuss grünes Licht, können spekulative Geschäfte zeitlich befristet unterbinden werden. Auf Druck des Parlaments ist der Handel mit ungedeckten Leerverkäufen und ungedeckten Kreditausfallversicherungen auf Staatsanleihen seit dem 1.11.2012 europaweit verboten.
Von diesem erfreulichen Erfolg abgesehen, geht der Trend der europäischen Finanzmarktpolitik jedoch klar in Richtung eines Binnenmarktes mit gemeinsamen Regeln und einem hohen Maß an Transparenz und Kontrolle durch verbesserte Aufsichtsstrukturen. Weitergehende Maßnahmen wie etwa konsequente Verbote oder die Pflicht zur Prüfung und Zulassung neuer Finanzinstrumente stehen in Brüssel derzeit nicht ernsthaft zur Debatte. Es bleibt Aufgabe der Linken, hier für einen schärferen, konsequenteren Kurs zu werben.
Es gilt außerdem, gegen den Widerstand der Regierungen die europäischen Aufsichtsstrukturen zu stärken: Die neu geschaffenen Aufsichtsbehörden brauchen ausreichend qualifiziertes Personal. Ihre Arbeit muss deutlich enger verzahnt werden, anstelle einer Aufteilung in drei Ländern brauchen wir die Zusammenlegung in Form einer europäischen Allfinanzaufsicht. Und schließlich muss die Aufsicht in der Lage sein, kurzfristig und umkompliziert, Geschäfte verbieten und unterbinden zu können. Die Vorabzulassung von Finanzinstrumenten (Stichwort „Finanzmarkt-TÜV“) darf allerdings nicht dazu führen, dass Finanzmarktprodukte dann als mit staatlichem Segen versehen gehandelt werden und möglicherweise dann die Haftung für Finanzmarktprodukte aufgrund der Vorabprüfung automatisch auf den Staat übergeht. Ob durch Transparenz, Regeln oder Verbote – nur eine schlagkräftige Aufsicht kann sich gegenüber den Märkten behaupten.
Im Rahmen der Diskussion um die Bankenunion sollte DIE LINKE sich dafür einsetzen, dass das Problem des „too big to fail“ angegangen wird. Die Europäische Bankenaufsicht sollte deshalb die Handhabe haben, systemrelevante Institute zu zerschlagen, insbesondere, wenn öffentliche Mittel in Anspruch genommen wurden. Hier kann DIE LINKE insbesondere an der bereits recht weit fortgeschrittenen Debatte zur Einführung eines Trennbankensystems in Europa anknüpfen. Banken müssen der Realwirtschaft dienen. Studien zeigen, dass kleinere Banken, einen größeren Teil ihrer Bilanzsumme zur Kreditvergabe verwenden. DIE LINKE sollte sich deshalb für den Erhalt von Sparkassen und ähnlicher kleiner, regional orientierter Institute einsetzen.
Eurokrise: Europäische Lösungen für europäische Probleme
Die Eurokrise trifft die Mitgliedsstaaten der EU unterschiedlich schwer. Das heißt nicht, dass die Ursachen ausschließlich in den einzelnen „Krisenländern“ zu suchen sind – im Gegenteil. Dennoch sollten wir uns klar machen, dass nicht alles was für die Bundesrepublik gut und wichtig ist, eine Lösung für ganz Europa darstellt. Es ist vielmehr für DIE LINKE wichtig, die Eurokrise noch stärker aus einer gesamteuropäischen Sicht zu betrachten. Es ist nicht hilfreich, von der griechischen Regierung sozusagen „stellvertretend“ Maßnahmen einzufordern, die in Deutschland nötig wären. Der Bundesrepublik fällt in der Eurokrise eine entscheidende Verantwortung zu. DIE LINKE muss den Bürgern diese Verantwortung erklären, und sich entschieden gegen jede Art nationalistischer Auswege aus der Krise stellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Eurokrise zum Geburtshelfer eines neuen Nationalismus wird, der auf den Schlachtfeldern zweier Weltkriege und im Holocaust bereits einen millionenfachen brutalen Tod gestorben ist!
