Gabi Zimmer im ND-Interview: „Die Alternative zur EU ist nicht ihre Auflösung“

Europapolitikerin Zimmer: LINKE muss Zukunft der EU mit Bundestagswahlkampf verbinden

Quelle: Neues Deutschland, 21.05 2013

nd: In einem Jahr sind Europawahlen. Für die Linke ist das offenbar noch kein Thema.
Zimmer: Die Europäische Linke bereitet sich auf ihren Kongress im Dezember vor. Dort soll eine gemeinsame Wahlstrategie erarbeitet und der gemeinsame Wahlkampf gestartet werden. Auch in der GUE/NGL diskutieren wir mit den Vorsitzenden von Parteien, mit welchem Ziel wir in den Wahlkampf gehen, ebenso über die Frage, wie eine künftige Linksfraktion aufgestellt sein sollte, vor welchen Herausforderungen sie stehen wird. In Deutschland konzentriert sich die Linke jetzt auf den Bundestagswahlkampf. Die Zeit drängt: die Klärung wichtiger europapolitischer Positionen der Linken darf nicht auf die Zeit nach dem Bundestagswahlkampf verschoben werden. Gerade wir müssen die Frage nach der Zukunft der EU mit dem Bundestagswahlkampf direkt verbinden. Wer, wenn nicht wir, muss Merkel mit den Auswirkungen ihrer europäischen Krisenpolitik konfrontieren. Die beklagte Entdemokratisierung der EU, die Sparexzesse und die Abkehr von den ökologischen Zielen sind wesentlich mit dem Agieren der Bundesregierung verbunden. Die nächsten Monate bieten uns Linken die Möglichkeit, gerade über diese Zusammenhänge aufzuklären und das tatsächliche politische Versagen der Bundesregierung zu thematisieren. Ich wünsche mir dazu eine intensivere Verständigung auch in meiner Partei.

Für viele Menschen ist die EU ein Gebilde, in dem eigenartige Produktvorschriften verfasst werden. Im unmittelbaren Leben merken sie kaum etwas von Europa.
Doch. Sie wissen nur oft nicht, dass das, was sie konkret betrifft, Auswirkungen einer Politik sind, die zwischen den EU-Staaten abgesprochen wird. Es ist nicht so, dass »in Brüssel« eine Politik entworfen wird, die von den Mitgliedsländern bloß umzusetzen ist. Was in Brüssel beschlossen wird, ist zuvorderst Ergebnis der Abstimmung zwischen den Regierungen hinter verschlossenen Türen. Neoliberaler Politik verpflichtete Regierungen bringen auch auf EU-Ebene nichts anderes zustande. Die Parlamente sind zu wenig beteiligt, Prozesse nicht transparent. Es muss uns gelingen, die Anonymität der Entscheidungen zu durchbrechen und klarzustellen, wer wofür Verantwortung trägt. Nur so können wir genau definieren, wo interveniert werden muss. Wenn Menschen nicht klar ist, wo und wie Entscheidungen zustande kommen, haben sie das Gefühl, außen vor zu stehen und unbeteiligt zu sein. Die gegenwärtige Politik der EU und all ihrer Mitglieder ist letztlich nichts anderes als die Unterwerfung unter den Neoliberalismus und den Götzen der globalen Konkurrenzfähigkeit. Deshalb: Die Wahlkampagne fordert uns dazu heraus, Solidarität mit den von der Krise am meisten Betroffenen – in anderen Mitgliedstaaten wie in Deutschland – zu thematisieren.

