Großbritannien beantragt den Austritt aus der EU

Ein Kommentar von Helmut Scholz

Am heutigen Mittwoch aktivierte die britische Premierministerin Theresa May den Artikel 50, womit der Prozess des Austritts des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union (BREXIT), endgültig eingeleitet wird. Nun verhandeln die EU-Kommission und die britische Regierung über die Bedingungen des Austritts und das anschließende Verhältnis zwischen der EU und UK. Dafür bleiben genau zwei Jahre Zeit, d.h. das Vereinigte Königreich wird spätestens ab dem 29. März 2019 kein Mitglied mehr der Europäischen Union sein. Den jetzt eingeleiteten Trennungsprozess kommentiert Helmut Scholz, Mitglied im EP-Ausschuss für Konstitutionelle Angelegenheiten (AFCO):

 

Mit der Notifizierung des Artikels 50 durch die britische Regierungschefin May beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der EU. Zum ersten Mal verlässt ein Mitgliedstaat den Staatenverbund nach dem knappen Ausgang eines BürgerInnenentscheids. Dieser Willen der Bevölkerung ist ernst zu nehmen, auch wenn in den unterschiedlichen Landesteilen des Vereinten Königreichs sehr unterschiedlich zum Pro und Contra abgestimmt wurde. Dieser Riss geht durch die Nationalitäten, durch die Alterspyramide, durch politischen und gesellschaftlichen Strukturen Großbritanniens.

DIE LINKE im EP steht vor der Aufgabe, genau diese Entwicklungen ernst zu nehmen. Wie auch immer sich der Verhandlungsprozess über die Art und Weise des Austritts oder die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen der EU27 und Großbritannien gestalten mag, wie auch immer sich die Bevölkerung im UK dazu verhalten wird, es muss vor allen Dingen klar sein: Die Interessen jener, die abgestimmt haben, dafür oder dagegen, sind genauso ernst zu nehmen, wie die Situation der Bürgerinnen und Bürger in den anderen 27 Partnerstaaten Großbritanniens in der EU.

Die Freizügigkeit, die heute fast 4,5 Millionen Menschen in UK oder auf dem Festland in gewachsene Arbeits- und Lebensverhältnisse gebracht hat, die Arbeit und Freizeit, Freundschaften und auch gerade im Norden Irlands Frieden ermöglicht hat, ist das zu benennende Kriterium für den Erfolg der Verhandlungen im Interesse der Menschen. Viele Fragen sind nun in einem Verhandlungsmarathon zu klären, der alle Aspekte des täglichen Lebens auf der Insel und in der EU berühren wird. Von Chancen für junge Menschen an Universitäten auf der Insel bis hin zu komplexen Fragen des EU-Haushalts, der Wirtschaftsbeziehungen, des EURATOM-Vertrages, oder des kulturellen Austausches, muss alles nun vertraglich und belastbar für ein künftig freundschaftliches Miteinander von Gesellschaft und Staat zwischen Großbritannien und der EU27 geregelt werden.

Es kann deshalb nicht nur um den Schutz von Wirtschaft und Banken vor negativen Konsequenzen des Brexits gehen, sondern gerade auch darum, soziale Standards und Arbeitsrechte zu schützen, zu erhalten und auszubauen.

Zu berücksichtigen ist ebenso, dass Großbritannien fest in die internationale Wirtschafts- und Handelsstruktur eingebunden ist. Der Brexit darf nicht dazu führen, dass London aus der Verpflichtung entlassen wird, zur Überwindung des Nord-Süd-Gefälles, von Armut und Unterentwicklung und zur Umsetzung der UN-Ziele für nachhaltigen Entwicklung USDG) beizutragen.

Wenn Premierministerin May heute öffentlich verspricht, sogleich auch mit den Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen Europäischer Union und Britannien zu beginnen, dann täuscht sie sich selbst und ihre Bevölkerung. Die Position von Rat und Kommission brachte Unterhändler Barnier diese Woche in der Financial Times unmissverständlich zum Ausdruck. Diese Verhandlungen können erst beginnen, wenn die Bedingungen des Austritts ausgehandelt sind.

Zunächst müssen dringliche Probleme gelöst werden wie der Status von 4,5 Millionen Europäerinnen wohnhaft im jeweils anderen Gebiet, sowie die finanziellen Verbindlichkeiten Britanniens.

Die Erfahrung mit britischen Sonderklauseln und Opt outs lassen befürchten, dass die konservative britische Regierung den Brexit und die Gespräche nutzen wird, um einen noch schärferen neoliberalen Kurs einzuschlagen. Das muss verhindert werden. Die Interessen jener, die abgestimmt haben, dafür oder dagegen, sind genauso ernst zu nehmen, wie die Situation der Bürgerinnen und Bürger in den anderen 27 Partnerstaaten Großbritanniens in der EU.