Drei Faktoren haben die Dramatik der Eurokrise zu verantworten. Stichwort Zinslast: Spekulation und Panik, schlechte Wachstumsaussichten aber auch die marode Finanzlage des Bankensektors in Europa haben die Refinanzierungskosten für immer mehr Mitgliedsländer der EU in die Höhe schnellen lassen. Die Reaktionen der Politik gegenüber diesem bedrohlichen Trend waren völlig unzureichend und chaotisch. Es braucht weiterhin mittelfristige Lösungen, um die Zinsbelastung für Staatshaushalte der Krisenländer deutlich zu senken. DIE LINKE fordert, der Europäischen Zentralbank die Finanzierung europäische Staatsanleihen zu ermöglichen. Auf Grund der Dringlichkeit des Problems sollte die LINKE aber auch pragmatischere, kurzfristige Lösungsmöglichkeiten wie etwa die Ausgabe europäischer Staatsanleihen nachdrücklich zu unterstützen.
Stichwort Schuldenabbau in der Krise: Es ist ein Irrglaube, von dem die Bundesregierung nicht abfallen will, nach dem in Zeiten schwerer Krisen, öffentliche Verschuldung abgebaut werden kann. Vielmehr kommt der öffentlichen Hand genau dann die Aufgabe zu, stützend auf Beschäftigung und Wohlstand zu wirken, und ein Abgleiten der Volkswirtschaft zu verhindern. Dass Schulden nur in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität abgebaut werden kann, hat inzwischen selbst der IWF verstanden und hinreichend belegt. Neben dieser grundlegenden Fehlausrichtung sollte DIE LINKE im Wahlkampf auch entschieden gegen negative chauvinistische Klischees kämpfen, die durch das Agieren der Bundesregierung eine neue, ungesunde Verbreitung in der Bevölkerung gefunden haben.
Stichwort Fairness im Binnenmarkt: Die Volkswirtschaften der EU-Mitglieder bringen höchst unterschiedliche Voraussetzungen mit. Der Binnenmarkt kann nur zum Vorteil aller funktionieren wenn Steuer- und Lohndumping unterbunden und beharrlich auf die Angleichung der Lebensbedingungen in Europa hingearbeitet wird.
Die letzte Aufgabe kommt in allererster Linie dem Haushalt der Europäischen Union bei. Die Programme zur Förderung strukturschwacher und ländlicher Regionen, für Forschung und Bildung und zum Abbau von Armut müssen gestärkt werden. In den derzeit laufenden Verhandlungen über den mittelfristigen Finanzrahmen 2014-2020 muss DIE LINKE sich für eine deutliche Aufstockung des EU-Haushaltes einsetzen, um den ärmeren Mitgliedsländern einen neuen Aufholprozess zu ermöglichen.
Sabine Lösing
Frieden und Rüstungsexporte: Zentrale Themen für den Wahlkampf
DIE LINKE ist die einzige Friedenspartei Deutschlands. Dieses Alleinstellungsmerkmal sollte im Wahlkampf herausgestellt werden. Dies heißt für uns auf europäischer Ebene, dass wir in unserer laufenden parlamentarischen Arbeit und in unserer Öffentlichkeitsarbeit die Ablehnung kriegerischer Intervention aber auch anderer Formen des militärischen Eingreifens wie Militärhilfe, Finanzierung und Ausbildung von Bürgerkriegsparteien klar und deutlich zum Ausdruck bringen.
Eine Fokussierung auf den Bereich Rüstung bietet sich darüber hinaus an. Denn der diesjährige Friedensnobelpreisträger ist mit einem Weltmarktanteil von 34 Prozent noch vor den USA und Russland der größte Rüstungsexporteur der Welt. Trotz der Krise wuchs der Gesamtumsatz der internationalen Rüstungsgeschäfte in den letzten fünf Jahren um ein Viertel, das der deutschen Waffenindustrie sogar um 37 Prozent.
Diese Expansion bei der Rüstung ist unpopulär, besonders in Zeiten der Austeritätspolitik. In Deutschland sind 78 Prozent der Befragten für ein Verbot von Rüstungsexporten. Mit unserer Verbotsforderung stehen wir in der Mitte der Gesellschaft. Davon zeugt auch der Erfolg der von der christlichen Freidensbewegung getragenen Kampagnen „Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel!“. Katja Kipping nennt daher das Verbot von Waffenexporten als eine unserer drei Kernforderungen.
