TTIP: Das Verhandlungsverfahren
von Helmut Scholz und Bernd Schneider
Im Juni 2013 beauftragten Angela Merkel und ihre Kollegen im Rat der Regierungen der Mitgliedstaaten der EU die EU Kommission damit, mit der Regierung der USA Verhandlungen über das größte Freihandelsabkommen aller Zeiten zu beginnen: das TTIP. Seit dem Lissabonvertrag sind Handelsabkommen in der alleinigen Kompetenz der EU und gelten dann für alle Mitgliedstaaten. Geführt werden die Verhandlungen vom Handelskommissar Karel De Gucht, einem bekennenden Neoliberalen aus Belgien. Spitzenbeamter am Verhandlungstisch ist Ignacio Bercero. Am Ende der Verhandlungen wird der fertige Vertragstext dem Rat und dem Europaparlament zur Ratifizierung vorgelegt. Stimmt eine der beiden Institutionen mit Nein, ist das Abkommen abgelehnt, wie zuvor bereits bei ACTA geschehen. Sollte das Abkommen auch Elemente enthalten, die nicht in der alleinigen Kompetenz der EU stehen, bspw. Visa-Vereinbarungen, so wird es auch in den Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden müssen (so geschehen zum Beispiel beim Abkommen mit Peru und Kolumbien, das auch Bundestag und Bundesrat vorgelegt wurde).
Der Rat beschloss ein konkretes Verhandlungsmandat, das De Gucht für fast alle Wirtschaftssektoren freie Hand zur Liberalisierung gibt. Explizit ausgenommen wurden lediglich die audiovisuellen Dienstleistungen, wie von Frankreich und einer Mehrheit im Europaparlament gefordert. Das Dokument wurde insbesondere auf Druck der deutschen Regierung als geheim eingestuft, sickerte jedoch bereits 2013 kurz nach Beschluss aus einem der Mitgliedstaaten durch und wurde von Nichtregierungsorganisationen (NRO) im Internet veröffentlicht. Neun Monate später veröffentlichten einige grüne Europaabgeordnete zudem auch eine deutschsprachige Fassung im Web.
Auf Basis des Mandats haben bis März 2014 bereits vier Verhandlungsrunden stattgefunden. Eine fünfte ist in Washington ab 19. Mai, also Woche der Wahlen zum EP angesetzt. Die sechste Runde soll Ende Juni oder Anfang Juli in Brüssel tagen. Bei diesen Verhandlungen kommen jeweils an die hundert Beamte von EU Kommission und US Regierung zusammen und arbeiten in etwa zwanzig Arbeitsgruppen die Kapitel des späteren Abkommens aus. Anfangs verkündete man noch das ehrgeizige Ziel, bis Ende 2014 zum Abschluss zu kommen, also noch vor dem Ende der Amtszeit der jetzigen EU Kommission und vor den im November anstehenden Mid Term Elections zum amerikanischen Kongress. Das wäre Rekordzeit gewesen. Solche Verhandlungen dauern in der Regel drei bis acht Jahre. Besonders die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit sorgte jedoch für einen schwierigen Verhandlungsauftakt. Inzwischen lautet der Plan, in 2014 lediglich die konkreteren Verhandlungsrunden der Jahre 2015/16 vorzubereiten, wohl auch um das Thema aus den Wahlkämpfen herauszuhalten.
Vor und nach jeder Verhandlungsrunde informiert die Kommission die TTIP Beobachtungsgruppe des federführenden Handelsausschusses (INTA) des EP und den Handelsausschuss des Rates (1) über Ziele und Verlauf der Runde. Dies geschieht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur Abgeordnete aus dem INTA und
Ausschussvorsitzende anderer Ausschüsse werden geladen. Auch deren Mitarbeiter dürfen anwesend sein. Zumindest anfangs war der Informationsgehalt allerdings geringer als die Lektüre der Financial Times oder gut informierter Webseiten (2), inzwischen gibt es da eine Besserung.
Die MdEP im INTA erhalten einige Dokumente auch schriftlich per Email, noch geheimere Dokumente gehen ausschließlich gedruckt und gegen Unterschrift an die Koordinatoren der Fraktionen im INTA, darunter auch Helmut Scholz als einem von sieben Europaabgeordneten. 95 Prozent der Europaabgeordneten haben also genau so wenig Einblick in die Verhandlungsdokumente wie die Bürgerinnen und Bürger der EU und der USA. Der Mangel an Transparenz der Verhandlungen ist einer Demokratie unwürdig und völlig inakzeptabel. Viele Fachausschüsse versuchen nun, sich durch Anhörungen einen besseren Informationsstand zu verschaffen.
Zudem hat die Kommission im Februar 2014 ein Beratergremium (3) geschaffen, in dem Organisationen der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft vertreten sind. Bis Anfang April gab es lediglich eine konstituierende Sitzung. Um Rat wurde bislang nicht gebeten. Die Runde erhält auch einen Teil der EU Verhandlungsdokumente, allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Das erzeugt den Geschmack einer Alibi-Veranstaltung. Dokumente der US-Seite werden weder Rat, noch Parlament, noch US Kongress noch Beratergremium vorgelegt, da sich die US Regierung sperrt.
Während das Europaparlament am Ende über den Gesamttext abstimmt und einzelne Kapitel nicht ändern kann, dürfen die Mitglieder des US Kongresses Änderungen verlangen. Präsident Obama versucht das zu vermeiden, indem er Antrag auf ein so genanntes Fast Track Verfahren beim Kongress gestellt hat. Nehmen die Abgeordneten das entsprechende Gesetz an, so verpflichten sie sich, den fertigen Vertrag ohne weitere Änderung in wenigen Monaten zu ratifizieren. Im Gegenzug dürfen sie ein sehr eng gefasstes Verhandlungsmandat definieren, von dem die Unterhändler nicht abweichen dürften. Eine Mehrheit der Demokratischen Partei und viele Republikaner lehnen dies derzeit ab und es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass vor dem amerikanischen Kongresswahlen im November 2014 eine Zustimmung erfolgt.
Die EU Kommission nimmt das in diesem Jahr noch gelassen, hätte aber Probleme mit einer fortgesetzten Weigerung in 2015, wenn es am Tisch konkret werden soll, da in den Verhandlungen erreichte Ergebnisse vielleicht vor dem Kongress keinen Bestand hätten. Denn auch dort sehen sich die Abgeordneten mit einer immer lauter werdenden öffentlichen Debatte über die Gefahr der Standardherabsetzung durch das TTIP konfrontiert. Befürchtungen gehen von konkreten Sorgen durch eine Unterwanderung der strengeren US-Finanzmarktregulierungen bis hin zu vielleicht weniger fundierten Ängsten, durch TTIP könnten Europas Brauereien den Alkoholausschank an unter 21-Jährige erzwingen.
Der Autor ist Mitarbeiter des Europaabgeordneten Helmut Scholz in Brüssel und zuständig für den Ausschuss für Internationalen Handel im Europaparlament. Sie erreichen ihn unter bernd.schneider@ep.europa.eu
(1) Dessen Dokumente stehen im Prinzip auch den Abgeordneten des Bundestages zur Verfügung.
(2) Empfehlenswert sind
http://www.bilaterals.org/
http://insidetrade.com/
http://www.ttip-unfairhandelbar.de/
(3) Die List der Mitglieder finden Sie hier:
http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/january/tradoc_152102.pdf