Wie lange werden Sie noch Papier kauen?

In seinem Roman Alexis Sorbas lässt Nikos Kazantzakis einen seiner Helden, der in den Kaukasus reist, um Menschenleben zu retten, Folgendes sagen: „Vielleicht retten wir sie nicht, aber wir retten uns selbst, indem wir uns bemühen, sie zu retten“. Und dann fragt dieser seinen Freund: „Wie lange wirst du noch Papier kauen und dich mit Tinte beschmieren?“

Mit Blick auf den bevorstehenden Gipfel frage ich Sie: Wie lange werden Sie noch Papier kauen, anstatt sich auf die Reise zu machen, um sich wenigstens zu bemühen, Menschenleben zu retten? Die Vorschläge für den Europäischen Rat, der morgen stattfinden soll, sind nicht dazu geeignet, wirklich Menschenleben zu retten, den sozialen Frieden wiederherzustellen und sich auf diese Art und Weise des Friedensnobelpreises auch würdig zu erweisen.

Die Vorschläge setzen nach wie vor einseitig auf die Marktintegration, während das Soziale und das Ökologische und auch das Demokratische dahinter zurückbleiben. Sie setzen auf eine Absenkung demokratischer Standards, während pragmatischerweise eventuell Sinnvolles inkonsequent bleibt und damit letztendlich auch die ökologischen und sozialen Probleme zugespitzt werden.

Wenngleich bei der Finanzmarktregulierung durchaus einige zögerliche Ansätze zu erkennen sind, bleiben sie letztendlich inkonsequent. Und sie gehen nach wie vor in Sachen Schuldenkrise von einer falschen Diagnose aus — nämlich, dass die betroffenen Länder in erster Linie durch ihre Haushaltsdefizite selbst dafür verantwortlich seien, was letztendlich die Krise ausmacht.

Und nicht nur das — auch das Ausmaß der Krise wird von der Kommission schon über einen längeren Zeitraum beharrlich und falsch eingeschätzt. Das betrifft insbesondere die Prognosen der Wirtschaftsentwicklung für Italien und Spanien, aber eben auch für Griechenland. Aber auf dieser Basis werden auch die Maßnahmen im Rahmen der Memoranden definiert. Auf diese Aussagen der Kommission stützen sich die Experten von IWF und Europäischer Zentralbank und natürlich der Europäischen Union selbst. Und das kann nicht funktionieren.

Der Vorschlag — das wurde vorhin auch schon angesprochen — zum Abschluss von 17 einzelnen bilateralen Verträgen zwischen den Euro-Ländern und der EU ist machtpolitisch motiviert. In einer Gruppe machtpolitisch ungleicher Akteure verhandelt der Starke mit dem Schwächeren gern bilateral, weil dann der Starke natürlich die größere Verhandlungsmacht hat, als wenn die anderen wirklich gemeinsam handeln würden.

Und zudem tendieren bilaterale Verträge auch immer dazu, dass sie schlechter kontrolliert werden und dass sie weniger transparent sind. Das heißt also, dass es insbesondere für die nationalen Parlamente und auch für das Europäische Parlament schwieriger wird, sich hier zur Wehr zu setzen, sie zu kontrollieren, darüber zu wachen.

Es soll also um eine reibungslosere Durchsetzung der Austeritätspolitik gehen, und das kann nicht sein. Denn auch rein finanzpolitisch gesehen — mit Blick auf die Bankenunion — ist das zwar möglicherweise durchaus richtig, in der bisherigen Form aber weder ausreichend, noch sind die Kriterien stark genug, um wirklich auf eine Beschränkung der Kompetenzen, der Größe und der Ausweitung der großen Institutionen hinzuwirken. Und so lange wird auch die Aufsicht durch die Bankenunion schwierig werden, wenn diese einzelnen Banken so gar nicht in dem Maße zu kontrollieren sind. Und auch vom Demokratieaspekt her ist das aus meiner Sicht völlig inakzeptabel.