Helmut Scholz
Integration statt Konfrontation
Externe Beziehungen der EU für Bundestagswahlprogramm
Die weitere Entwicklung der Europäischen Union betrifft schon lange nicht mehr nur direkt die Bürgerinnen und Bürger, das gesellschaftliche Miteinander in der EU selbst und ist somit nicht nur eine innereuropäische Themenstellung. Auch die Beziehungen zu staatlichen und wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Akteuren in den anderen Regionen und Kontinenten sind ein wichtiges zentrales Aufgabenfeld heute und für die Zukunft.
In Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise verfolgen viele Regierungen in den 27 EU-Mitgliedstaaten wie auch die EU-Kommission – von Hollande über Monti bis Barroso – ein egoistisch nur die eigenen wirtschaftlichen Interessen der EU und der hier beheimateten global agierenden Finanz- und Wirtschaftsunternehmen in den Mittelpunkt außenwirtschaftlicher Politik rückendes Vorgehen, mit dem sie offensiv den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen für europäische Unternehmer erzwingen. Gleichzeitig werden in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten die Mittel für Entwicklungskooperation stark gekürzt.
Für DIE LINKE ist eine von Egoismus, Aggressivität und Konfrontation statt Kooperation geprägte Politik grundsätzlich falsch; sie blendet komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungsgeflechte in einer angesichts immenser, ja noch weiter zunehmender sozialer und ökologischer Herausforderungen einer global immer mehr von einander abhängenden Welt aus. Dies erfordert von der EU und allen Mitgliedstaaten die dringend notwendige Neuausrichtung ihres außenpolitischen Agierens und Ausgestaltung des Verhältnisses zu Drittstaaten. Ein Verpassen dieser Chance gefährdet für alle auf unserem Kontinent lebenden Menschen deren zukunftsoffene, friedliche soziale und ökonomische Entwicklung.
Wir setzen deshalb auf Integration statt Konfrontation. Statt Säbelrasseln gegenüber Russland müssen wir eine gemeinsame Architektur für Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung entwerfen.
Wir sehen in der verstärkten Verzahnung von Unternehmen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen in China und Europa eine Chance für beide Seiten, Arbeitsplätze zu halten und neue zu schaffen und zugleich Einkommen der Beschäftigten und Sozialstandards positiv zu entwickeln. Die Realität der gewachsenen Produktionsketten wollen wir industriepolitisch, umweltpolitisch und gewerkschaftlich flankieren. Anti-chinesische Stimmungsmache oder gar einen Handelskrieg lehnen wir ab.
Wir wollen die rohstoffreichen Ländern in Afrika und Lateinamerika unterstützen, ihre Rohstoffe selbst zu verarbeiten und auch dazu beitragen, den Handel innerhalb ihrer Regionen auszubauen. Dies könnte ein wirklicher Beitrag für die Verbesserung ihres Wohlstands und ihrer Versorgungssicherheit, allen voran Nahrung und Energie, zu verbessern.
Wir wollen, dass die EU mit den BRICS Staaten eine Zusammenarbeit entwickelt, die die Stärken der jeweiligen Partnerländer als Synergie für die Entwicklung überall nutzt und damit im partnerschaftlichen Verhältnis gemeinsame Wege für die vielen weltweit nach Lösungen rufenden sozialen und ökologischen Herausforderungen eröffnet. Am Beispiel Chinas lernen wir – ungeachtet aller Widersprüche und komplexen politischen Erfordernissen, dass der wirtschaftliche Erfolg von Partnern auch unsere eigene Zukunft absichert.
Gabi Zimmer/ Martin Herberg
Energiearmut bekämpfen – sozialen Wohnungsbau fördern
Steigende Energiepreise führen auch in Deutschland dazu, dass immer mehr Menschen ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können. Es sind keine Einzelfälle, dass auch und gerade in Kälteperioden Menschen auf der Straße oder in ihren Wohnungen erfrieren. In Armut lebende Menschen besitzen häufig hoffnungslos veraltete technische Geräte mit einem hohen Energieverbrauch. Aus Angst, ihre Rechnung nicht bezahlen zu können, sparen nicht selten Betroffene an Heizenergie. Besonders gefährdet sind insbesondere ältere und kranke Menschen. Vor dem Hintergrund der Risikoumlagen für die vorgesehenen Netzerweiterungen auf die Privatkunden steigt der Anteil, den diese zur Finanzierung des Energiebedarfs gemessen am Haushaltseinkommen aufwenden müssen. Energiearmut kann nur wirksam bekämpft werden, wenn es als ein gesellschaftliches Problem gesehen wird und Ressortzuständigkeiten überwunden werden.
