Wir erleben die Pulverisierung der Europäischen Union

Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der Linken GUE/NGL im Europäischen Parlament zur Debatte über das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU am 14./15. März 2013 in Brüssel: „Wir haben uns eigentlich als Europäische Union dafür ausgesprochen, dass wir die Werte der Europäischen Union in den Vordergrund stellen. Dazu gehört auch die Nichtdiskriminierung von Bürgerinnen und Bürgern innerhalb der Europäischen Union.

Gegenwärtig erleben wir im Prinzip bei der Diskussion um den MFR eine Pulverisierung der Europäischen Union. Jeder Mitgliedstaat kämpft für sich allein, und sollte sich doch einmal eine Koalition bilden, dann werden mit Mitteln der Europäischen Union einzelne Staaten aus dieser Koalition herausgekauft — wie bei den Verhandlungen zum MFR geschehen! Insgesamt, wenn wir nicht nur die Deckungslücke von über 80 Mrd. Euro betrachten, werden wir auf diese Art und Weise bis Ende 2020 ein Defizit von 250 Mrd. Euro haben. Das ist nicht hinnehmbar! Meine Fraktion lehnt den MFR in dieser Form ab!

Der Rat hat seine Kompetenz, nur über Gesamthöhe, Struktur und einzelne Headings zu reden, überschritten. Er hat uns ein über 40-seitiges Papier vorgelegt und glaubt dann, wenn wir das jetzt nicht ablehnen, dass wir dann noch irgendeine Handlungsmöglichkeit haben. Wir sind außen vor, wenn wir heute nicht sagen, wir lehnen das ab. Das ist auch der Grund, warum meine Fraktion klar sagt: Wir lehnen den MFR ab, obwohl wir zu vielen Einzelfragen sehr unterschiedliche Positionen haben und Verhandlungsbedarf sehen. Das ist aber unser demokratisches Recht!

Eine Nachfrage zur Jugendarbeitslosigkeit und zu Wachstum und Beschäftigung: Beide sind offenkundig Mogelpackungen — sowohl hinsichtlich der Finanzierung als auch hinsichtlich dessen, wie sie konkret umgesetzt werden sollen! Welche Mittel werden wirklich zur Verfügung gestellt? Erklären Sie uns doch bitte konkret, woher die Mittel für den Jugendpakt kommen. Und erklären Sie nicht, wir nehmen die 3 Mrd. Euro, die vorgesehen sind, auch noch aus dem ESF heraus. Sie wissen genau, dass die Programme innerhalb des ESF nicht mehr finanzierbar sind!

Erlauben Sie mir auch die Frage hinsichtlich des Wachstumspakts: 52 Mrd. Euro — woher wollen Sie die eigentlich nehmen, wenn bisher nicht einmal die Rechnungen für dieses Jahr bezahlt werden können? Es ist doch auch auf Sand gebaut, dass die Europäische Investitionsbank 10 Mrd. Euro zusätzlich bekommen soll, um darüber 50 Mrd. Euro für konkrete Projekte zu hebeln, wenn genau die Krisenländer nicht in der Lage sind, die Kofinanzierung für gute Projekte überhaupt zu stemmen. Das ist aus meiner Sicht nicht möglich, deshalb bleiben wir bei unserer Ablehnung.

Im Übrigen — ich habe von der Pulverisierung der Europäischen Union gesprochen. Ich glaube, die Diskussion, die wir zu Ungarn führen, ist ein Ausdruck dieser Pulverisierung. Wenn die Europäische Union, wenn die Institutionen und wenn die aktiv handelnden Menschen, die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, sich nicht gemeinsam dagegen wehren, dass Staaten ausbrechen und ihre eigene Politik verfolgen, die nichts mit der Anerkennung der Grundrechtecharta zu tun hat, die nichts mit Rechtsstaatlichkeit, nichts mit den Werten der Europäischen Union zu tun hat, dann ist das eine Pulverisierung.

Wir sollten nicht nur an Sie, Herr Präsident, die Aufforderung richten, im Rat klar und deutlich einzufordern, dass Kommission und Rat eine Überprüfung auf der Basis von Artikel 7 und Artikel 2 vornehmen, sondern ich richte auch an die Mitglieder der Europäischen Volkspartei eine Aufforderung. Wir diskutieren über ein neues Statut und über die Finanzierung europäischer Parteien. Die sind im Wesentlichen dafür gedacht, dass die Werte der Europäischen Union durchgesetzt werden. Sie müssen sich also selbst mit Ihren Mitgliedsparteien auseinandersetzen, damit diese Auseinandersetzung erfolgt und damit es Korrekturen gibt, weil es einfach nicht möglich ist, auf der Basis der großen Institutionen etwas zu bauen, was dann von den Bürgerinnen und Bürgern nicht getragen werden kann.“