von Gabi Zimmer

Viele von uns erinnern sich noch an das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI). Damals ging es bereits um die Stärkung der Rechte internationaler Investoren. Dank eines breiten Protestbündnisses wurde das Abkommen abgelehnt. Etwas frischer sind unsere Erinnerungen an das ACTA-Abkommen. Auf Grund erfolgreicher Proteste der Zivilgesellschaft wurde die Freiheit des Internets gegen die Profite der Unternehmen verteidigt und das Abkommen durch das Europäische Parlament abgelehnt. Zurzeit haben wir es mit einer weiteren Attacke zu tun, die wir in Anlehnung an die „Occupy-Wall-Street“-Bewegung als Attacke des reichsten Prozent der Bevölkerung gegen die restlichen 99 Prozent bezeichnen können: die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).

Bei diesen Attacken versuchen internationale Unternehmen demokratische Entscheidungen von Staaten auszuhöhlen, um ihre Profite zu maximieren. Dabei gerät zunehmend der öffentliche Sektor ins Visier der „Global Player“. Die EU-Kommission stellt sich dem nicht entgegen.

Im Namen von mehr Wettbewerb sollen staatliche Monopole der öffentlichen Daseinsfürsorge aufgebrochen und dem Markt preisgegeben werden. Dabei getätigte Investitionen von Unternehmen werden immer öfter durch Verfahren vor Sonder-Schiedsgerichten (ISDS) gegen staatliche Interventionen abgesichert. Konzerne erhalten den gleichen Status wie Regierungen.

Während die EU-Kommission mit den USA über solche Schiedsgerichte innerhalb des TTIP verhandelt, erfahren wir Dank einer Studie von Corporate Europe Observatory (CEO) und dem Transnational Institute (TNI), dass dubiose Finanzinvestoren Griechenland, Spanien und Zypern auf weit über 1,7 Milliarden Euro Schadensersatz vor privaten internationalen Schiedsgerichten verklagen. Grund: Sie hatten trotz der Krise mit hohem Risiko in diese Staaten investiert, die dann aufgrund der Krise jedoch zu unterschiedlichen Maßnahmen greifen mussten, durch die Profiterwartungen der Investoren geschmälert wurden. Wir sprechen von jenen Staaten, die durch Forderungen der Troika dazu gezwungen wurden, unter anderem ihre Häfen, Wasser-, Transport- und Energieunternehmen zu privatisieren.  Öffentliches Eigentum wird weit unter seinem Wert verscherbelt und Entscheidungen von demokratisch gewählten Regierungen werden attackiert, sobald sie den Profiterwartungen internationaler privater Akteure in die Wege kommen. Was ist das anderes als Klassenkampf von „oben“?!

Anstelle eines Umdenkens, das die Menschen in den Mittelpunkt der Krisenbewältigung stellt und einen „New Deal“ für Europa mit einem öffentlichen Investitionsprogramm umsetzt, tritt man die Flucht nach vorne an. Frei nach dem Motto: „Never waste a good crisis“ versucht man mit dem transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft die Umverteilung von unten nach oben weiter voranzutreiben.

Verhandlungen darüber finden hinter verschlossenen Türen statt. Fragen  nach dem Verhandlungsstand über öffentliche Dienstleistungen werden mit Verweisen auf Regelungen im „Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS) abgewiegelt. Man solle sich keine Sorgen machen.

Wenn dem so ist, warum fürchten dann britische Abgeordnete um ihr Gesundheitssystem? Warum fordert die Kommission dann die Abschaffung von Buy-AmericaProgrammen der US Regierung, die amerikanische Produzenten bevorzugt? Warum hört man von amerikanischer Seite die Forderung,  alle staatlichen Monopole bei öffentlichen Dienstleistungen in den Verhandlungen zu thematisieren?

Wenn die Kommission auf die von der EU im GATS deklarierten Ausnahmen bestimmter öffentlicher Dienstleistungen verweist, bezieht sie sich dabei lediglich auf Dienstleistungen, „die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden,“  sowie aus „jede Art von Dienstleistung, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht wird.“

Mit dem letzten Teil der Definition wird klar, warum sich britische Abgeordnete um ihr Gesundheitssystem Sorgen machen. Denn im Gesundheitssystem sowie bei Energie, Bildung, Post, Transport etc. gibt es mittlerweile jene privaten Dienstleistungserbringer und somit besteht ein Wettbewerb.