Die LINKE fordert deshalb:
Industrierabatte und Vorteile bei EEG, Ökosteuer oder Emissionshandel sind abzuschaffen, um strukturelle Probleme der Energiearmut zu finanzieren. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Gebäudesanierung. Sockeltarife für Strom, um die notwendige Energie zum Heizen und Kochen für jeden und jede zu sichern, sind einzuführen. Stromsperren sind abzuschaffen. Eine „Abwrackprämie“ für den Ersatz technisch veralteter Stromfresser durch Energie effizientere Geräte ist einzuführen.
In 21 EU-Mitgliedstaaten werden die Kosten für die energetische Gebäudesanierung auf die Mieter und Mieterinnen umgelegt. Inzwischen müssen sie 40% und mehr ihres Haushaltseinkommens für Miete und Energie aufwenden. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Rat für die Aktivierung der auf Eis liegenden EU-Charta zum Schutz der Energieverbraucher zu engagieren, um damit ein sichtbares Signal im Kampf gegen Energiearmut zu senden.
Angesichts der steigenden Energiearmut und sozialen Wohnungsnot ist die Ausstattung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) unzureichend. Dennoch sieht der EFRE 2014 bis 2020 vor, dass 20% der Mittel für die Erhöhung der Energieeffizienz eingesetzt werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben, und aus diesem Programm Mittel für die Gebäudesanierung und den sozialen Wohnungsbau einzusetzen! Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung in den zurückliegenden Jahren die Möglichkeiten für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus nicht genutzt hat, sondern die Gelder vorwiegend in den Straßenbau fließen ließ. Auch jetzt muss befürchtet werden, dass die Mittel vorwiegend für Infrastrukturmaßnahmen wie dem Netzausbau eingesetzt werden.
Darüber hinaus fordern wir im Interesse zahlreicher von Energiearmut und Wohnungsnot betroffenen Menschen vor allem in Osteuropa, dass die Bundesregierung ihre Blockade gegenüber der Nutzung von Geldern aus den europäischen Strukturfonds für den Neubau von Sozialwohnungen durch die Mitgliedstaaten der EU beendet!
Cornelia Ernst, Lorenz Krämer, Manuela Kropp
Europäische Innenpolitik
Die Lebensrealität der Menschen in Europa hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. Ganz selbstverständlich werden Staatsgrenzen überschritten, verlieren sie an Bedeutung, online wie offline. Nicht nur im Internet, sondern auch in der realen Welt begeben wir uns immer öfter ins Ausland, um zu arbeiten, dort zu leben, an einer Demo teilzunehmen, oder auch Brötchen zu kaufen, zum Arzt zu gehen. Gleichzeitig haben die privaten und staatlichen Datensammlungen ein Ausmaß angenommen, was noch vor 10 Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre. In dieser Realität müssen wir anerkennen, dass die Frage gleichwertiger Rechte aller Bürgerinnen und Bürger eine bisher nie da gewesene Bedeutung hat. Und es wird klar, dass diese effektiv nur mit europäischen Regeln zu schützen sind. Das Engagement DER LINKEN für europäische Mindeststandards im so genannten „Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts“ ist zugleich ein Engagement für die Wahrung der Grund- und Bürgerechte der Menschen in der Bundesrepublik. Aber dieser Kampf stößt auf harten Widerstand.
Denn einerseits hat das Europaparlament die vollen Mitentscheidungsrechte in der Innenpolitik. Das bedeutet dass Vieles, was die Freiheits- und Grundrechte betrifft, auf europäischer Ebene von Parlament und Rat entschieden und in den Mitgliedstaaten dann lediglich umgesetzt wird. Mit der europäischen Grundrechtecharta ist ein erster kleiner Schritt zu einem Menschenrechtsregime auf EU-Ebene getan, der überfällige Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht noch aus.
Andererseits gerät die Bestrebung gleiche Grundrechtsstandards für alle Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, immer mehr auf die Ablehnung des Europäischen Rates, der sich als ein nationalistischer Klüngel erweist und zahlreiche Initiativen des Parlamentes komplett blockiert. Insbesondere die deutsche Regierung ist ein tragender Bestandteil der Koalition der Unwilligen, welche Binnenmarktinteressen über Bürgerinteressen stellt.
