Euratom-Vertrag
Eine starke Anti-Atom-Bewegung muss den europaweiten Ausstieg vorantreiben
Interview mit Sabine Wils, MdEP, in umwelt aktuell, November 2011
Der Euratom-Vertrag von 1957 zwingt auch EU-Mitgliedstaaten, die keine AKWs haben, viel Geld für die Förderung der Atomindustrie auszugeben. Das EU -Parlament hat dabei nichts zu sagen, weil vertraglich allein der Ministerrat zuständig ist. Deshalb müssen Europas BürgerInnen eine öffentliche Debatte über Euratom erzwingen, sagt Sabine Wils von der Linken.
Frau Wils, alle kennen die EU, aber kaum jemand kennt den Euratom-Vertrag. Können Sie uns aufklären?
Die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) wurde 1957 parallel zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, „in dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt“, wie es in der Präambel des EURATOM-Vertrags heißt. Die Materialien und Technologien zur Kernspaltung sollten als rüstungsrelevante Güter unter eine gemeinsame Kontrolle gestellt werden und weitere Nuklearforschung und der Bau von Atomkraftwerken gemeinsam finanziert werden.
Der EURATOM-Vertrag gilt unbefristet, alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind automatisch Mitglieder des EURATOM-Vertrags – auch diejenigen, die einen Atomausstieg beschlossen haben oder gar keine Reaktoren in ihrem Land besitzen – und zahlen damit für die Förderung der Atomindustrie. Die Finanzierung von EURATOM erfolgt direkt über den allgemeinen Haushalt der EU in Form des 7. EURATOM-Forschungsrahmenprogramms für Nuklearforschung und über direkte Kredite, die die Kommission vergibt. Das Forschungsrahmenprogramm von 2001-2011 hat einen Umfang von 2,75 Mrd. und wird wahrscheinlich bald um 2,5 Mrd. auf 5,2 Mrd. aufgestockt werden. Allein Deutschland zahlt im Jahr 2011 über 117 Mio. dafür. Mit den direkten Krediten, die bisher über 3,6 Mrd. betragen haben, fördert die Kommission die Fertigstellung oder die Sicherheitsumrüstung von AKWs, deren Laufzeit dann in einem zweiten Schritt verlängert wird.
Der DNR und andere Umweltverbände haben im Rahmen der EU-Verfassungsdebatte intensiv für die Abschaffung von Euratom gestritten. Das Gegenargument war, das dies rechtlich nicht möglich sei. Stimmt das so?
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat in einer Ausarbeitung für die Linksfraktion im Gegensatz zum juristischen Dienst der Kommission die Rechtsauffassung vertreten, dass der EURATOM-Vertrag kündbar ist.
Auch die Umweltjuristin Dörte Fouquet, die auf der Anti-EURATOM-Konferenz der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament als Expertin eingeladen war, verweist auf internationales Recht. Nach Art.62 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge kann auch ein unbefristeter Vertrag gekündigt werden, wenn sich die Umstände grundlegend geändert haben und diese zuvor „eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien“ bildeten.
DIE LINKE. im Bundestag hat einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert sich für die Auflösung des EURATOM-Vertrags, einen europaweiten Atomausstieg sowie für die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für die Förderung Erneuerbarer Energien einzusetzen.
Der größte Posten im Euratom-Budget ist die Fusionsforschung. Kernfusion gilt Interessenvertretern als unerschöpfliche Energiequelle – sehen Sie das als Alternative zu anderen Energieformen? [gern hier auch Kohle, Klimaschutz etc. thematisieren…]
ITER ist mit der Verdreifachung der Kosten auf 16 Milliarden Euro bis 2018 ein finanzielles Fass ohne Boden. Selbst nach offiziellen Angaben wird es mindestens bis zum Jahr 2050 dauern, bis die Kernfusion wirtschaftlich funktionieren kann. Bis dahin sollte das Europäische Energiesystem aus Gründen des Klimaschutzes und des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung zu 100% auf Erneuerbaren Energien basieren. Es wäre besser, das Geld in die Erforschung Erneuerbarer Energien zu stecken. Außerdem wäre die Verbreitung des Materials zu einer Wasserstoffbombe mit der Technologie der Kernfusion völlig unkontrollierbar.
Hat der Kampf gegen Euratom überhaupt Sinn, wenn nicht einmal AKW-freie Mitgliedstaaten wie Österreich auf den Ausstieg pochen?
Knapp 100.000 Österreicherinnen und Österreicher haben das Volksbegehren zum Ausstieg aus EURATOM unterschrieben. Damit wurde die erforderliche Anzahl nur knapp verfehlt. 322 Gemeinden haben bereits Resolutionen zum Ausstieg aus EURATOM beschlossen, ebenso neun Bundesländer. Die österreichischen Umweltorganisationen sind extrem unzufrieden mit der jetzigen Regierung Österreichs und ihrem Verhalten zu EURATOM, das auch die Argumentation, EURATOM von innen verändern zu wollen ad absurdum führt.
