Europas Sozialdemokraten ducken sich weg
„Die Zustimmung zu José Manuel Barroso zeigt, dass das neugewählte Europäische Parlament in seiner Mehrheit nicht bereit ist, Konsequenzen aus der tiefsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren zu ziehen“, so die Vorsitzende der Delegation der Linken im EP, Sabine Wils, MdEP.
„Das Verhalten der Sozialdemokraten in der Frage Barroso ist ein einziges Armutszeugnis“, so Wils. Im Europawahlkampf forderte die SPD gemeinsam mit den Gewerkschaften eine grundlegende soziale Neuausrichtung der EU. Die SPD versprach dem DGB, nur einen Kommissionspräsidenten zu wählen, der sich klar für eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen einsetzt. Barroso will dies bekanntlich nicht tun. Die SPD hat ihr Wort gegenüber den Gewerkschaften gebrochen. Mitglieder der sozialdemokratischen EP-Fraktion stimmten sowohl für als auch gegen Barroso bzw. enthielten sich.
Die von Barroso in den vergangenen fünf Jahren geführte Europäische Kommission hat nach Wils ihren gewichtigen Anteil am jetztigen wirtschaftlichen Niedergang. Die von ihr verfochtene neoliberale Politik der Flexibilisierung, Privatisierung und Deregulierung trug mit zur Aufblähung der spekulativen Finanzblasen bei. Der europäische Finanzdienstleistungsmarkt wurde unter Barroso zügig ausgebaut, ohne dass hinreichende Kontrollen vorgesehen wurden. Zahlreiche Initiativen des Europäischen Parlaments zur Stärkung der Finanzaufsichtsgremien und zur Kontrolle der Hedgefonds wurden von der Kommission zurückgewiesen.
Mit der Vorlage „Politischer Leitlinien für die nächste Kommission“ hat Barroso deutlich gemacht, dass er auch für die Zukunft an dieser Politik festhalten will. „Mehr Markt, mehr Wettbewerb, weitere Privatisierungen und Deregulierungen sollen Wachstum und Wohlstand bringen, obwohl die Krise überzeugend das Gegenteil beweist“, so Wils. Bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise hat die EU eklatant versagt. Es gibt keine wirklich europäisch koordinierten Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft, sondern nur nationalstaatliche Programme der reichen EU-Länder nach dem Prinzip „Jeder für sich und jeder gegen jeden“. Bereits jetzt werden osteuropäische Mitgliedstaaten durch EU und IWF gezwungen, massiv öffentliche Dienste und den Sozialstaat zu schleifen sowie Löhne und Renten zu drücken. Mit einer „Exit-Strategie“ sollen auch die reicheren EU-Länder ihre Konjunkturprogramme beenden und die Haushaltsdefizite zügig wieder unter die 3-Prozent-Marke drücken. All das verschärft die Rezession. Weiterer ökonomischer Niedergang, mehr Arbeitslosigkeit und mehr Armut in Europa werden die Folgen dieser falschen Weichenstellung sein.
Die heutige Zustimmung des Parlaments ist auch eine Niederlage für die Demokratie in Europa. Die Mehrheit der Parlamentarier hat nicht einmal die Chance wahrgenommen, den von den Staats- und Regierungschefs benannten Kandidaten abzulehnen. Sie hat den Vorschlag des Europäischen Rats lediglich abgenickt. Die Parlamentsmehrheit hat damit gezeigt, dass sie gar kein echtes Europäisches Parlament will. Doch wer sich selbst nicht ernst nimmt, kann auch nicht erwarten, dass er von den Bürgerinnen und Bürgern ernst genommen wird. Ein weiterer Rückgang der Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament wird die Folge sein.