Wir müssen im Bundestagswahlkampf daher auch die Forderung nach einem Politikwechsel der künftigen deutschen Regierung im Rat verfechten!
Betroffenenrechte stärken!
Was wir brauchen sind Regelungen, die die Rechte der Betroffenen stärken statt sie auszuhöhlen. Dazu gehört z.B. auch, dass sich DIE LINKE bezüglich des Strafrechtes dafür einsetzt, dass beim europäischen Haftbefehl und der europäischen Ermittlungsanordnung die Richtlinie über das Recht auf Übersetzung bei Strafverfahren im EU-Ausland und die Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Anwalt bei Befragungen durch die Polizei im EU-Ausland vollständig angewandt wird.
Ja zu höchsten Standards zum Schutz personenbezogener Daten!
Wir unterstützen ausdrücklich die von Kommissarin Reding auf den Weg gebrachte Datenschutzreform, mit der die bestehende Richtlinie von 1995 modernisiert und der Datenschutz mit einer Verordnung europaweit einheitlich geregelt werden soll. Zusätzlich soll mit einer Richtlinie erstmals der Datenschutz im Bereich Justiz und Strafverfolgung geregelt werden. Angesichts der zahlreichen Verletzungen des personenbezogenen Datenschutzes (siehe Funkzelle Dresden 2011) sind in diesem Bereich Schutzmaßnahmen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger überfällig.
Wir verlangen, dass die deutsche Ratsposition, die öffentliche Verwaltung aus dem Anwendungsbereich der Verordnung herauszunehmen und sich grundsätzlich gegen eine Regelung im Bereich Justiz und Inneres in Stellung zu bringen, unverzüglich zurückgenommen wird! Neben der Industrielobby bringen sich im Ministerrat einige Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik, gegen die Reform in Stellung. Die Bundesrepublik darf nicht länger ein Sprachrohr für den Abbau von Rechten der Bürger in der EU sein!
Wir fordern zugleich, dass das Ergebnis der Reform nicht hinter die bereits bestehenden Datenschutzstandards in Deutschland zurückfallen darf.
Gegen Datensammelwut und Profiling!
Unser erklärtes Ziel ist ein europaweites Verbot jeglicher verdachtsunabhängiger Vorratsdatenspeicherung, ganz gleich ob es sich um Telekommunikationsdaten, Fluggastdaten, oder Überweisungen (SWIFT) handelt. Diese Sammlungen dienen vor allem dem „profiling“, das wir als Methode genauso wie die Rasterfahndung strikt ablehnen. Hier haben wir es zudem mit einer finanzstarken Sicherheitslobby zu tun, die auf Jahre im Voraus ihre Aufträge sichern. Das zeigt sich vor allem an technisch extrem aufwändigen und teuren Projekten wie das Schengener Informationssystem der 2. Generation (SIS II), dem Programm für Satellitenüberwachung der Außengrenzen (Eurosur) und dem Entry-Exit-System, mit dem über die Ein- und Ausreise von Drittstaatsangehörigen europaweit Buch geführt werden soll. Ein Großteil dieser Geschäfte machen deutsche Unternehmen.
Demokratische Kontrolle zur Wahrung von Grundrechten stärken!
Ohne effiziente Kontrolle können Grundrechte für die Menschen nicht garantiert werden. Es ist deswegen äußerst wichtig, dass wir uns für einen Ausbau der parlamentarischen Kontrolle durch Bundestag und Europaparlament einsetzen. Letzteres ist besonders deshalb wichtig, weil zahlreiche ungeliebte EU-Agenturen, für deren Abschaffung wir uns stark machen, wie FRONTEX, Europol und Eurojust, zu Datenmonstern zur Überwachung der Bürger mutiert sind. Ebenso gilt es, unabhängige Aufsichtsbehörden zu stärken. Insbesondere im Bereich Datenschutz schreibt der AEU-Vertrag in Artikel 16 die Kontrolle durch unabhängige Behörden vor.
Reisefreiheit und Grundrechte verteidigen!
