Gabi Zimmer, DIE LINKE.: EU vor unlösbaren Problemen
Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der Linken GUE/NGL im Europäischen Parlament:
„Frau Präsidentin! Herr Callanan, was Sie als uralte Agenda bezeichnen, ist doch in erster Linie der Traum der Menschen, in Würde und gleichberechtigt leben zu können. Was bezeichnen Sie daran als uralte Agenda? Aus welcher Klamottenkiste sind Sie denn heute hier herausgesprungen und versuchen, uns einzureden, dass das, was für viele Menschen seit Jahrzehnten – im Prinzip seit 1789 – ein Wert ist, keiner mehr sein soll? Da versuchen Sie uns hier zu erklären, dass das nichts im Europäischen Parlament zu suchen hat? Sollen wir uns einstellen auf das, was wir hier gestern zum Bericht-Estrela erlebt haben? Dass letztendlich versucht wird, Grundrechte, und wenn es die auf die gesundheitliche Reproduktion sind, wieder zurückzudrehen? Wollen Sie dahin zurück? Ist das Ihr Traum von einem Europa? Das kann doch wohl nicht ernsthaft gemeint sein!
Was wir gestern erlebt haben, ist doch ein Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen während des europäischen Wahlkampfs. Und ich sage, gerade Ihnen in der Kommission und im Rat, Sie tragen wesentlich mit Verantwortung dafür, ob wir in der nächsten Legislaturperiode noch mehr Rechtspopulisten, national denkende Leute hier sitzen haben, oder ob es hier Menschen gibt, die wirklich für eine Europäische Union streiten, in der sich alle wiederfinden und die auch Lösungen parat hält, die wirklich zukunftsfähig sind.
Wenn ich mir die Agenda des Gipfels angucke, dann klingt das wunderbar. Da wird über die digitale Agenda geredet, das klingt alles zukunftsfähig. Wenn wir uns aber in die Augen schauen, dann wissen wir genau, dass die Institutionen gegenwärtig nicht in der Lage sind, die Aufgaben der Gegenwart zu lösen, und dass sie noch nicht einmal die Aufgaben, die aus der Vergangenheit resultieren, wirklich in Angriff zu nehmen.
Wir reden hier darüber, dass es in einer Art von Annex eine Position oder eine Verständigung für die Flüchtlingspolitik geben soll. Wir reden nicht darüber, was denn eigentlich die Gründe sind, warum Menschen hierher kommen, warum wir als Europäische Union verpflichtet sind, legale Wege zu schaffen, damit Menschen, die vor Hunger, Klimakatastrophen, Kriegen oder Armut fliehen, wenigstens menschlich behandelt werden, und dass wir uns diesen Werten verpflichtet fühlen müssen.
Wer die Europäische Union rundum abschottet, muss sich nicht wundern, wenn Menschen nach illegalen Wegen suchen. Das heißt, wenn wir etwas geregelt haben wollen, wenn wir unserer Verpflichtung als Europäische Union nachkommen wollen, dann müssen wir Tore finden, die genau die Möglichkeiten schaffen, dass Menschen erst einmal nicht sofort kriminalisiert werden, wenn sie den Weg in die Europäische Union suchen. Das ist unsere Verpflichtung.
Wenn ich mir dann anschaue, wie wir es nun mit dem MFR und mit den Teilen des Haushalts halten, kann ich einfach nicht anders, als jetzt an diesem Punkt noch einmal anzusetzen: Wir werden – und das muss noch einmal klar gesagt werden –, selbst wenn die 3,9 Milliarden gezahlt werden, ein Defizit von 5 Milliarden in das nächste Haushaltsjahr hineinschieben. Ich hätte gerne eine ganz klare Auskunft: Wie hoch ist der Anteil des Haushalts 2014, der für Verpflichtungen aus dem MFR 2007-2013 noch zu zahlen ist? Damit wir überhaupt einmal wissen, wovon wir hier reden. Wie hoch ist dieser Anteil?
Wo ist denn überhaupt noch eine Gestaltungsfähigkeit für die nächsten Jahre? Es ist doch jetzt schon vorprogrammiert, dass wir im nächsten Jahr wieder einen Nachtragshaushalt nach dem anderen haben werden. Wir wissen, dass die Zahlungsunfähigkeit dann auch im nächsten Jahr wieder vor uns schweben wird. Wann bringen Sie den Laden in Ordnung? Wann bringen Sie Ihren Haushalt in Ordnung? Warum lassen wir uns von Finanzministern der Mitgliedstaaten diktieren, dass es sie nicht schert, was wir hier im Europaparlament gemeinsam mit dem Rat vorher beschlossen haben.
Der Haushalt und der MFR, alles, was vorher beschlossen wurde, ist gemeinsam beschlossen worden. Das ist nicht irgendeine Erfindung des Parlaments. Dazu müssen die Länder stehen, und das tun sie einfach nicht, und das muss doch einmal auf den Tisch. Das gehört zu den Verpflichtungen. Das ist meinetwegen eine uralte Agenda, nämlich zu sagen: Die Solidarität ist die Grundfeste der Europäischen Union.
Und wenn einzelne Mitgliedstaaten hier aufgeben, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir bei den Wahlen die Quittung kriegen. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn künftig hier vielleicht halbe-halbe oder noch ganz andere Verhältnisse herrschen und keine normale, kulturvolle, tolerante Debatte mehr stattfinden kann, wenn es um Grundwerte geht, nämlich um Menschenrechte, um die Rechte von Menschen, in Würde zu leben. Das ist der Anspruch, oder wir lassen es sein. Dann können wir es aufgeben. Aber bitte, geben Sie uns klare Antworten! Verschaukeln Sie uns nicht länger, und tun Sie nicht so, als würden wir es nicht merken!“