„Wir sind die letzten, fragt uns.“

Erinnerung an Kurt Julius Goldstein am Vorabend des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar

 „Wir sind die letzten, fragt uns.“, heißt ein Sammelband mit Zeugnissen, Reden und Aufsätzen des Journalisten Kurt Julius Goldstein, geb. 1914, Spanienkämpfer, Holocaustüberlebender, jahrelanger Vorsitzender des Internationalen Auschwitzkomitees.

2007 trauerte mit seinen Berliner Genossinnen und Genossen nicht nur die deutsche LINKE, deren Gründung er noch miterlebte. Julius Goldstein verbrachte viel Zeit mit jungen Menschen, erzählte von Freunden, von seiner Flucht vor den Nazis in Deutschland, dem Ende der Hoffnungen in Spanien 1939, die Jahre Palästina und in Frankreich. Er überlebte den Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald. »Wir haben Auschwitz verlassen, aber Auschwitz hat uns nie verlassen. Viele von uns quälen sich noch heute in ihren Auschwitzalbträumen durch die Nächte, und bei manchen sind die qualvollen Erinnerungen in die Tiefen der Gefühlswelt ihrer Kinder und Enkel vererbt« 

Als Journalist und Rundfunkredakteur in der DDR blieb Goldstein ein unbequemer Chronist der Zeit.  So wenig er mit dem Deutschland Adenauers anfangen konnte, dass sich in seinen herrschenden Strukturen über ein Jahrzehnt der Aufarbeitung des Faschismus verweigerte, so hart konnte er mit Enttäuschungen in der DDR und sich selbst umgehen. »Wir hatten zwar gestern den Mut, unter Einsatz unseres Lebens gegen den Faschismus in all seinen Formen und Erscheinungen zu kämpfen. Aber als unsere eigenen Kameraden in der Partei- und Staatsführung den antifaschistischen Gedanken für Deformationen, für Druck und Terror gegen Andersdenkende missbrauchten, haben wir geschwiegen. Aus all dem haben wir unsere Lehren zuziehen.« 

Er sprach 2004, 90 Jahre alt, in Potsdam, jenem historischen Ort, an dem zumindest diplomatisch das Ende des Hitlerfaschismus besiegelt wurde, auf einem Bundesparteitag einer der Vorgängerparteien der deutschen LINKEN, der PDS. Noch mordete der NSU im Dunkeln, doch die Nazis zogen auch in Deutschland schon wieder öffentlich in Landesparlamente ein. „Gerade wir sind zur politischen Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Faschismus verpflichtet.“, sagte Goldstein damals, „Gerade von uns wird erwartet, dass wir der sozialen Demagogie der Rechten den ernsthaften Kampf um soziale Rechte entgegensetzen. Mit uns gibt es weder Geschichtsrevisionismus noch eine Schlussstrichmentalität.“ 

Mit und von Kurt Goldstein konnten wir, Kinder der Nachkriegsgenerationen, lernen, dass der Kampf gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus eine tägliche Aufgabe ist, an die man am 27. Januar lediglich nachdrücklich erinnert. Inzwischen schwindet das Wissen über den Holocaust, europaweit, wie Studien belegen, bei Schülerinnen und Schülern, im öffentlichen Diskurs. Wir müssen solche Entwicklungen umkehren, brauchen die Geschichte gegen den Hass: politisch, kulturell, praktisch, jeden Tag.