Besonders Deutschland ist im Rat treibender Keil, die gerade erst erworbene Visafreiheit vieler Balkanstaaten als Faustpfand gegen Migration und Asyl zu missbrauchen. Um möglichst zu verhindern, dass Roma, die in diesen Ländern unter elenden Verhältnissen ihre Existenz kaum sichern können, zum Beispiel nach Deutschland kommen, soll die Freizügigkeit eingeschränkt werden. Diese Erpressungspolitik wendet die deutsche Regierung grundsätzlich bezüglich der Freizügigkeit im Schengen-Raum an. In beiden Fällen nimmt sie eine Führungsrolle im Rat ein und treibt selbst Missbrauch mit der Visafreiheit, indem sie aktiv an der Aufweichung des Verbots von Grenzkontrollen innerhalb von Schengen arbeitet. Gegen eine solche Diskriminierungs- und Erpressungspolitik wendet sich DIE LINKE in Deutschland und im Europaparlament! Auch für Roma muss es dieselben Grundrechte geben! Eine Lex Roma bekämpfen wir gemeinsam mit Roma und ihren Interessenorganisationen! Wir fordern die Integration von Roma und Sinti sowie ein Ende der antisozialen Abschiebepolitik!
Europäische Kohäsionspolitik und Mehrjähriger Finanzrahmen:
Nationale Egoismen bekämpfen – Solidarität leben!
Die EU ist einerseits der einzige Wirtschaftsraum der Welt, der länderübergreifend eine nachhaltige Förderung ärmerer Regionen vornimmt. Damit wirkt sie in jeden Mitgliedsstaat und in jede Region innerhalb der EU. Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt, neue Technologien und Beschäftigung werden gefördert. Allein in Ostdeutschland wurde zu 40% durch EU-Mittel die Infrastruktur nach der Wende aufgebaut. Der Gedanke des sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts (Kohäsion) in der EU durch eine gemeinsame Förderpolitik zu entwickeln ist eines der stärksten Symbole europäischer Politik. Europäische Fördergelder, die im Rahmen der europäischen Kohäsionspolitik vergeben werden, tragen dazu bei, die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Regionen in der EU zu vermindern. Diese Entwicklung wird durch die gegenwärtige Politik des Rates systematisch zerstört. Die von der deutschen Regierung angestoßene Debatte um Kürzungen der EU-Mittel, obwohl seit 2004 erstmalig Mitgliedstaaten gefördert werden, in denen die Armut flächendeckend in nahezu jeder Region herrscht, hat verheerende Wirkungen. Damit wird Armut zementiert.
DIE LINKE fordert:
- Wir brauchen eine unverzügliche Wende in der bundesdeutschen Politik, weg von einer Politik der „friends of better spending“ hin zu einer Politik der „friends of better solidarity“!
- Wir brauchen ein Umdenken in Deutschland, um eine Spaltung der Europäischen Union in Lager von Geber- und Nehmerländern zu verhindern!
- Wir verlangen, dass die stärkste Wirtschaftskraft in der EU – die Bundesrepublik – sich für eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kohäsionspolitik einsetzt, mit der wirksam Armut bekämpft werden kann!
- Wir verlangen das Engagement Deutschlands im Rat für die wirtschaftliche und soziale Förderung insbesondere von benachteiligten Minderheiten, wie Roma! Integrations- und Selbstorganisationskonzepte müssen stärker gefördert werden, in der EU und in Deutschland!
- Wir setzen uns für eine europäische, sozial-ökologische Investitionsoffensive ein, die zugleich die Schaffung von Guter Arbeit bedeutet!
- Wir verlangen, dass die benachteiligten ostdeutschen Regionen im Finanzpoker des Rates nicht zur beliebigen Verhandlungsmasse werden. Ein Großteil der ostdeutschen Regionen hat nach wie vor erheblichen wirtschaftlichen Nachholbedarf.
- Die neue ESF-Verordnung ab 2014 wird den Einsatz von 20% der Mittel zur Armutsbekämpfung verlangen. Wir als LINKE setzen uns für ein nationales Rahmenprogramm zur Armutsbekämpfung ein, das regional umgesetzt werden muss!
- Wir erinnern an die Unterstützung der Alt-Bundesrepublik nach dem 2. Weltkrieg über einen Marshallplan, der den Wiederaufbau des Landes wesentlich beschleunigt hat. Wir setzen uns für einen europäischen Marshall-Plan und einen Schutzschirm für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein!