Hat sich die Stimmung im Europaparlament nach Fukushima geändert? Welche Macht hat der Umweltausschuss in Sachen EURATOM?
Im Europaparlament ist der Industrieausschuss für Atomfragen federführend und der Umweltausschuss gibt hierzu nur Stellungnahmen ab. Was Euratom betrifft, ist das Parlament aber insgesamt völlig ausgeschaltet. Ein Beispiel hierfür ist die Richtlinie des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Das Parlament hatte zwar zum Entwurf der Richtlinie eine Meinung abgegeben, aber der Rat hat später allein nur dem Vorschlag der Kommission folgend entschieden. Die Kommission bildet sich wiederum ihre Meinung mit Hilfe der Expertise der Atomindustrie, dem im EURATOM-Vertrag verankerten „Ausschuss für Wissenschaft und Technik“. Auch bei der Novellierung der Sicherheitsrichtlinie für die AKWs in der EU, die momentan vorbereitet wird, hat das Parlament kein Mitentscheidungsrecht. Das läuft allein auf Ratsebene und ist über den EURATOM-Vertrag geregelt und nicht über den Lissabon-Vertrag.
Was können Umweltverbände tun, damit EURATOM bald Geschichte ist?
Wir brauchen vor allem eine öffentliche Diskussion über den EURATOM-Vertrag. Nach über einem halben Jahrhundert seines Bestehens scheinen sowohl EU-Bürger als auch Politiker die Existenz dieses Vertrags vergessen zu haben, der die Privilegien der Atomindustrie auf EU-Ebene strukturell absichert und einen europaweiten Atomausstieg verhindert. Der EURATOM-Vertrag muss aus seinem Schattendasein herausgeholt werden, denn im Licht der Öffentlichkeit fällt es den Regierungen schwerer die Subventionierung der Profite der Atomkonzerne in Zeiten knapper öffentlicher Kassen zu legitimieren.
Trotz des aktuellen Atomausstiegs Deutschlands, dessen Dauerhaftigkeit noch auf dem Prüfstand steht, wird eine starke Anti-AKW-Bewegung gebraucht, um der Macht der Atomkonzerne Widerstand zu leisten und einen europaweiten Atomausstieg voranzutreiben. Dafür müssen wir weiterhin viel Aufklärungsarbeit leisten, sowohl über die Folgen der Atomkraft als auch über die Folgen des EURATOM-Vertrags.
Es ist notwendig, dass die Menschen auf der Straße protestieren, wenn die EU-Kommission die Ausweitung der direkten Kreditlinie für AKWs beantragt oder die Aufstockung des 7. EURATOM-Forschungsrahmenprogramm verhandelt.
Frau Wils, alle kennen die EU, aber kaum jemand kennt den Euratom-Vertrag. Können Sie uns aufklären?
Die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) wurde 1957 parallel zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, „in dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt“, wie es in der Präambel des EURATOM-Vertrags heißt. Die Materialien und Technologien zur Kernspaltung sollten als rüstungsrelevante Güter unter eine gemeinsame Kontrolle gestellt werden und weitere Nuklearforschung und der Bau von Atomkraftwerken gemeinsam finanziert werden.
Der EURATOM-Vertrag gilt unbefristet, alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind automatisch Mitglieder des EURATOM-Vertrags – auch diejenigen, die einen Atomausstieg beschlossen haben oder gar keine Reaktoren in ihrem Land besitzen – und zahlen damit für die Förderung der Atomindustrie. Die Finanzierung von EURATOM erfolgt direkt über den allgemeinen Haushalt der EU in Form des 7. EURATOM-Forschungsrahmenprogramms für Nuklearforschung und über direkte Kredite, die die Kommission vergibt. Das Forschungsrahmenprogramm von 2001-2011 hat einen Umfang von 2,75 Mrd. und wird wahrscheinlich bald um 2,5 Mrd. auf 5,2 Mrd. aufgestockt werden. Allein Deutschland zahlt im Jahr 2011 über 117 Mio. dafür. Mit den direkten Krediten, die bisher über 3,6 Mrd. betragen haben, fördert die Kommission die Fertigstellung oder die Sicherheitsumrüstung von AKWs, deren Laufzeit dann in einem zweiten Schritt verlängert wird.
Der DNR und andere Umweltverbände haben im Rahmen der EU-Verfassungsdebatte intensiv für die Abschaffung von Euratom gestritten. Das Gegenargument war, das dies rechtlich nicht möglich sei. Stimmt das so?
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat in einer Ausarbeitung für die Linksfraktion im Gegensatz zum juristischen Dienst der Kommission die Rechtsauffassung vertreten, dass der EURATOM-Vertrag kündbar ist.