Wäre die Auflösung der EU und eine Neugründung mit klarer sozialer Ausrichtung nicht eine Alternative zu Krise und Dominanz der »Großen«?
Nein, Auflösung ist keine Alternative. Zum einen erfolgte die Gründung der EU unter konkreten historischen Bedingungen, die sind doch nicht einfach in die Gegenwart reproduzierbar. Zum anderen kann angesichts der Schwäche der Linken, der sozialen Bewegungen oder der Gewerkschaften auf europäischer Ebene doch niemand ernsthaft glauben, dass unter den jetzigen Kräfteverhältnissen bei einer Neugründung eine andere EU herauskäme. Wir müssen uns mit dieser EU auseinandersetzen, Alternativen von links entwickeln, Kräfte bündeln, neue transnationale Kooperationen suchen, die nationalen Kämpfe mit den europäischen verbinden, für eine europäische und globale Solidarität zwischen den für ihre Rechte kämpfenden Menschen mobilisieren. Nur so können wir die EU verändern. Das Paradoxe für mich als Linke dabei ist: Ich muss sogar die heutige EU – mit den vielen Facetten, die ich seit Jahren scharf kritisiere – noch gegen den Willen der Herrschenden verteidigen, den Umbau der EU als vorrangig neoliberales Projekt voranzutreiben.

Das ist sicher auch eine Herausforderung für die Linke im Europäischen Parlament. Aber was kann die doch sehr kleine Fraktion dort bewegen?
Wir brauchen eine stärkere Linke im Europaparlament, die wiederum eng mit außerparlamentarischen Kräften kooperiert. Wir sind als kleine Fraktion darauf angewiesen, auch innerhalb des Parlaments mit Abgeordneten zu kooperieren, wenn es um notwendige Mehrheiten im Sinne sozialer, ökologischer, demokratischer Rechte für die Menschen und um eine aktive Friedenspolitik durch die EU geht. Solche Mehrheiten gibt es nicht im Selbstlauf, sie sind oft überhaupt nur gegen die Einflussnahme von Regierungen auf das Abstimmverhalten von Abgeordneten erreichbar. Uns kommt entgegen, dass sich das jetzige Europaparlament nicht mehr einfach zum Vollstrecker der Ratsvorgaben degradieren lassen will. Die Linke kommt deshalb auch gar nicht an der Forderung vorbei, sich für eine Stärkung der Rechte des Europaparlaments einzusetzen.

Sie sind vor einem Jahr als Fraktionsvorsitzende angetreten mit dem Ziel, die fast nicht mehr vorhandene Kommunikation in der Fraktion wieder herzustellen. Was haben Sie erreicht?
Das Vertrauen zwischen den Delegationen ist wieder gewachsen. Die GUE/NGL ist eine konföderale Fraktion, in der Delegationen vor allem die Positionen ihrer Parteien vertreten. Das reicht aber nicht mehr. Wir brauchen zunehmend die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich zu Grundfragen der weiteren Entwicklung der EU auf gemeinsame Positionen zu verständigen. Da wir alle aber einen sehr unterschiedlichen Hintergrund haben, unsere Parteien in ihrer Haltung zur EU, zum Euro oder zum EU-Haushalt verschiedene Auffassungen vertreten, überdeckt dies zu oft unsere gemeinsamen Positionen wie in der Sozialpolitik, im Kampf gegen die Austeritätspolitik oder auch hinsichtlich der Ablehnung der militärischen Seite der EU.
In den letzten Monaten ist die Bereitschaft, an einer Stärkung der Fraktion, an gemeinsamen Alternativen zu arbeiten, gewachsen. Wir stimmen darin überein, dass die Fraktion wieder sichtbarer werden muss. Manche befürchten, dass der konföderale Charakter verloren gehen könnte. Wir müssen uns aber auch auf die mit dem Lissabon-Vertrag veränderten Bedingungen einstellen: Das Europäische Parlament ist jetzt wesentlich stärker in legislative Verfahren direkt eingebunden, es ist Mitentscheider. Das heißt, wir müssen besser miteinander kommunizieren und kooperieren. Einen gemeinsamen Standpunkt als Linke zu entwickeln, bedeutet aber auch, dass wir nicht einfach die nationalen Standpunkte in der Fraktion durchsetzen können. Ein reines Nebeneinander der Positionen macht uns jedoch unsichtbar. Es ist also nicht nur wichtig, dass die Parteien ihre Abgeordneten mit einem inhaltlichen Mandat ausstatten, sondern auch die Bereitschaft zur Kooperation signalisieren. Meine Erfahrungen aus Gesprächen mit Parteivorsitzenden stimmen mich da vorsichtig optimistisch.“