„Wie groß muss die Krise erst werden?“
„Meine Herren Präsidenten,
liebe Kolleginnen und Kollegen, wie das Beispiel Italiens zeigt, dessen Risikoaufschläge für Staatsanleihen zeitweilig über die kritische Marke von 7 Prozent gestiegen waren, verhalten sich die Märkte relativ unbeeindruckt von den Beschlüssen des letzten europäischen Gipfels.
Das nächste Land der Eurozone ist in ihrem Visier.
Der Zinsanstieg in Italien seit Oktober ist durch keine realwirtschaftliche Entwicklung gedeckt! Und wie die Erfahrungen von Irland, Griechenland, Portugal und Spanien in solch einer Situation lehren, erscheinen konzertierte Hilfsmaßnahmen von EU und IWF, das Nutzen des EFSF, unausweichlich zu werden.
Das zeigt deutlich, dass unsere bisher beschlossenen Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte nicht voll greifen. Und ich befürchte, das wird sich auch mit den neuen Plänen zur Verstärkung der wirtschaftlichen Steuerung im Euroraum nicht wesentlich ändern.
Wenn ich an das von Ihnen, Herr Präsident Barroso, angekündigte Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission mit den fünf Vorschlägen für die verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung denke, so fehlt mir die Antwort auf die Hauptfrage: Haben Sie den Mut und die Fähigkeit, die Akteure an den internationalen Finanzmärkten so zu regulieren, dass künftig spekulatives Agieren möglichst ausgeschlossen wird?
Die Beratungen des Ecofin zur Finanztransaktionssteuer demonstrierten, dass in den Mitgliedsstaaten selbst für kleine Schritte der politische Wille fehlt. Die Finanzminister antworten auf die globalen Herausforderungen nach wie vor mit nationalem Denken und Lösungsvorschlägen entsprechend den Interessen ihrer nationalen Banken. Wie groß muss die Krise erst werden, wie viele Länder einbezogen und wie große Opfer muss die Bevölkerung der betroffenen Länder noch bringen, bis sich die notwendige Einsicht zum Handeln durchsetzt?
Sie schlagen z.B. die Herausgabe eines Grünbuches über Euro-Stabilitätsanleihen vor. So sehr ich die Notwendigkeit der Einführung von Eurobonds unterstreiche, so erstaunter bin ich über die Methode. Wie lange wollen Sie denn über die benötigten konkreten Modalitäten der Ausgestaltung des Mechanismus diskutieren? Wie wird dieser zeitraubende Diskussionsprozess auf die Märkte wirken? Das sind für mich die Fragen.
Ansonsten soll wieder einmal die Überwachung der Haushalte einzelner Länder verstärkt werden. Als ob die aufgezwungenen Sparmaßnahmen einen Wachstumsimpuls auslösen würden. Das ist doch aber das Vorrangigste, konkrete Maßnahme zur Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung, damit von Einkommen und damit von Binnennachfrage. Die Sparmaßnahmen in der Krise vertiefen diese nur, das zeigen doch die wirtschaftlichen Kennziffern Griechenlands, Portugals und Irlands für 2010 und 2011.
Eine Frage scheint mir bisher nicht ausreichend in Betracht gezogen zu sein. Wie können zusätzliche Finanzierungsquellen für die Staaten erschlossen werden? Die Staatseinnahmen müssen erhöht werden. Bisher wird immer nur vorgeschlagen, Sozialleistungen, Löhne und Renten zu kürzen oder die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Das heißt, der Konsum der Masse der Bevölkerung wird stranguliert und die Gerechtigkeitslücke zwischen Arm und Reich könnte noch größer werden.
Das spüren auch die Bürger. Sie sehen sich nicht als die Verantwortlichen für die Krise. Sie fordern sozialen Ausgleich, darunter Steuergerechtigkeit. Deshalb die Massenproteste in den Mitgliedsländern, denen Sparpakete auferlegt wurden. Deshalb die politische Instabilität in den Krisenländern, in denen bereits zahlreiche Regierungen hinweggefegt wurden. Wenn der Sparkurs weiter verschärft wird, werden auch die Proteste weiter anwachsen und wohin führt diese Entwicklung? Es fehlt mir völlig die Erhöhung der Besteuerung der Banken, Großunternehmen und der Reichen in den Ländern. Sie können ohne Probleme einen größeren Beitrag zur Bewältigung der Krise übernehmen. Konkrete Schritte in diese Richtung sind erforderlich, das würde den Bürgern das Gefühl geben, dass Lasten gerechter verteilt werden. Diese Orientierung muss allerdings auch von Ihnen, von Kommission, Rat, Eurogruppe und anderen internationalen Institutionen kommen.
Es hat sich doch gezeigt, dass das neoliberale Mantra der Steuersenkungen, der Reduzierung der Regulierungen der Marktkräfte zu solchen Auswüchsen geführt hat, dass das weltweite Finanzsystem insgesamt bedroht ist. Hier ist eine Umkehr des Denkens und Herangehens gefordert! Wir brauchen Verbote für den kurzfristigen Handel mit CDS, von Leerverkäufen und von anderen hochgefährlichen Finanzprodukten. Das ist das Gebot der Stunde!“
(Es zählt das gesprochene Wort.)