Kommissionsarbeitsprogramm 2015: Abgespecktes Weiter-so
Kommission ignoriert soziale, ökologische und kulturelle Herausforderungen.
Einen wenig glamourösen Moment bereitete sich das Europaparlament zum Abschluss seiner ersten Plenartagung des neuen Jahres: Alle sieben Fraktionen legten ihre Stellungnahmen zum Arbeitsprogramm der Kommission vor, keine davon fand eine Mehrheit bei der Abstimmung. Dabei hatte einzig die konservative PPE-Fraktion kritiklose Zustimmung zu diesem wichtigsten Jahresausblick auf die anstehenden EU-Gesetzesinitiativen signalisiert. Alle anderen Fraktionen sind mit der Prioritätensetzung mehr oder minder unzufrieden.
Insbesondere Linke, Grüne und Sozialdemokraten fordern eine sozialere, gerechtere, demokratischere und ökologischere Ausrichtung der Politik der EU. Trotz dieser deutlichen Schnittmengen kam es nur zu Kompromissgesprächen zwischen den großen Fraktionen (PPE und S&D). Aufgrund der unterschiedlichen Grundpositionen war das Scheitern dieses Versuchs, eine große Koalition bilden, jedoch beinahe absehbar.
Martina Michels, zuständige Berichterstatterin der GUE/NGL-Fraktion, kommentiert dazu:
„Es ist schon ziemlich peinlich, dass das Parlament nicht in der Lage ist, eine gemeinsame Antwort auf das Kommissionsarbeitsprogramm zu formulieren. Dabei liegen die sozialen, wirtschaftlichen, ökologischen, aber auch kulturellen Herausforderungen auf der Hand und das uns vorgelegte Strategiepapier gibt darauf keineswegs Hoffnung erweckende Antworten.“
„In unserem Entschließungsantrag bringen wir unsere Kritik am Arbeitsprogramm der Kommission zum Ausdruck und erläutern diejenigen Aufgaben, die dringend umgehend angepackt werden müßten.
Wir wollen einen Politikwechsel hin zu einer sozialeren und gerechteren EU. Politik, Wirtschaft und Finanzmärkte müssen dem Wohl der Menschen dienen. Entscheidungen müssen transparent und nach demokratischen Regeln getroffen werden“, so die Europaabgeordnete der LINKEN. weiter.
Zum Entschließungsantrag der GUE/NGL-Fraktion hier.
Zu den Anträgen der verschiedenen Fraktionen hier.
Die wichtigsten Argumente des Entschließungsantrags der Linksfraktion GUE/NGL:
Die wirtschaftliche, soziale, politische und Umweltkrise kann nur mit einer radikal neuen Politik überwunden werden, die die Menschen und ihre Umwelt ins Zentrum aller Politik stellt, statt in den Dienst der Finanz- und Kapitalmärkte.
Das Kernstück des Arbeitsprogramms, die vom Kommissionspräsidenten Junkcer vorgeschlagene Investitionsoffensive, reicht zur Ankurbelung von Investitionen keineswegs aus. Sie setzt zudem auf die Privatisierung der Gewinne und die Vergesellschaftung der Risiken und hält nicht die zur Überwindung der massiven Nachfrage- und Investitionslücke in der EU notwendigen Finanzmittel bereit. Wir schlagen anstelle des „Europäischen Fonds für Strategische Investitionen“ ein kraftvolles „Europäisches Investitionsprogramm für nachhaltige Entwicklung, Beschäftigung und gesellschaftliche Inklusion“ vor, mit dem hochwertiges und sozial ausgewogenes Wachstum angekurbelt wird.
Die Höhe der Staatsschulden und Außenschulden ist den Ländern am Rand der EU weltweit mit am größten, was von der Asymmetrie des Integrationsprozesses zeugt. Diese Schulden haben ihre Ursache weitgehend in der Rettung von Finanzinstituten, die sich zuvor wegen des Mangels an angemessener Regulierung und demokratischer Kontrolle der Wirtschaft missbräuchliche und spekulative Praktiken geleistet haben. Die so entstandene Staatsverschuldung wird nun zum Vorwand für Sparmaßnahmen genommen, die verschlimmerte Armut, die Verletzung grundlegender sozialer Rechte und Menschenrechte und noch mehr Schulden zur Folge haben. Es ist daher unbedingt geboten, die Schuldenlast in Angriff zu nehmen, auch über die Schuldenumstrukturierung und wesentliche Verringerung neu zu verhandeln und sie damit auf nachhaltige Niveaus zu bringen.
