Damit Lebensmittel Farbe bekennen

Lebensmittelampel wäre verbraucherfreundlich – und wurde vom Europaparlament abgelehnt. Die Wirtschaftslobby hat gewirkt

Samstagmorgen – der große Wochenendeinkauf steht auf dem Programm. Im Supermarkt herrscht Gedränge, alle sind in Eile. Im Wagen landen Produkte mit bunten Aufschriften: »Mit wertvollem Getreide«, »Fit und schlank«, »Ausgewogen leicht«. Dass diese Botschaften Schokoriegel, süße Limos und Tiefkühlpizza bewerben, sollte einen stutzig machen. Aber leider haben nur die wenigsten von uns Zeit und Geduld, sich in das Kleingedruckte auf der Packungsrückseite zu vertiefen. Laut Verkaufsforschung beschäftigen wir uns durchschnittlich 1,6 Sekunden mit einem Produkt.

Eine der fortschrittlichsten Ideen für die verbraucherfreundliche Kennzeichnung von Lebensmitteln wurde am 16. Juni im Straßburger Europaparlament zu Grabe getragen: Die Lebensmittelampel bekam bei der Abstimmung über einen Gesetzentwurf für die Kennzeichnung von Lebensmitteln kein grünes Licht.

Sind wir zu dumm für eine gesunde Ernährung?

Die Lebensmittelhersteller geben Jahr für Jahr Milliarden aus, um ihre Produkte durch kreative Werbung in die Einkaufswagen zu schmuggeln. Aus Marmelade wird der Fruchtaufstrich, der nicht nur schmeckt, sondern auch Vitamine enthält, für eine bessere Ausstrahlung sorgt und das Familienglück garantiert. Dank der cleveren Taktik der Werbemacher gehen Millionen Eltern der fett- und zuckerhaltigen Schokocreme auf den Leim, die »mit dem Besten aus 1/3 Liter Milch« als vermeintlicher Calciumträger für den Nachwuchs daher kommt. Wir lassen uns beim Einkauf von der Werbung verführen und vertrauen auf die Botschaften der Lebensmittelindustrie.

Laut der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch gelten 60 Prozent der Erwachsenen und 20 Prozent der Schulkinder in der Europäischen Union als übergewichtig oder fettleibig. Millionen Menschen leiden zudem an Bluthochdruck (Hypertonie). Probleme, die in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen haben – und alleine in Deutschland jedes Jahr mehr als 70 Milliarden Euro Kosten im Gesundheitssystem verursachen. Es besteht also eindeutig Handlungsbedarf.

Die Ampelkennzeichnung

Für die allermeisten Produkte waren bisher keine Nährwertangaben verbindlich vorgeschrieben. Doch erst wenn die Verbraucher wissen, wie viel Zucker, Fett oder Salz in einem Produkt stecken, können sie sich eine ausgewogene und gesunde Ernährung zusammenstellen und erkennen, wenn vermeintlich gesunde »Light«-Produkte in Wahrheit nichts anderes als getarnte Zuckerbomben sind.

Die wohl progressivste Idee der letzten Jahre ist die Lebensmittelampel. Das in Großbritannien bereits angewandte Prinzip ist so einfach wie bestechend: Die Verbraucher sind dank der Ampel in der Lage, sich auf einen Blick über den Zucker-, Fett- und Salzgehalt eines Produktes zu informieren. Dabei werden für jedes Produkt direkt auf der Vorderseite der Verpackung die Gehalte der wichtigsten Nährwerte (Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz) in absoluten Grammzahlen aufgeführt. Und zwar zum leichteren Vergleich einheitlich pro 100 Gramm bzw. 100 Milliliter. Zur besseren Orientierung wird jeder Wert dann noch mit einer der Signalfarben Rot (für einen hohen Gehalt), Gelb (mittel) und Grün (niedrig) versehen.

Die Vorteile der Ampelkennzeichnung sind offensichtlich und entgegen den Behauptungen der Lebensmittellobby wissenschaftlich fundiert. Was die Ampel anderen Kennzeichnungssystemen voraus hat, sind im Wesentlichen zwei Dinge: ihre leichte Verständlichkeit und ihre Vergleichbarkeit.

Mit der Lebensmittelampel wäre schnell geklärt, welche Cornflakes mehr Zucker haben und ob die Light-Chips wirklich so wenig auf die Figur schlagen, wie man sich von der attraktiv-schlanken Frauensilhouette auf der Verpackung erhoffen mag.

Die Lobby

Verständlicherweise graut es der Lebensmittelindustrie bei der Vorstellung, dass Verbraucher mit Hilfe der Ampel schneller erkennen könnten, welche Lebensmittel besonders fettarm oder mit wenig Zucker hergestellt sind, und dass so bestimmte Produkte seltener in den Einkaufswagen wandern.

Denn die Großkonzerne wollen vor allem eins: verkaufen. Ob die Produkte gesund sind und der Käufer nachvollziehbare Informationen erhält, ist dabei unwichtig. Nicht umsonst waren viele bisherige Nährwertangaben derart unleserlich und kompliziert, dass der Normalverbraucher sie entweder gar nicht entziffern konnte oder sie schlichtweg nicht verstand.

