Homepage der ManiFiesta2024
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ManiFiesta 2024: Politik, Begegnungen und Musik am Meer

Konstanze Kriese/Die Redaktion

Anfang September ist die Zeit der Pressefeste linker Tageblätter. Das Wiener Volksstimme-Fest auf der Jesuitenwiese, das Fest der L’Humanité, noch immer ein gesellschaftliches Großereignis vor den Toren von Paris und das „Avante! Festival“ in Portugal, das auch schon seit 1976 organisiert wird, haben seit 14 Jahren eine Schwester in Belgien bekommen: Die ManiFiesta, wird seit 2010 direkt veranstaltet von der PTB/PVDA (Parti du Travail de Belgique)/Partij van de Arbeid van België), kurz: die Belgische Arbeiterpartei, gemeinsam mit ihrer Wochenzeitung Solidair/Solidaire und die ihr nahestehende Gesundheitsorganisation Gezondheid voor het Volk. Die ManiFiesta begann im kleineren Küstenort Bredene und wechselte mit Erfolg ins teils mondäne, teils skurril verbaute Küstenhauptstädtchen Belgiens, nach Ostende. Dort fand am vergangenen Wochenende die ManiFiesta 2024 erneut auf dem Rennbahn-Gelände statt.

 

Die Gastgeberinnen

Auf der ManiFiesta entsteht alljährlich ein interessanter sozialer Kosmos der Kultur, Begegnung und politische Aktion für alle Generationen bietet und von dem man allerhand lernen kann, vor allem, wie man aus der eigenen linken Blase findet, wie man andererseits mit Sympathisant*innen sozialer Gerechtigkeit und rebellischer Ideen, Wege findet, sie auch wirksam zu verfolgen.

Der historische Background der PTB/PDVA als einst maoistisch geprägte, orthodox-marxistisch-leninistische Partei hat das Korsett ideologischer Enge nach den 2000er Jahren zunehmend verlassen, andererseits – geprägt von Beginn an von Streikbewegungen der Bergarbeiter in Limburg und der Ford-Autobauer in Genk (obwohl das Verhältnis zu Gewerkschaften lang recht kompliziert blieb) – schüttete die Partei bei ihrer Öffnung und Moderniserung nicht das Kind mit dem Bade aus. Die PTB/PVDA hält konsequent an Bildungsangeboten und am sozialen Zusammenhalt zwischen allen Generationen durch Pionier – , Student*innen und Jugendorganisationen (Red Fox) fest.

Die PTB/PVDA bietet mehr als Politik im engeren Sinne an. Sie lebt soziale Verankerung, statt sie als abstrakten Wert zu deklamieren. Sport, Spiel, Musik, Kochen, Tanzen und viele Projekte der gegenseitigen Unterstützung im alltäglichen Leben, sei es bei der Gesundheitsvorsorge oder der Suche nach Ausbildungsplätzen, sind selbstverständliches Basisangebot, das durch einen hohen ehrenamtlichen Einsatz geprägt ist. Die Partei entwickelte schon in den 70er Jahren mit medizinisch ausgebildeten Kräften, Ärzt*innen, Schwestern und Pflegern Gesundheitsstützpunkte, verteilt über das ganze Land, welche die „Eintrittskosten“ wie sie beim Arztbesuch in Belgien üblich sind, übernehmen und direkt mit den Krankenkassen abrechnen. Das ist bis heute für Menschen in existenziellen Notlagen und mit wenig Rücklagen ein wichtiges Angebot, um Krankheitszustände nicht zu verschleppen, sondern die nötige medizinische Hilfe anzugehen, wenn sie gebraucht wird. Diese Gruppenpraxen der „Geneeskunde voor het Volk“ (GvhV) – Medizin für das Volk – sind bis heute mit der PTB verbunden und wirksam.

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ManiFiesta2024 – Zentrales Moment Konstanze Kriese

 

Aktuelle Politik in Belgien gegen die Arizona Koalition

Schaut man sich auf der ManiFiesta um und unterhält sich mit den vielen Freiwilligen (Voluntars), 2000 an der Zahl, die das Fest für mindestens 15.000 Beschucher*innen an zwei Tagen mit vollem Programm zu einem großen Erlebnis machen, so lernt man allerhand darüber, dass es schlau ist, wenn eine Partei sozialen Zusammenhalt, auch z. B. mit hohen Mandatsträgerabgaben, vorlebt und auf diesem „Parteialltag“ die strategischen und aktuellen politischen Forderungen aufbaut.

Die politische Forderung der Stunde heißt ganz klar: „Stoppt die Arizona-Koalition!“ aus rechten und liberalen Parteien die u. a. das geltende Rentenrecht zerstrümmern und die Macht der Gewerkschaften, insbesondere die Tarifautonomie in den Arbeitskämpfen weiter einschränken will – beides Felder, die im stratgeischen Portfolio der PTB/PDVA eine große Rolle in der Sozial- und Beschäftigngspolitik spielen.