Das Programm REFIT muss neu konzipiert werden. Diese Agenda für bessere Rechtsetzung und Vereinfachung darf nicht als Vorwand für eine Deregulierung genommen wird, die den sozialen Schutz von Arbeitnehmern, den Verbraucherschutz, Umweltnormen, Tierschutznormen und den sozialen Dialog schwächt.
Kommission und die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, endlich die eigentlich Wohlhabenden zu besteuern. Dazu muss eine umfangreiche Strategie geschaffen werden, die konkrete und wirkungsvolle Rechtsetzungsmaßnahmen gegen Steuerschlupflöcher enthält, insbesondere bei internationalen Geschäften, der Verlagerung der Gewinne multinationaler Unternehmen und gruppeninternen Transaktionen und mit denen Offshore-Firmen und Steueroasen verboten und Körperschaftssteuer-Mindestsätze eingeführt werden.
Die gesamte künftige Rechtsetzungstätigkeit muss einer Vorab-Abschätzung der Auswirkungen auf die sozialen Rechte und die Grundrechte unterzogen werden. Insbesondere die Pakete zur wirtschaftspolitischen Steuerung, die Einwanderungspolitik und die EU-Regelungen für die Erhebung, Verarbeitung, Übermittlung und Speicherung von Daten in großem Umfang sollte einer Ex-ante- Bewertung ihrer Verträglichkeit mit den Grundrechten unterzogen werden.
Die dem Strategiepapier der Kommission zugrundeliegende „politische Diskontinuität“ lehnen wir ab, weil damit die Rechte des Europäischen Parlaments als Rechtsetzungsorgan schlicht übergangen werden. Legislativvorhaben zurückzuziehen, kann nur Ergebnis des vorgesehenen demokratischen Beschlussfassungsprozesses sein. Ganz besonders wenden wir uns nachdrücklich gegen die beabsichtigte Zurückziehung des Vorschlags zum Mutterschaftsurlaub, des Abfallpakets, der Überarbeitung der Luftreinhaltungspolitik und der Initiative zur Kreislaufwirtschaft, die wesentlich mit den Zielen nachhaltiges Wachstum, Wohlergehen und Gesundheit der Bürger der EU vom Parlament verabschiedet worden sind.
Hintergrund
Kurz vor Weihnachten hatte die neu gewählte EU-Kommission Arbeitsprogramm für 2015 vorgelegt. Darin enthalten sind ihre politischen Prioritäten und eine Vorausschau auf entsprechende Gesetzgebungsvorhaben. Während die EU weiterhin mit der schlimmsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise seit ihrer Gründung zu kämpfen hat, setzt die Kommission auf ein abgespecktes Weiter-so:
Größtes Augenmerk liegt auf der weiteren Vertiefung von Binnenmarkt und Währungsunion mit Betonung weiterer „Strukturreformen“ und Haushaltskonsolidierung, sowie der Stärkung der Position in den internationalen Handelsbeziehungen mit besonderem Fokus auf das EU-USA-Abkommen TTIP, ohne jedoch die politische Ausrichtung zu ändern, die immer tiefer in die Krise geführt hat.
Soziale und kulturelle Aspekte sucht man vergeblich in diesem Arbeitsprogramm. Klima- und Umweltschutz spielen erst hinter wirtschaftlichen Interessen – Stichworte Versorgungssicherheit und Energiebinnenmarkt – eine vage Rolle. Vielmehr sollen sogar bereits vorliegende und vom Europaparlament schon gebilligte Gesetzesvorschläge zurückgezogen werden, z. B. zur Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, zur Verbesserung der Abfallentsorgungsdienste und der Kreislaufwirtschaft oder zur Verringerung von Luftverschmutzung.
Schließlich verfolgt die Kommission ihr sog. REFIT-Programm weiter, innerhalb dessen weitere 79 vorhandene Gesetze unter dem Schlagwort Bürokratieabbau aufgehoben oder zu verschlankt werden sollen.
Mehr zum Arbeitsprogramm der Kommission auf deren Webseiten hier.