200 Wörter gegen Sozialabbau: Als Pfarrer im EU-Parlament

Rolf Stegemann für epd

Europa – Die Koffer sind gepackt, stehen reisefertig bereit. Doch wenn der Pfarrer Jürgen Klute aus Herne den Zug in Richtung Brüssel besteigt, bleibt sein Talar einmal mehr Zuhause im Schrank hängen. Der Theologe der westfälischen Kirche sitzt seit dem vergangenen Sommer für die Partei „Die Linke“ im EU-Parlament. Die Fahrt nach Brüssel ist für ihn eine Reise in eine andere Welt.

Es ist die Welt der EU-Bürokratie, eine Welt der Regeln und Regulierungen, in der Spontaneität Sand im parlamentarischen Räderwerk bedeutet. So sind sämtliche Redebeiträge der Kommissare, Minister und Abgeordneten im Parlament und in den Ausschüssen strengen Vorschriften unterworfen, erzählt der 56-jährige Theologe und Sozialethiker. So sollte der Beitrag eines Abgeordneten nicht länger als zwei Minuten dauern, sonst werde auch schon mal das Mikrofon abgeschaltet. Die Faustregel lautet: 200 Worte müssen reichen.

Die wollen wohlüberlegt sein. Und so liegt die Aufgabe eines EU-Abgeordneten auch darin, „seine Hausaufgaben zu machen“, hat Klute schnell gelernt. Wortmeldungen müssen auf den Punkt ausgearbeitet sein, damit man seine 200-Worte-Chance nicht verspielt. Das ist mühsam, bilanziert der gebürtige Ostwestfale seine ersten Monate als EU-Abgeordneter. Aber es ist „spannend und macht Spaß“.

Wirtschaftspolitik soll Sozialstaat nicht ins Wanken bringen

Als Mitglied und Koordinator der europäischen Linksfraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung musste der Parlamentsneuling gleich ins kalte Wasser der Finanzkrise springen und erlebt eine Europäische Gemeinschaft, die nach seiner Ansicht die Bekämpfung der Wirtschaftskrise „halbherzig“ angeht. Die EU müsse die Maßnahmen der Mitgliedstaaten besser koordinieren. Dadurch könnten die Ursachen der Krise besser bekämpft sowie die Krise zu einem nachhaltigen Umbau der Wirtschaft genutzt werden. Doch dazu bedürfe es auch einer anderen Steuerpolitik, fordert Klute, der auch Mitglied im Bundesvorstand der Linkspartei ist. Andernfalls drohe die Gefahr, dass sich die Wirtschaftskrise wiederhole.

Klute will in Brüssel verhindern helfen, dass die europäische Wirtschaftspolitik den Sozialstaat ins Wanken bringt, wie er sagt. Denn die Forderung der EU, die durch die Finanzkrise verursachten Neuschulden bis spätestens 2014 wieder einzusparen, sei kontraproduktiv und gefährde Arbeitsplätze. Nach dem Willen der EU-Kommission müssten die Mitgliedsländer das Renteneintrittsalter anheben sowie Leistungen im Gesundheitswesen und Pflegebereich zurückfahren.

Anregung: Gemeinsames Sozialwort der europäischen Kirchen

Einen Bündnispartner gegen den europaweiten Sozialabbau sieht der Pfarrer in den Kirchen. Sie könnten durch ein gemeinsames Sozialwort neue Vorschläge für einen „Sozialstaat der Zukunft“ in die Debatte einzubringen, regt Klute an. Das europäische Sozialwort könnte zudem die Frage nach einem einheitlichen europäischen Sozialsystem aufgreifen. Klute verweist darauf, dass in den Niederlanden, in Österreich und in Skandinavien die Kirchen bereits ein aktuelles, grundsätzliches Wort zur Sozialpolitik veröffentlicht hätten. An diesen Äußerungen könnte die Konferenz europäischer Kirchen für ein gemeinsames europäisches Sozialwort anknüpfen.

Die Frage nach der Wirtschaftskompetenz der Kirchen beantwortet der evangelische Pfarrer recht praktisch. Statt sich in wirtschaftstheoretischen Debatten zu verrennen, sollte sich die Kirche auf ihre Kernkompetenz besinnen: Sie sollte an der Seite der Menschen stehen und danach fragen, „wie es den Menschen mit der Wirtschaft ergeht“ und welches die politisch beeinflussbaren Faktoren aussehen.

Der frühere Herner Sozialpfarrer Jürgen Klute versucht, diesen Weg in Brüssel zu gehen. Zielstrebig wie beharrlich. Auch wenn ihm dafür nur 200 Worte zustehen.

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