Um zu den aktuellen Demonstrationen am 16. September gegen diese Entwicklungen aufzurufen, wurde der „zentrale Moment“ der ManiFiesta, de facto die offizielle Eröffnung und Offerte der PTB/PDVA an das ganze Festpublikum mit einem Grußwort von dem Mann eröffnet, der den Spitznamen „Trumps Alptraum (Trump’s Nightmare) trägt, Shawn Fain von der US-Gewerkschaft der Vereinigten Autmobilbauer (United Auto Workers – UAW), der in klaren Worten erinnerte, wer den gesellschaftlichen Reichtum erschafft und deshalb auch tatsächlich die Macht zur Veränderung der Verhältnisse hat, wenn sie denn genutzt wird. Der Parteichef der PTB/PVDA Raoul Hedebouw stand dem charismatischen Gewerkschafter in nichts nach und stimmte die Sympathisant*innen und Mitglieder u. a. auf die kommenden Kommunalwahlen am 13. Oktober ein.

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Rudi Kennes, (PTB), 2.v.l., und seit Juni 2024 auch Europaabgeordneter ist stellvertretender Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats von GM Europe

 

Internationalismus und globaler Blick auf politische Lösungen vor Ort

Was an der ManiFiesta immer wieder überrascht und wirklich berührend ist, ist die Selbstverständlichkeit mit der kommunale und regionale Themen mit einem roten Faden des Internationalismus verwoben sind. Diese Solidarität sitzt so tief in der DNA dieser Belgischen Partei, belebt das Fest, ist auch irgendwie belgisch (abgesehen von nationalistischen politischen Kräften, die es natürlich auch gibt). In der Eröffnung der ManiFiesta 2024, dem „zentralen Moment“ wurde dieser Selbstverständlichkeit nicht nur durch die US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung Rechnung getragen, sondern auch durch eiine Rede und den spontanen Gesang der Tochter Che Guevaras, Aleida Guevara. Sie ist Ärztin in Havanna, war als Medizinerin im Einsatz in Angola und Ecuador und war am Sonntag dann im Studio-Gespräüch mit Elisa Gomez, Ärztin bei „Medicine for the People“ aus Charleroi, zwei Frauen deren Engagament für die allen zugängliche Gesundheitsversorgung weit über ihre Berufung hinaus geht.

Ebenso beeindruckend war bei der Eröffnung der Auftritt der Violonistin und Vokalistin Amel Sdiri, deren Belgische Band wie sie selbst tunesische Wurzel hat und ihrer Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern musikalisch Ausdruck verlieh.

Immer wieder interessant ist, wie gut gefüllt die Zelte bei diversen Debatten zu politischen Großthemen sind, sei es der ökologischen Transformation, der internationalen Arbeitsteilung, den Kriegsgefahren und aktuellen Konflikten, wie in Gaza. Die ManiFiesta wird ganz offensichtlich nicht nur wegen der musikalischen Höhepunkte mit gutem französisch-sprachigen Rock, Pop, Rap, der Elektro-Szene oder der heiß geliebten Silent Disco angesteuert.

Unsere Europaabgeordnete Carola Rackete stand gleich am ersten Tag in einer Debatte um Klima, Migration und globale Verantwortung Rede und Antwort und stellte einleitend klar, dass die Bewältigung des Klimawandels keine Frage der Wissenschaft, keine technische Frage ist, sondern eine Frage der Macht und der sozialen Gerechtigkeit.

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Carola Rackete auf der ManiFiesta2024 Konstanze Kriese

 

Der Bedarf an politischem Aktivismus mit klugen Argumenten, mit Sichtbarkeit und größerer Vernetzung für eine sozial-ökologische Transformation ist in jeder Kommune mitten in Europa genauso aktuell wie in internationalen Entscheidungen, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Migration kooperativ und fair auch für den globalen Süden anpacken. Global die Existenzgrundlagen zu sichern, sauberes Wasser, den Zugang zu Nahrung, Bildung, gesundheitlicher Vorsorge und Kommunikations- und Mobilitätsmitteln allen zu gewähren, sind zwar seit langen in internationalen Verträgen vereinbart, doch der imperiale Kampf der Großmächte, viele Regierungen in den reichen Ländern des Nordens türmen Blockaden und Restriktionen gegen produktive politische Ansätze auf und laufen dabei nationalistischen Parteien auch noch hinterher, statt deren populistische Politik zu entlarven. Dagegen tut die Vernetzung auf der ManiFiesta einfach gut und wir, das waren Jörg Bochmann und Konstanze Kriese, hatten in den vergangenen zwei Tagen durch die Gespräche mit der belgischen Abgeordneten Alice Bernard und dem Wiener Urgestein europäischer Zusammenarbeit, Waltraud Fritz-Klackl, viel Input für die eigenen politischen Projekte, ob im Parlament, in den Kommunen, in Betrieben und sozialen Projekten, ob in Brüssel, in Berlin oder anderswo. Merkt euch einfach den September 2025 vor und kommt nach Ostende ans Meer.

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Alice (PTB/PVDA), Waldtraud (KPÖ) und Konstanze (LINKE) starten einen Rundgang über die ManiFiesta 2024.