TTIP: Große Koalition – Große Politik

Von Thomas Nord, MdB, Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Mitglied im Wirtschaftsausschuss

Nach 100 Tagen Großer Koalition sind keine drei Monate, sondern bereits ein halbes Jahr der neuen Wahlperiode vergangen. Dennoch wird derzeit über einen Fehlstart gesprochen, über ein Stolpern ins Amt und darüber, dass der SPD Vizekanzler Gabriel Hans Dampf in allen Gassen ist. Aber gerade dann, wenn man auf das Thema Freihandelsabkommen zwischen EU und USA schaut, ist letzteres eine Fehldiagnose. Es ist nicht viel zu erkennen, womit der Wirtschafts- und Energieminister in Punkto TTIP in der Öffentlichkeit initiativ geworden wäre.

 Erst mit Beginn der öffentlichen Konsultationen der EU-Kommission und erheblichem Druck der Partei-Linken in der SPD hat er Ende März einen Brief[1] an EU Handelskommissar De Gucht geschrieben, in dem er ISDS am Ende einen für die Bundesregierung sensiblen Punkt nennt, an dem das Freihandelsabkommen scheitern könnte. „Die Bundesregierung hat ihre Haltung, das spezielle Investitionsschutzvorschriften in einem Abkommen zwischen der EU und in [sic!] den USA nicht erforderlich sind, bereits bei der Erörterung des Verhandlungsmandats deutlich gemacht. Unsere Auffassung ist, dass die USA und Deutschland hinreichenden Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewährleisten.“ schreibt Gabriel. „In jedem Fall muss ausgeschlossen sein und bleiben, dass allgemeine und angemessene Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen, die in demokratischen Entscheidungen rechtstaatlich zustande kommen, ausgehebelt oder umgangen werden oder dass ein Marktzugang eingeklagt werden kann.“ Am Ende werden wir ihn an diesen Worten messen. Noch in der gleichen Woche startete der Minister eine Charme-Offensive gegenüber dem DGB, um Herrn Sommer von den Vorzügen des TTIP zu überzeugen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.  Die Bundeskanzlerin äußert sich in ihrer letzten Regierungserklärung zur EU eher in einer Nebenpassage zum Freihandelsabkommen. Es dürfe nicht scheitern. Sie klingt wie eine Gebetsmühle, mit der sich die Regierungsfraktionen gleichsam Mut zusprechen in einer Angelegenheit, die in Windeseile zu einem der umstrittensten Gegenstände der aktuellen Politik geworden ist.

Im Ausschuss für Wirtschaft und Energie hat Gabriel Position zum Entwurf der EEG-Reform bezogen und zum Nationalen Reformprogramm, ebenso zu eventuellen Sanktionen gegen Russland in der Frage der Zugehörigkeit der Krim. Mit der Besetzung der Krim wird Putin eine Rückkehr zu den politischen Methoden des 19. Jahrhunderts unterstellt. Stimmt, die Verwandlung einer politisch-militärischen in eine politisch-ökonomische Konfrontation kann man vor dem Hintergrunde der Geschichte im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts als fortschrittlich beschreiben. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Beginn des Baus einer Neuen Weltordnung wurden ehemals militärisch gesicherte Räume in neoliberal verflochtene Wirtschaftsräume verwandelt. Deshalb heißt das Vorhaben einer Freihandelszone TTIP eben auch Wirtschafts-NATO. Es war die Aufgabe der NATO im Kalten Krieg an vorderster Front für den Zusammenhalt der Blöcke einzustehen. Doch erst dann, wenn man nicht nur TTIP sagt, sondern auch TPP, die Trans-Pacific Partnership, wird aus globaler Perspektive die neue Blockbildung sichtbar. TTIP und TTP, wenn abgeschlossen, werden der ehemalig verbliebenen Supermacht USA eine neue Mittenstellung bringen, an deren linken und rechten Flügeln eben der pazifisch oder der atlantisch angebundene Raum stehen. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass die Eurasische Union (nun ohne die Ukraine) 2015 gegründet werden und das TTIP gleichzeitig in den Ratifizierungsprozess gehen soll.

Die Eurasische Zollunion, räumlich angrenzend an China und die Freihandelsabkommen TTIP bzw. TTP (und auch CETA) sind Meilensteine in der vor uns liegenden globalen Auseinandersetzung um die Vormachtstellung zwischen den aufstrebenden Mächten der sogenannten BRICS-Staaten und dem „alten“ Westen. Diese wird laut EU-Handelskommissar Karel de Gucht über Normensetzung geführt. Da Russland hier eindeutig in der Achse zu China steht, ist die Linie Beijing – Moskau die eigentliche Stellung, die gerade durch die Integration der Ukraine in die EU geschwächt werden soll. Nebenbei bemerkt, es steht in diesem territorialen Raumordnungsverfahren 2:1 für die EU, die nun laut nach Sanktionen gegen Russland ruft, weil sie die Krim nicht bekommt, Russlands militärischen Stützpunkt und Zugang zum Mittelmeer.

Es darf bezweifelt werden, dass eine Auseinandersetzung, in der Territorien wie im 19. Jahrhundert Einflusssphären neu zugeordnet werden, auf Dauer in der Ebene von Wirtschaftssanktionen gehalten werden kann. Die „neue“ Bundesregierung hat einen aktiveren Part, als sie nach außen darstellt. Äußerungen von der Verteidigungsministerin und dem Außenminister über die neue Rolle und die neue Verantwortung Deutschlands in der EU und der Welt können diesbezüglich nachgelesen werden. Die Große Koalition betreibt Große Politik. Das Vorantreiben von TTIP ist aus dieser Sicht ein unverzichtbarer Baustein für eine vermeintlich Neue Weltordnung, die doch nur die Vormachtstellung des alten Westen verteidigen soll.

 

Thomas Nord ist Mitglied der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Er ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Sie erreichen ihn über thomas.nord@bundestag.de„>thomas.nord@bundestag.de

 

[1] http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/B/brief-sigmar-gabriel-de-gucht-zum-investitionsschutz-beim-ttip,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf