Migration ist die Herausforderung dieses Jahrhunderts!

Gabriele Zimmer, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Juncker! Auch im Namen meiner Fraktion aufrichtiges Beileid und damit verbunden auch unser Mitgefühl für Sie als Mensch, als Jean-Claude Juncker. Das möchte ich Ihnen hier versichern, und ich glaube, da stehe ich auch nicht alleine im Europaparlament.

Doch nun zur Rede, die heute hier gehalten wurde und bei der es ja darum ging, den Zustand der Europäischen Union zu beschreiben und auf die wichtigsten Kernfragen einzugehen. Zur Migrationsproblematik möchte ich einfach zwei Dinge voranstellen: Es ist ja bekannt, dass Zeus die kleinasiatische Prinzessin Europa entführt hat. Und wenn wir ehrlich sind, müssten wir ja eingestehen, dass diese Prinzessin die erste Migrantin Europas war. Sie hat uns den Namen gegeben für den Kontinent. Das sind unsere Wurzeln für uns als Europäerinnen und Europäer. Sie selbst haben vorhin darauf verwiesen, dass es eine Illusion wäre zu glauben, dass das Flüchtlingsproblem in absehbar kurzer Zeit beendet wäre. Ja, es ist richtig: Es ist eine Illusion. Wir haben es in diesem Jahrhundert mit einem der größten Probleme zu tun, und ich gehe davon aus, es muss gleichrangig behandelt werden wie unser Kampf gegen den Klimawandel, als ein gesamtes Problem, als ein globales Problem. Hier müssen wir gemeinsam aktiv werden.

Ich habe Ihre Vorschläge vor allem als Botschaft verstanden, als Botschaft an all jene, die – ob hier in dem Saal, ob hier in Verantwortung von Mitgliedstaaten – verdeckt oder auch klar und offen rassistische Positionen vertreten und meinen, man müsse Europa weiter abschotten, Europa dürfe nicht weltoffen sein, und Europa müsse vor allem für die eigenen Interessen sorgen und müsse sich selbst wieder rückbesinnen vor allem auf nationale und nationalistische Positionen.

Wir werden im Einzelnen Ihre Vorschläge prüfen, manche erscheinen mir als ein guter Schritt, manche gehen mir nicht weit genug. Aber dazu werden wir Gelegenheit haben, in der Diskussion weiterzugehen. Ich unterstütze auf jeden Fall alle Forderungen, die darauf hinauslaufen, dass wir legale Einwanderungsmöglichkeiten schaffen müssen, dass es eine faire, eine solidarische Haltung geben muss und dass wir nicht bei einer Quotenregelung stehen bleiben, die die individuellen Lebensbedürfnisse von Menschen außer Kraft setzt. Familienzusammenführung und ähnliches muss berücksichtigt werden. Wir nehmen Sie beim Wort, dass es um die Durchsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention, des persönlichen Rechts auf Asyl geht, dass hier nichts zurückgefahren werden darf, im Gegenteil, dass diese zu verteidigen sind. Das wird unser Anspruch in der gesamten Debatte auch bleiben.

Aber ich möchte jetzt – auch gerade, weil sich hier eine Verbindung aufdrängt – auf Griechenland und auf unsere Art und Weise, die Probleme regeln zu wollen innerhalb der Union, eingehen. Gerade in der Flüchtlingsfrage und in der Griechenlandfrage kulminiert es doch. Die Bilder von der Insel Kos und von anderen griechischen Inseln haben deutlich gemacht, welch enger Zusammenhang damit besteht, ob ein Staat überhaupt funktionieren kann, ob ein Staat seine Verantwortung wahrnehmen kann, auch gegenüber Flüchtlingen. Im Umgang mit Griechenland, mit dessen Bevölkerung und dessen Regierung sind Tabus gebrochen worden. Demonstrativ wurde ein Land erniedrigt.

Es ist auch deutlich geworden: Die Runde der Euro-Finanzminister hat die Regierung in der Europäischen Union übernommen. Die Regierungschefs sind die Ausführenden, das Europaparlament sitzt im Zuschauersaal, und die Kommission ist – mit Verlaub gesagt – aus der Sicht der Regierung zum Deppen geworden. Diesen Zustand müssen wir beenden! Und wenn Sie hier ernsthaft vorgehen, haben Sie uns auf Ihrer Seite, weil wir nicht wollen, dass die Regierungschefs ihre nationalistischen und kleinkarierten Sichtweisen hier durchsetzen und letztendlich die Europäische Union damit auch zerstören.

(Der Präsident fordert Frau Zimmer auf, zum Schluss zu kommen.)

Sie haben gesagt, wir sollten nicht jedes Wort zählen. Das habe ich auch nicht gemacht bei Ihrer Rede. Aber ich habe geguckt, was in den Prioritäten drinsteht. Es steht nichts zu den sozialen Schwerpunkten in den Prioritäten. Das ist unser Problem. Bitte ändern Sie das! Ändern Sie das, weil das unser gemeinsamer Auftrag ist. Es kann nicht sein, dass das außerhalb unseres gemeinsamen Wirkens bleibt.