Machtpolitische Spielchen schaden europäischer Demokratie
Helmut Scholz, verfassungspolitischer Sprecher von DIE LINKE im Europäischen Parlament, erklärt zur Abstimmung über die Zusammensetzung des EP sowie die Abstimmung über Neuregelungen für die EU-Wahlen im Bundestag:
„Sowohl in Berlin als auch in Straßburg sind richtungsweisende Beschlüsse für zukünftige Europawahlen gefällt worden. Die im Bundestag beschlossene Umsetzung der EU-Wahlrechtsreform von 2018 – 5 Jahre nach der Beschlussfassung auf EU-Ebene – ist in dieser Form leider zu kurz gesprungen und einen Schritt zurück hinter dem, was aus europäischer Sicht wichtig wäre. Der Beschluss sieht eine Sperrklausel zwischen zwei und fünf Prozent vor. Die Möglichkeit, als sogenannte kleinere Parteien Abgeordnete nach Brüssel zu entsenden, wird ohne nachvollziehbaren Grund stark eingeschränkt und für mehrere Parteien faktisch abgeschafft.“
„Die politische Vielfalt einzuschränken und dabei den legitim ausgedrückten Wählerwillen von hunderttausenden Bürger:innen einfach wegzuwerfen, schädigt das Vertrauen in die europäischen und die deutschen Institutionen. Da diese Stimmen dann keine Relevanz mehr für das Verhältnis der schlussendlichen Mandate hätten, würden die großen Parteien direkt profitieren und Politikverdrossenheit und -enttäuschung befördern. Die CDU/CSU-Fraktion und die Bundesregierung hoffen offensichtlich, dank der Zwei-Drittel-Mehrheit, die hinter dem Beschluss steht, diesmal mehr Druck auf das Bundesverfassungsgericht ausüben zu können. Wir werden den Willen der Wähler:innen auch zukünftig verteidigen und sind zuversichtlich, dass auch dieser Versuch, demokratische Prozesse auszuhöhlen, schlussendlich vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern wird.“
„Auch im EU-Parlament setzen wir uns als Linke dafür ein, dass der Wille der Wähler:innen entsprechend des tatsächlichen Wahlergebnisses abgebildet wird und kleine Parteien nicht aus dem Parlament gedrängt werden. Zugleich dürfen nationale Partikularinteressen keine Rolle mehr spielen – das Europäische Parlament muss die Alltagssorgen aller Menschen der EU gleichermaßen vertreten und darf seine politischen Entscheidungen nicht an einzelnen nationalen Interessen ausrichten. In diesem Sinn ist durchaus auch der gestrige Beschluss des Europäischen Parlaments über die zukünftige Zusammensetzung des Parlaments sowie die Schaffung transnationaler Listen mit 28 zusätzlichen Sitzen für einen EU-weiten Wahlkreis positiv zu bewerten, um die EU-Wahlen endlich aus einem gemeinschaftlichen europäischen Blickwinkel zu bestreiten.“
„Das Parlament wurde auch mit der Aufgabe betraut, die seit Jahren bislang nicht erfolgreiche Arbeit an der Entwicklung einer allgemeingültigen Formel zur Sitzverteilung auf Grundlage der EU-Verträge und Wahrung des Prinzips der degressiven Proportionalität intensiv weiterzuführen. Um dies langfristig abzusichern und somit auch das Vertrauen der Bürger:innen in politische Institutionen zu erhöhen, brauchen wir endlich eine mathematische Formel im Sinne der degressiven Proportionalität.“