Mini-TTIP, Maxi-Gefahren: Warum auch das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) abgewehrt werden muss

Von Stuart Trew, Kanada, Leiter der Handels-Kampagne von Council of Canadians

Die Menschen in Europa haben Recht, wenn sie durch das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA besorgt sind. Wie in dieser Broschüre bereits dargestellt, würde TTIP beträchtlichen Abwärtsdruck auf die Regulierungen zur öffentlichen Gesundheitsversorgung und zum Verbraucherschutz ausüben, während gleichzeitig US-Konzerne in die Lage versetzt würden, europäische Regeln oder Politiken anzugreifen, wenn diese selbst unbeabsichtigt Investitionsgelegenheiten schmälern würden. Es geht hier nicht nur um ein mögliches Szenario. Deregulierung und mehr Macht für Konzerne sind genau das, was in Kanada passiert ist, nachdem es zunächst einem Freihandelsabkommen mit den USA und später dann NAFTA beigetreten ist.

CETA steht für das „Comprehensive Economic and Trade Agreement“, das die Europäische Union noch immer mit Kanada verhandelt. Während europäische Nichtregierungsorganisationen (NRO) und ParlamentarierInnen gegen das TTIP mobilisieren, ist es wichtig, das Abkommen mit Kanada nicht zu vergessen. Das Europaparlament wird über CETA als erstes abstimmen, voraussichtlich im Frühjahr 2015. Beide Abkommen ähneln einander in vielen Punkten, darunter beim Investorenschutz, in der regulatorischen Kooperation, bei öffentlichen und Finanzdienstleistungen, hinsichtlich Lebensmittel- und Verbraucherschutzstandards und in weiteren sehr wichtigen Gebieten.

 

Nur noch ein bedingtes „Recht zu Regulieren“

Gegen die Empfehlung des Europäischen Parlaments und einer offiziellen Folgenabschätzungsprüfung für die EU-Kommission haben die EU und Kanada ein Investitionsschutzkapitel und ein Investor-gegen-Staat Klageverfahren (ISDS) in das CETA aufgenommen. Multinationale Konzerne nutzen häufig die Drohung mit einem ISDS-Verfahren, um Politiken abzuschwächen oder zu blockieren, die sie als lästig betrachten. Durch ISDS konnten Konzerne Regierungen wiederholt mit Multi-Millionen oder sogar Multi-Milliarden Euro teuren Rechtsstreiten abstrafen, wenn diese im öffentlichen Interesse neue Gesetze erließen.

Ein Beispiel: Das kanadische Öl- und Gasunternehmen Lone Pine Resources verklagt derzeit Kanada auf Basis der Investorenschutzregelung in NAFTA[1] über seine in den USA ansässige Tochterfirma wegen eines von der Provinz Quebec errichtetem partiellen Moratoriums für Fracking unter dem Sankt Lorenz Strom. Das Unternehmen sieht das „wertvolle Recht des Konzerns verletzt, Öl und Gas zu fördern“. Lone Pine verlangt 250 Millionen Dollar Entschädigung. Hier wird deutlich, dass Regierungen mit solchen Investorenschutzabkommen zwar weiterhin ein „Recht zu Regulieren“ hätten, jedoch nur, wenn sie bereits sind, dafür zu zahlen.

Auch ohne TTIP hätten US-Konzerne mit Tochterunternehmen in Kanada leichten Zugang zum CETA-ISDS, um gegen europäische Politiken vorzugehen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass weder CETA noch TTIP einen so exzessiven Investorenschutz beinhalten.

 

Regulatorische Kooperation und Sicherheitsstandards

Wie das TTIP soll auch das CETA-Abkommen ein Kapitel zur regulatorischen Kooperation enthalten. Kanada verfügt hierbei über viele Jahre Erfahrung mit mit den USA im Rahmen von NAFTA. Das Ergebnis ist die weitgehende Harmonisierung von Regulierungen in Bereichen wie Obergrenzen von Pestizidrückständen in Lebensmitteln, Lebensmittelsicherheit, Umgang mit giftigen Chemikalien, Biotechnologie, Kontrolle von Anlagen zur Lebensmittelverarbeitung, Transportsicherheit. Bei letzterem führte die Deregulierung zu so katastrophalen Folgen wie der Explosion eines Öltankers auf dem Lac Mégantic in Québec 2013, die mehr als 50 Menschen tötete.

In CETA soll ein formeller Mechanismus geschaffen werden (ein Arbeitstitel lautet Regulatorisches Kooperationsforum), um „Differenzen im Ansatz zu reduzieren, um mehr Kompatibilität in den Maßnahmen zu erreichen und Handelsbarrieren zu reduzieren.“

Die bestehenden Unterschiede im Ansatz des Regulierungssystems zwischen Europa und Nordamerika sollten nicht unterschätzt werden. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip, während Kanada und die USA einen Risiko-basierten Ansatz anwenden, bei dem die Nachweispflicht, dass ein Produkt oder Verfahren gefährlich ist, auf die Regierung verlagert wird. Ein Ergebnis die entstandene Marktdominanz von genetisch veränderten Agrarprodukten in Nordamerika. Demnächst werden die USA sogar die Zulassung für eine in Kanada entwickelte, genetisch veränderte Lachssorte erteilen.