Lothar Bisky, Nora Schüttpelz
Überlegungen zum Wahlprogramm für die Bundestagswahlen 2013 aus der Perspektive Kultur-Medien-Bildung
Eines der drei zentralen in der bereits vorliegenden Wahlstrategie der LINKEN vereinbarten Kernthemen linker Politik ist die Erhaltung und der Ausbau des Sozialen: „DIE LINKE ist in der öffentlichen Wahrnehmung und nach eigenem Selbstverständnis die Partei der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens, der Demokratisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft. So wird sie auch in die Wahlkämpfe 2013/14 gehen.“
Das gilt für alle politischen Handlungsebenen und die verschiedensten Themenbereiche: „Wir wollen eine Demokratisierung Europas, eine von den Finanzmärkten befreite Staatsfinanzierung sowie eine koordinierte und demokratisch kontrollierte Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf starke Binnenmärkte und Ausgleich in Wirtschaft und Handel zielt. Das ist die Alternative der LINKEN. Das ist die Alternative der LINKEN, die sie bei der kommenden Bundestags- und der darauf folgenden Europawahl zur Abstimmung stellt.“ (Zitate aus der Wahlstrategie der LINKEN für 2013ff)
Bei aller angemessenen Länderhoheit in vielen Kultur- und Bildungsfragen, kann Deutschland und deutsche Politik auch in diesen Bereichen nur noch als Teil von Europa und europäischer Politik gedacht werden.
Der Zugang zu Kultur, einschließlich Bildung und Information, ist eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts: Er entscheidet über die Entwicklungs- und Teilhabechancen von Menschen und Gesellschaften. Der Begriff digitale Spaltung fasst die ungleiche Verteilung des Zugangs zu digitalen Informations- und Kommunikations-Technologien, die die Gesellschaft – aus nationaler wie aus internationaler Perspektive betrachtet – in „Interagierte“ und „Interagierende“ teilt. Eine solche Ungleichverteilung von Beteiligungschancen steht allein schon den Forderungen und dem Bedürfnis nach „mehr Demokratie“ entgegen.
Zugang bedeutet das Vorhandensein klassischer Infrastruktur wie Kultur- und Bildungseinrichtungen ebenso wie Anschluss ans digitale (Breitband-)Netz und jeweils Nutzungsmöglichkeiten für alle zu erschwinglichen Preisen.
Kultur ist Teil öffentlicher Daseinsvorsorge und kann nicht sinnvoll nach ausschließlich Binnen- und/oder Exportmarkt-logischen Regeln behandelt werden. Doch selbst die „alten Medien“ (Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film) sind heute geprägt von zunehmenden Kommerzialisierungstendenzen, Verdrängung von Information, Meinung und Kritik sowie – im Falle des Films – von Kultur durch Unterhaltung. Die fortschreitende Kommerzialisierung ist zugleich von einer anhaltenden Medienkonzentration geprägt. Finanzinvestoren bemächtigen sich in immer größerem Ausmaße des Medien- und Pressesektors. Rentabilitätsdruck zeitigt im Ergebnis eine weitere Verflachung und Kommerzialisierung der Berichterstattung und des Wissenstransfers.
Es ist kurzsichtig und schadet auf lange Sicht der Gesellschaft als Ganzes, wenn bei Kürzungen öffentlicher Haushalte – ob auf kommunaler, Länder-, Bundes- oder EU-Ebene – oft als erstes bei der Kultur- und Bildungsförderung privatisiert oder in anderer Form gespart wird. Mehr Kulturförderung ist eine Investition in die Zukunft.
Besondere Unterstützung muss Künstlerinnen und Künstlern und allen Kulturschaffenden gelten, für deren freie Entfaltung und soziale Absicherung wir aktiv eintreten.
Das Konzept der „Creative Industries“ – das in den späten neunziger Jahren entwickelt wurde, um den Übergang in eine wissensbasierte Ökonomie zu beschleunigen und das die Kreativwirtschaft als die Zukunfts- und Wachstumsbranche propagierte – hat sich in der politischen Sprache in Deutschland und auf EU-Ebene etabliert. Tatsächlich zählen die Kreativindustrien zu den am schnellsten wachsenden Branchen in Europa. Die Beschäftigungsverhältnisse sind jedoch oft prekär. Lange Arbeitszeiten, unbezahlte Überstunden, mangelnde Aufstiegschancen und geringe Jobsicherheit gehören zum Alltag. Zudem wächst das Heer der Arbeitsuchenden in diesen Branchen, so dass sich ein Informationsproletariat gebildet hat und sich langfristig auch ein kreatives Lumpenproletariat bilden wird. Derzeit besteht keine funktionierende und angemessene Organisations- und Interessensvertretung der Betroffenen. Linke Kulturpolitik nimmt sich zur Aufgabe, diese anzusprechen und die Mobilisierung ihrer Interessenvertretung zu fördern. Es geht dabei unter anderem um EU-weit gesetzte gute Rahmenbedingungen im Steuer-, Arbeits-, Sozialversicherungs- und Urheberrecht, die kulturelle Produktivität und Kreativität nachhaltig gewährleisten.
Bei der Neugestaltung des Urheberrechts in der EU gilt es natürlich, Kulturschaffenden – Autoren und ausübenden Künstlern – eine angemessene Vergütung zu sichern. Gleichzeitig stellt sich die Herausforderung, ausgewogen zu beantworten: Wer darf wann und unter welchen Konditionen über vorhandenes Wissen und die Quellen verfügen? Da Rechtsrahmen und die Nutzungspraktiken noch relativ undefiniert sind, wird heute entschieden, wer morgen entscheiden kann. Verteilungskämpfe, Ökonomisierung des Wissens, neue Formen der Kommunikation und der politischen Vernetzung entstehen. Der Nutzer ist oftmals gleichzeitig Produzent und verwischt die Grenzen herkömmlicher Informationshierarchien.
Ohne eine gesetzliche Regulierung werden das Wissen und die Kreativität, die in Netzwerken und Tauschbörsen (Filesharing) entwickelt werden, von privaten Dienstanbietern zum Teil widerrechtlich angeeignet und ökonomisch verwertet. Deshalb ist ein Kernthema linker Medienpolitik der demokratische Zugang zu modernen Kulturtechniken, zu offenen Plattformen, zu ihrer Programmierbarkeit und sicheren Anwendung.
Als Bestandteil von Kultur ist auch gute Bildung nicht auf die Schaffung von wirtschaftlich verwertbaren Wissen und Fähigkeiten reduzierbar. Zugangsgerechtigkeit zu umfassender und vielfältiger formaler aber auch nicht formaler Bildung in unterschiedlichen Lebensabschnitten ist eine grundlegende Voraussetzung für Teilhabe und Entwicklung eines und einer jeden. In einem zusammenwachsenden Europa sind Fremdsprachenkenntnisse ebenso erstrebenswert wie der direkte Austausch mit Lernenden und Lehrenden in anderen Ländern, auch unabhängig vom individuell verfolgten Bildungsweg. Die bestehenden öffentlichen Austausch- und Förderprogramme der EU und der Mitgliedstaaten wie zum Beispiel „ERASMUS“ und „Bafög“, Programme für Jugendliche, Auszubildende, Lehrende, Künstler und andere Arbeitnehmer_innen müssen deshalb erhalten und ausgebaut werden. Die Ersetzung von Zuschüssen durch Vorzugskredite halten wir dabei für falsch.
Wichtige Elemente von Kultur und Bildung sind eine Erinnerungs- und Toleranzkultur in einer europäischen Gesellschaft, die sich mit der gemeinsamen und vielfältigen Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Menschen in Europa in allen ihren positiven und negativen Aspekten auseinandersetzt. Dazu gehören auch der Dialog über ost- und westeuropäische Biographien und zwischen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Ansätzen.
Vision und Bekenntnis zu einer „Europäischen Union“ haben durchaus linke Vordenker und -kämpfer. Ihr Vermächtnis gilt es zu wahren und in ihrem Sinne die friedliche und soziale Integration Europas kulturvoll zu befördern. Das Zusammenwachsen in Deutschland und in Europa wird auf Dauer nur Bestand haben können, wenn es (wieder) zum Herzensprojekt den Menschen in Ost und West wie Süd und Nord wird – wenn sich eine europäische Öffentlichkeit und Identität als Bereicherung der bestehenden Identitäten entwickeln kann. Linke Kultur-, Medien- und Bildungspolitik ist deshalb unter anderem darauf gerichtet, lokale und nationale Beschränktheiten und Borniertheiten kultureller Kreativität von allen Fesseln zu befreien und deren besten Produktionen zum Gemeingut aller werden zu lassen. Dadurch könnten die zarten Pflanzen einer europäischen Kultur und Öffentlichkeit wachsen. Beide werden erst Realität, wenn sie den kulturellen Alltag der Europäerinnen und Europäer durchdringen.