Transatlantische Spionage
Als Edward Snowden vor ein paar Wochen aus den USA nach Hongkong flüchtete und Daten vom amerikanischen Geheimdienst NSA veröffentlichte, brachte er damit den größten Überwachungs- und Spionageskandal der letzten Jahre ins Rollen. Die NSA kann sich im Rahmen von PRISM ganz einfach Zugang zu Daten bei den großen Internetfirmen – Google, Amazon, Facebook – verschaffen, und tut das auch. Damit bekommen sie intime Einblicke in das Leben von vielen hundert Millionen Menschen.
Die europäischen Regierungen, deren BürgerInnen Opfer dieser pauschalen Überwachung sind, reagierten mit Schweigen. Mittlerweile ist klar, warum. Der britische Dienst GCHQ überwacht den gesamten transatlantischen Datenverkehr, der durch Großbritannien geleitet wird. Der französische Geheimdienst DGSE sammelt alle Daten in Frankreich. Die NSA hat zudem EU-Missionen wie die in Washington verwanzt und abgehört.
Das Ausmaß der Überwachung ist erschreckend. Es geht diesmal nicht nur um die Verkehrsdaten, wer wann mit wem kommuniziert hat, sondern auch um die Inhalte der Kommunikation. Ein großer Teil des Datenverkehrs im Internet zwischen Europa und Amerika geht über Großbritannien. Allein, dass GCHQ über die technischen Kapazitäten verfügt, einen Fluss von 5 Gigabyte pro Sekunde zu durchleuchten, macht Sorgen. Alle diese Aktivitäten finden natürlich geheim statt. Damit sind Grundrechte wie das auf Privatsphäre oder Datenschutz für die Geheimdienste de facto außer Kraft gesetzt.
Der Hintergrund des Skandals ist ein mehr als zehn Jahre dauernder Konflikt zwischen den USA und den europäischen Staaten, bei dem es vor allem um Sicherheitskooperation und Handel geht. Kernfragen betreffen immer wieder den Datenschutz, ob es um den Transfer von Bankdaten (SWIFT) oder Fluggastdaten (PNR) im Rahmen der Terrorbekämpfung geht oder um ACTA, wo zur verschärften Bekämpfung von Urheberrechtsverstößen Einschnitte im Datenschutz vorgesehen waren. Die USA haben dabei nicht nur versucht, europäische Vorstellungen von Privatsphäre und Datenschutz zu umgehen, sondern auch mit massiver Lobbytätigkeit in Brüssel und anderen Hauptstädten Einfluss genommen.
Momentan werden zwischen der EU und den USA das Handelsabkommen TTIP und das Datenschutz-Rahmenabkommen verhandelt. Während zu TTIP aktive Verhandlungen laufen, liegt das Rahmenabkommen seit Jahren auf Eis. Auf amerikanischer Seite besteht wenig Interesse daran. Lieber will man den Datenschutz in anderen Abkommen nebenbei regeln, um so möglichst niedrige Standards in einzelnen Bereichen festzulegen. Im Falle von PNR und SWIFT war die Strategie erfolgreich, bei ACTA bisher nicht.
Bis nicht alle Details der Überwachung durch die NSA aufgeklärt sind, sollten die Verhandlungen zu TTIP auf Eis gelegt werden zugunsten des lange überfälligen Datenschutzabkommens. Es ist höchste Zeit, dass Mindeststandards und Kontrollmechanismen für den transatlantischen Datenverkehr vereinbart werden. Und Snowden? Es wird wohl keine Regierung in der EU bereit sein, seinen Fall auch nur ernsthaft zu prüfen. Das ist eine Schande.