Zuerst sah es aus, als bekäme die Ampel grünes Licht. Linke, Grüne und Sozialisten machten sich zuerst im Umweltausschuss und später im Plenum des Europäischen Parlaments für die Einführung der Ampel stark. Die meisten der Abgeordneten ahnten zu dem Zeitpunkt nicht, dass sie im Begriff waren, eine der größten Lobbyschlachten zu erleben, die die EU je gesehen hat. Laut Corporate Europe Observatory sollen die Lebensmittelkonzerne mehr als eine Milliarde Euro in ihre Blockadepolitik investiert haben. Kurz vor den Abstimmungen im Umweltausschuss und im Plenum wurden die Abgeordneten mit mehr als 100 Emails und Anrufen am Tag behelligt, in den Postfächern fanden sich großzügige Produktproben namhafter Lebensmittelhersteller. Nicht alle hielten dem Druck stand. Allen voran hatte sich die zuständige Berichterstatterin, Renate Sommer von der CDU, vor den Karren der Industrie spannen lassen. Wie ein Frontal-21-Beitrag zeigt, wiederholte sie als Sprachrohr der Konzerne teils wortwörtlich die »Empfehlungen« der Lebensmittellobby.

GDA-Verwirrung

Neben massiver Meinungsmache hat die Lebensmittellobby auch ein eigenes Kennzeichnungskonzept, die sogenannte GDA-Kennzeichnung, entwickelt. Sie ist bereits auf zahlreichen Produkten zu finden und ein Paradebeispiel für Verbraucherverwirrung und Unverständlichkeit. Und genau das ist ihre Absicht. Die bisherige GDA-Kennzeichnung auf der Packungsvorderseite bezieht sich auf den relativen Anteil der »empfohlenen« Tagesaufnahme an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz, der in einer bestimmten Menge eines Lebensmittels steckt, bezogen auf die »40jährige Durchschnittsfrau«. Wem das nicht schon vage genug ist, der kann sich selbstverständlich noch weiter durch den Hinweis auf die Portionsgröße verwirren lassen. Alle Angaben beziehen sich nämlich auf eine frei von den Konzernen festgelegte »Portionsgröße«. Da kommen auch gerne mal so absurd kleine Angaben wie 25 Gramm Erdnüsse, was noch nicht mal einer knappen Handvoll entspräche, oder eine halbe Tiefkühlpizza zustande. Denn je kleiner die Portion, desto geringer auch die Prozentzahlen an Fett, Zucker und Co. Dass eine solche Taktik den Verbraucher ausschließlich von den eigentlich viel zu hohen Zucker- und Fettgehalten ablenken soll, versteht sich von selbst. Eine beispiellose Mogelpackung!

Das Aus der Ampel

Das Ende der milliardenschweren Lobbyschlacht: Die Ampel ist in der ersten Lesung vom Tisch. Immerhin sollen sich zukünftig die GDA-Werte bzw. ihre Angaben auf die realistischere Größe von 100 Gramm beziehen. Die Hersteller sollen ihre Berechnungen nicht mehr nach Gutdünken vornehmen können. In Zukunft soll die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für die Berechnungen zuständig sein.

Das Europäische Parlament in Straßburg hat mit seinem Kniefall vor der Lebensmittelindustrie einmal mehr bewiesen, dass Bürgernähe und unabhängige Politik nicht unbedingt immer zu seinen Stärken zählt. Nicht nur Berichterstatterin Sommer hat sich bereitwillig und karrierebewusst der Meinung der Lobbyisten angeschlossen und brav alle deren Phrasen wiederholt. Auch die Mehrheit der Abgeordnete stimmte in den Chor mit ein und votierte in der Abstimmung am 16. Juni gegen die Ampel. Hier zeigt sich, dass die von der Industrie verbreiteten Halbwahrheiten Anklang gefunden haben. So bevormunde die Lebensmittelampel die Verbraucher, wurde behauptet; sie sorge auch nicht für bessere Ernährung, sie diskriminiere manche Lebensmittel gegenüber anderen oder gebe falsche Anreize. Alles Quatsch, sagen die Experten von Foodwatch, die mit den wichtigsten zehn Vorurteilen gegen die Ampel aufgeräumt haben.

So sei es beispielsweise Unsinn, dass die Ampelkennzeichnung die Verbraucher bevormunden würde. Sie gibt lediglich gut sichtbar an, welche Nährwerte in den Produkten enthalten sind. Nicht mehr und nicht weniger. Wen das nicht interessiert, der kann darüber hinwegsehen, wie er es auch schon bisher getan hat. Dennoch sollte die Politik sich in der Pflicht sehen, den Verbraucher darauf aufmerksam zu machen, was in den Produkten steckt, die im Einkaufskorb landen.

Fast ebenso beliebt bei den Lobbyisten und hoch im Kurs bei Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner ist die These, die Lebensmittelampel würde falsche Anreize geben, indem gemeinhin als gesund erachtete Nahrungsmittel wie Bioapfelsaft oder Brot einen roten Punkt für Zucker bzw. Salz kassierten, wohingegen zum Beispiel Cola Light mit vier grünen Punkten davon käme. Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick verständlich; tatsächlich erhielte die mit Süßstoff statt mit Zucker gesüßte Cola Light vier grüne Ampelpunkte. Fruchtsaft dagegen bekäme wegen seines natürlichen Gehalts an Fruchtzucker einen gelben oder sogar roten Zucker-Punkt. Das heißt aber nicht, dass Saft ungesünder ist als Cola light – sondern nur, dass Saft mehr natürlichen Fruchtzucker enthält. »Die Ampelkennzeichnung macht eine Angabe über die vier wichtigsten Nährwerte. Sie darf nicht als Universalkennzeichnung für alle Inhaltsstoffe eines Lebensmittels missverstanden werden«, so Foodwatch.

Weitere Informationen unter:
Foodwatch.de
www.sabine-wils.eu