Zwischen Zeuthen und Brüssel, Ausgabe 113, 8. September 2023
Abgeordnetenstatut – Welthandelsorganisation – Indien – Gedenken an Salvador Allende – erneuerbare Energien
Liebe Leser:innen,
erinnern Sie sich noch? An einem Dienstag vor genau 50 Jahren wurde in Südamerika eine Regierung von der Macht gebombt, die weltweit Hoffnung auf Veränderung und sozialen Fortschritt gemacht hatte.
Eine Landreform, Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel, die Vergesellschaftung der Bergwerke, täglich ein halber Liter Milch für jedes Kind, wodurch die Kindersterblichkeit um 20 % zurückging… Die Erfolge, die Salvador Allende und sein sozialistisches Regierungsbündnis für die Bürger:innen Chiles durchgesetzt hatten, waren beachtlich. An diesem Jahrestag des von der US-amerikanischen Nixon-Regierung maßgeblich organisierten Putsches gedenken wir der zehntausenden Opfer, die unter der Militärherrschaft Pinochets ermordet, gefoltert und entführt wurden.
Eine Erinnerung auch an uns, nicht müde zu werden, weltweit mutige Aktivist:innen zu unterstützen, die im Streit um Fortschritt und Gerechtigkeit viel aufs Spiel setzen. Vielleicht hatten Sie bei einem der traditionell im September stattfindenden internationalen Pressefeste – in Wien, Lissabon, Paris oder dieses Jahr auch im belgischen Ostende – ja Gelegenheit, sich persönlich über die Auseinandersetzungen in anderen Regionen der Welt zu informieren.
Für mich war die vergangene Woche erneut reich gefüllt mit anregenden Begegnungen und zahlreichen Planungstreffen. Im Handelsausschuss setze ich mich mit meinen Kolleginnen der Koordinierungsgruppe für Gender Mainstreaming dafür ein, den Auswirkungen der Handelspolitik auf Frauen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Für Oktober setzen wir das Thema zentral auf die Tagesordnung des Ausschusses.
Zum Nachdenken hat mich auch das Treffen mit Rahul Ghandi gebracht, dem Oppositionsführer des nunmehr bevölkerungsreichsten Landes, Indien. Wie kann Europa mehr leisten, um die Hoffnungen und Erwartungen einer wachsenden Weltbevölkerung auf ein Leben frei von Armut zu beantworten? Und welche Rolle wird Indien künftig auf der Weltbühne spielen? Diese Fragen hatte der Gast aus dem südasiatischen Land im Gepäck – und sie werden auch eine Rolle spielen bei einem jährlichen Format, auf das ich mich besonders freue.
Denn vom 12.-15. September lädt die Welthandelsorganisation (WTO) erneut zum Public Forum – einer Plattform, die Vertreter:innen aus Regierungen, Wissenschaft, NGOs, Unternehmen und internationalen Organisationen ins Gespräch über die Zukunft eines fairen und regelbasierten Handels bringt. Im Mittelpunkt stehen dieses Jahr Veränderungen hin zu klimafreundlicherem Wirtschaften und die besonderen Herausforderungen, die sich dabei für einkommensschwächere Länder ergeben.
Als EU-Abgeordneter setze ich mich seit Jahren dafür ein, Parlamentarier:innen weltweit stärker in handelspolitische Entscheidungen einzubeziehen. Ich freue mich, dass die aktuelle Generaldirektorin der WTO Ngozi Okonjo-Iweala dieses Anliegen unterstützt – Grund genug, weiter am Ball zu bleiben! Einige der Debatten können online verfolgt werden. Vielleicht sind auch für Sie spannende Themen dabei?
Live verfolgen können Sie wie immer auch die Plenartagung des Europäischen Parlaments. Eine Reihe wichtiger Abstimmungen stehen an: So werden wir strengere Grenzwerte für Luftschadstoffe beschließen; Gewässer und Grundwasser werden besser überwacht, etwa auf Mikroplastik oder Arzneimittelrückstände. Und bis 2030 muss der Energieverbrauch in der EU zu 42,5 % aus erneuerbaren Energien stammen – auf dieses Ziel haben sich Rat, Parlament und Kommission zuletzt geeinigt.
Damit dies gelingt, sollen neue Regeln und Anreize zudem die Beschaffung seltener und strategisch wichtiger Rohstoffe wie etwa Lithium oder seltene Erden erleichtern. Mit meiner Kollegin Conny Ernst im Industrieausschuss habe ich mich dafür eingesetzt, dass Umwelt- und Sozialvorgaben nicht unter den Tisch fallen und dass Schwellen- und Entwicklungsländer bei diesem neuen, globalen Wettlauf nicht auf eine Rolle als Rohstofflieferanten reduziert werden.
Spannend wird es bei der Entscheidung über Änderungen der Geschäftsordnung des Parlaments und des Abgeordnetenstatus. Sicher erinnern Sie sich noch an den „Katar-Korruptionsskandal“ als die belgische Polizei große Summen an Bargeld bei einer amtierenden und einem ehemaligen MdEP sowie bei Angehörigen und Mitarbeiter:innen fand.
Eine Arbeitsgruppe, der ich selbst angehörte, hat sich in zähen, monatelangen Verhandlungen auf neue Regeln geeinigt, die für mehr Transparenz und wirksame Strafen bei schwerem Fehlverhalten von Abgeordneten sorgen sollen. Wir hatten uns für ein Verbot bezahlter Nebentätigkeiten eingesetzt – diese Forderung fand keine Mehrheit. In Griffweite ist dagegen die verpflichtende Offenlegung des Vermögens für Abgeordnete – sowohl zu Beginn ihres Mandats als auch zum Ende. Die Abgeordneten der Unionsparteien und ihre EVP-Kolleg:innen haben im Ausschuss gegen die neuen Transparenzregeln gestimmt. Ein „mutiger“ Schritt wenige Monate vor den EU-Wahlen…
Viel Aufmerksamkeit wird sicher auch die Rede von Kommissionspräsidentin Von der Leyen zur Lage der Union erhalten. Merken Sie sich die Aussprache am Mittwochvormittag vor, wenn Sie aus erster Hand hören möchten, was die Kommission in Sachen Klimaschutz, EU-Erweiterung, Industriepolitik und Nachbarschaftspolitik plant!
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