US Konzerne wie Monsanto und Dow Chemical haben auch Anlagen in Kanada und werden von einem Kapitel im CETA profitieren, dass Regeln zu den technischen Barrieren für den Handel definiert und in Kanada registrierten Personen und Unternehmen ein Mitspracherecht bei europäischen Regulierungen gibt.

So werden Situationen wie die Auseinandersetzung um die EU-Richtlinie zur Treibstoffqualität normal, bei der die kanadische Regierung alles versucht, um europäische Klimaschutzgesetze zu verhindern, die den Handel mit Teersanden behindern könnten.

 

Öffentliche Dienstleistungen und Investitionen

Die CETA-Verhandlungen schaffen einen weiteren wichtigen Präzedenzfall für das TTIP. Die EU-Mitgliedstaaten sind gezwungen, alle Dienstleistungen sowie Investitionen betreffende Politiken explizit aufzuführen, die nicht unter das Abkommen fallen sollen. Dieser Ansatz einer „Negativ-Liste“, den sowohl Kanada als auch die USA in ihren Handelsverhandlungen anwenden, erzeugt mehr Druck zur Liberalisierung als die von der EU bislang verwendete „Positiv-Liste“. Die Mitgliedstaaten stehen unter enormem Druck, es von Anfang an „richtig“ zu machen, um für sie wichtige Dienstleistungen von der Liberalisierungsverpflichtung auszuklammern. Neue Dienstleistungen der Zukunft würden automatisch unter das CETA fallen. Selbst wenn ein Sektor ausgeschlossen wurde, wie zum Beispiel Trinkwasserdienstleistungen, könnte eine Entscheidung zur Re-Kommunalisierung einst privatisierter Dienste zu einer Klage unter dem ISDS-Verfahren führen. So wird durch CETA das Parkett bereitet, auf dem US-Unterhändler aufbauen können, um ungehinderten Zugang zum EU-Markt für ihre größten Dienstleistungsunternehmen einzufordern.

 

Ähnliche Ökonomien, ähnliche Verträge

Es gibt noch viele weitere Bereiche der Übereinstimmung von CETA und TTIP, darunter ein ACTA-Plus und ein TRIPS-plus Kapitel zu Urheberrechten, durch das der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten weiter verschlechtert würde. Verpflichtungen zur öffentlichen Beschaffung verbieten es kommunalen Auftraggebern, Steuergelder zu verwenden, um kleine Unternehmen und die regionale Entwicklung gezielt zu fördern. Das Kapitel zu Finanzdienstleistungen unterstellt neue Banken-Regulierungen dem ISDS-Verfahren und gefährdet so Politiken zur Finanzmarktstabilisierung und zur Krisenbewältigung.

In Kanada hat sich eine bedeutende Opposition gegen das CETA formiert. Gewerkschaften, Umweltschutzgruppen, Kleinbauern, Studierende und NRO sehen in diesem Abkommen eine Bedrohung für Demokratie, gute Arbeitsplätze und die Umwelt. Diese Gruppen haben sich im Trade Justice Network zusammengeschlossen, darunter auch Kanadas größte Gewerkschaften des öffentlichen und privaten Sektors, die Millionen von Beschäftigten repräsentieren. Im Jahr 2010 formulierte das Netzwerk eine Liste von 11 Bedingungen, die das CETA erfüllen müsste, um akzeptiert werden zu können. Keine von ihnen wurde erfüllt. So entwickelte sich eine klare Position des Bündnisses, die das Abkommen EU-Kanada ablehnt und nicht lediglich reformieren will. Leider gibt es nur wenig Hoffnung, dass diese Position die parlamentarische Entscheidung in Kanada beeinflussen wird. Die konservative Regierung hält die Mehrheit der Mandate im Unterhaus und wird ein Veto gegen jeden Änderungsvorschlag der Opposition erheben. Die nächsten Wahlen kommen voraussichtlich nicht vor Oktober 2015. So setzen die Mitglieder des Trade Justice Networks ihre ganze Hoffnung darauf, dass das Europaparlament jedes Abkommen blockieren wird, das nicht den Interessen der Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks dient.

 

Wer sich außerhalb und innerhalb der Parlamente für fairen Handel einsetzen möchte, findet unter folgendem Link viele durchgesickerte CETA-Dokumente: http://eu-secretdeals.info

Das technische Dokument der kanadischen Regierung zur erzielten „prinzipiellen Einigung“ findet sich unter: http://www.actionplan.gc.ca/en/page/ceta-aecg/technical-summary

 

 

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Schneider. Stuart Trew beginnt in Kürze eine neue Tätigkeit. Council of Canadians erreichen Sie über seinen Nachfolger Scott Harris sharris@canadians.org.

 

 

 

[1] NAFTA ist das Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko