Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht

Seit einigen Monaten wütet eine der schlimmsten Hungerkatastrophen am Horn von Afrika. Über 13 Millionen Menschen sind direkt davon betroffen. Schätzungsweise 650 000 Kinder sind akut unterernährt, bei 200 000 ist dieser Zustand lebensbedrohlich, über 30 000 sind schon gestorben. 900 000 Menschen sind auf der Flucht aus Somalia, dem am stärksten betroffenen Land.  

Die Hungerkatastrophe ist nur die Spitze des Eisbergs. Täglich hungern eine Milliarde Menschen rund um den Globus. Ein entschlossenes Vorgehen der reichen Länder gegen diesen unsäglichen Zustand beschränkt sich auf warme Worte und Symbolpolitik. Die Ursachen sind meist schnell ausgemacht: im Falle Somalias ist es der 20 Jahre andauernde Bürgerkrieg, die islamistische Miliz, fehlende staatliche Strukturen und natürlich die schlimmste Dürre seit 60 Jahren.  

Dass auch die Regierungen der Industriestaaten einen massiven Beitrag zum Entstehen der weltweiten Hungerkatastrophe leisten, wird verschwiegen. Als 2008 die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel in ungeahnte Höhen schossen, wurden von der EU schnelle Hilfsleistungen beschlossen. Die strukturellen Ursachen des Hungerproblems wurden nicht beseitigt. Anfang des Jahres erreichten die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel erneut Rekordhöhen. Ein Sechstel der Weltbevölkerung kann sich ihr tägliches Brot nicht mehr leisten.  

Die strukturellen Ursachen sind vielfältig. Unter Experten gilt die exzessive Spekulation auf Agrarrohstoffe als einer der Hauptgründe für die enorm gestiegenen Lebensmittelpreise. Große Investoren wie Hedge- und Pensionsfonds und Großbanken investieren seit einigen Jahren verstärkt in die Agrarmärkte der Entwicklungsländer. Statt der Absicherung der Nahrungsmittelproduktion geht es dabei um Spekulationsgewinne. So stieg nach neuesten Schätzungen das Kapitalvolumen, das in diesen Märkten angelegt wurde, von 2003 bis 2010 um das 60fache. Neuere Studien zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen dem rasant gestiegenen Volumen und steigenden und stark schwankenden Preisen besteht. Die bisher von der Europäischen Kommission erarbeiteten Lösungsvorschläge greifen aber viel zu kurz.  

Ebenso wirkt sich die Energiestrategie der EU negativ auf die Getreidepreise aus. Diese verfolgt das Ziel, bis zu 20 Prozent der im Verkehrsektor genutzten Kraftstoffe aus Agrarrohstoffen herzustellen. Stichwort: das E10-Benzin. Die Folge dieser Politik: die weltweiten Nutzflächen werden nun für Lebensmittel und Biosprit gebraucht. Die Konkurrenz um die Rohstoffe und die Nutzflächen lässt die Preise steigen, die Ärmsten verlieren wieder. Ein Einfrieren dieser Strategie war mit der konservativen Mehrheit im Europaparlament nicht zu machen. Zusätzlich kommt es zu großangelegten Landaneignungen in Entwicklungsländern durch ausländische Investoren. Große Agrarflächen werden von transnationalen Unternehmen gekauft oder gepachtet. Kleinbauern vor Ort werden vertrieben, verlieren somit ihre Existenzgrundlage und können meist nicht einmal ihre Familien versorgen.  

Lokale Produktionskapazitäten und -infrastrukturen sind dringend nötig, um die Bevölkerung mit dem Grundlegendsten zu versorgen und Einkommen zu erwirtschaften. Die Europäische Handels- und Agrarpolitik sorgt aber dafür, dass lokale Wirtschaftsstrukturen durch direkte Konkurrenz mit europäischen Produkten vernichtet werden. Hunger- und Armutsbekämpfung werden zweitrangig.  

Das Recht auf angemessene Ernährung ist ein universelles Menschenrecht, verankert in der UN-Menschenrechtscharta von 1948, ausbuchstabiert im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966. Es beinhaltet sowohl ausreichende als auch nahrhafte Nahrung, um Mangelernährung zu verhindern. Eine Milliarde Hungernde bedeutet eine Milliarde Verstöße gegen dieses grundlegende Menschenrecht – und das täglich. Als EP-Berichterstatterin zum Thema Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern bin ich davon überzeugt, dass exzessive Spekulation durch harte Regeln verhindert werden muss. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen endlich Verantwortung für ihre Politiken übernehmen, damit die Menschenrechte auch in anderen Regionen der Welt gelten können.