Diese Definition sieht die Kommission in einer Erklärung im Oktober 2011 auch als beste Verhandlungsbasis bei zukünftigen EU-Handelsabkommen. Der  Liberalisierungsdruck wird mit diesen Abkommen erhöht. Die bis dahin angewendete Ausnahmeklausel für bestimmte öffentliche Dienstleistungen ist nach Meinung der EU-Kommission mittlerweile „zunehmend schwierig zu verstehen, zu erklären, zu rechtfertigen und zu verteidigen.“ Somit habe diese ausgedient.

Diese Auffassung hat in Kombination mit einer so genannten „Negativliste“ bei den TTIP-Verhandlungen verheerende Auswirkungen für den Schutz von öffentlicher Daseinsfürsorge. Nach dem Prinzip „list it or lose it“ müssen einzelne Dienstleistungen, die von Liberalisierung ausgeschlossen werden sollen, spezifisch aufgeführt werden. Alle anderen Dienstleistungen werden automatisch zur Liberalisierung freigegeben. Bei dem Freihandelsabkommen mit Kanada wurde dieses Verfahren bereits angewendet. Damals hatte das Europäische Parlament in einer Entschließung angemahnt, „dass dieser Ansatz als reine Ausnahme zu betrachten ist und nicht als Präzedenzfall für künftige Verhandlungen dienen darf“. 

Bei vorherigen Freihandelsabkommen wurde das Prinzip einer „Positivliste“ verfolgt.  Dabei mussten umgekehrt jene Bereiche aufgelistet werden, die zur Liberalisierung freigegeben werden sollen. Bei diesem Ansatz hatten Staaten mehr Handlungsspielraum. Ohne eine gewisse Flexibilität, besonders bei zukünftigen Entscheidungen zur Re-Kommunalisierung von Dienstleistungen, werden Staaten und somit den Bürgerinnen und Bürgern wichtige Instrumente der selbstbestimmten Gestaltung der Daseinsvorsorge  genommen.

TTIP betrifft auch das öffentliche Beschaffungswesen, durch weitere Ausschreibungspflichten bis hin zur kommunalen Ebene sowie durch das ISDS. In der EU gelang es einem breiten Protestbündnis, Wasser aus der Liberalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe durch die Konzessions-Richtlinie herauszunehmen. Unter TTIP wäre diese Errungenschaft wieder Verhandlungsmasse. Kommunale Unternehmen sind ohne schützende Gesetze oft nicht in der Lage, sich im Wettbewerb mit internationalen Unternehmen zu behaupten. Staat, Ländern und Kommunen würde ein wichtiges Instrument zur Förderung von lokalen Wirtschaftskreisläufen genommen. Auch vertragliche Bedingungen zur Einhaltung von ökologischen und sozialen Qualitätsstandards und Mindestlöhnen sind dann gefährdet. Der Bayrische Städtetag warnte bereist hinsichtlich TTIP vor einer Bedrohung der kommunalen Daseinsfürsorge.

Wir müssen TTIP stoppen. Unsere öffentlichen Dienste werden durch TTIP gefährdet. Es reicht nicht aus, Ausnahmen zu fordern. Wer sollte diese denn umsetzen? Die EU-Kommission oder ihr Gegenüber aus dem US-Handelsministerium?  Wer einen Teich trocken legen will, der wird nicht mit den Fröschen reden.  Deswegen muss TTIP gestoppt werden.  Das haben wir bei MAI geschafft, das haben wir bei ACTA geschafft und das werden wir bei TTIP schaffen! Handeln Sie jetzt und unterzeichnen Sie den Aufruf eines breiten Protestbündnisses: http://www.ttip-unfairhandelbar.de/!

 

Gabi Zimmer ist Fraktionsvorsitzende der GUE/NGL und Mitglied im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Sie erreichen die Autorin unter gabi.zimmer@ep.europa.eu