Auch die Umweltjuristin Dörte Fouquet, die auf der Anti-EURATOM-Konferenz der Delegation DIE LINKE. im Europaparlament als Expertin eingeladen war, verweist auf internationales Recht. Nach Art.62 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge kann auch ein unbefristeter Vertrag gekündigt werden, wenn sich die Umstände grundlegend geändert haben und diese zuvor „eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien“ bildeten.
DIE LINKE. im Bundestag hat einen Antrag eingebracht, der die Bundesregierung auffordert sich für die Auflösung des EURATOM-Vertrags, einen europaweiten Atomausstieg sowie für die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für die Förderung Erneuerbarer Energien einzusetzen.
Der größte Posten im Euratom-Budget ist die Fusionsforschung. Kernfusion gilt Interessenvertretern als unerschöpfliche Energiequelle – sehen Sie das als Alternative zu anderen Energieformen? [gern hier auch Kohle, Klimaschutz etc. thematisieren…]
ITER ist mit der Verdreifachung der Kosten auf 16 Milliarden Euro bis 2018 ein finanzielles Fass ohne Boden. Selbst nach offiziellen Angaben wird es mindestens bis zum Jahr 2050 dauern, bis die Kernfusion wirtschaftlich funktionieren kann. Bis dahin sollte das Europäische Energiesystem aus Gründen des Klimaschutzes und des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung zu 100% auf Erneuerbaren Energien basieren. Es wäre besser, das Geld in die Erforschung Erneuerbarer Energien zu stecken. Außerdem wäre die Verbreitung des Materials zu einer Wasserstoffbombe mit der Technologie der Kernfusion völlig unkontrollierbar.
Hat der Kampf gegen Euratom überhaupt Sinn, wenn nicht einmal AKW-freie Mitgliedstaaten wie Österreich auf den Ausstieg pochen?
Knapp 100.000 Österreicherinnen und Österreicher haben das Volksbegehren zum Ausstieg aus EURATOM unterschrieben. Damit wurde die erforderliche Anzahl nur knapp verfehlt. 322 Gemeinden haben bereits Resolutionen zum Ausstieg aus EURATOM beschlossen, ebenso neun Bundesländer. Die österreichischen Umweltorganisationen sind extrem unzufrieden mit der jetzigen Regierung Österreichs und ihrem Verhalten zu EURATOM, das auch die Argumentation, EURATOM von innen verändern zu wollen ad absurdum führt.
Hat sich die Stimmung im Europaparlament nach Fukushima geändert? Welche Macht hat der Umweltausschuss in Sachen EURATOM?
Im Europaparlament ist der Industrieausschuss für Atomfragen federführend und der Umweltausschuss gibt hierzu nur Stellungnahmen ab. Was Euratom betrifft, ist das Parlament aber insgesamt völlig ausgeschaltet. Ein Beispiel hierfür ist die Richtlinie des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Das Parlament hatte zwar zum Entwurf der Richtlinie eine Meinung abgegeben, aber der Rat hat später allein nur dem Vorschlag der Kommission folgend entschieden. Die Kommission bildet sich wiederum ihre Meinung mit Hilfe der Expertise der Atomindustrie, dem im EURATOM-Vertrag verankerten „Ausschuss für Wissenschaft und Technik“. Auch bei der Novellierung der Sicherheitsrichtlinie für die AKWs in der EU, die momentan vorbereitet wird, hat das Parlament kein Mitentscheidungsrecht. Das läuft allein auf Ratsebene und ist über den EURATOM-Vertrag geregelt und nicht über den Lissabon-Vertrag.
Was können Umweltverbände tun, damit EURATOM bald Geschichte ist?
Wir brauchen vor allem eine öffentliche Diskussion über den EURATOM-Vertrag. Nach über einem halben Jahrhundert seines Bestehens scheinen sowohl EU-Bürger als auch Politiker die Existenz dieses Vertrags vergessen zu haben, der die Privilegien der Atomindustrie auf EU-Ebene strukturell absichert und einen europaweiten Atomausstieg verhindert. Der EURATOM-Vertrag muss aus seinem Schattendasein herausgeholt werden, denn im Licht der Öffentlichkeit fällt es den Regierungen schwerer die Subventionierung der Profite der Atomkonzerne in Zeiten knapper öffentlicher Kassen zu legitimieren.
Trotz des aktuellen Atomausstiegs Deutschlands, dessen Dauerhaftigkeit noch auf dem Prüfstand steht, wird eine starke Anti-AKW-Bewegung gebraucht, um der Macht der Atomkonzerne Widerstand zu leisten und einen europaweiten Atomausstieg voranzutreiben. Dafür müssen wir weiterhin viel Aufklärungsarbeit leisten, sowohl über die Folgen der Atomkraft als auch über die Folgen des EURATOM-Vertrags.
Es ist notwendig, dass die Menschen auf der Straße protestieren, wenn die EU-Kommission die Ausweitung der direkten Kreditlinie für AKWs beantragt oder die Aufstockung des 7. EURATOM-Forschungsrahmenprogramm verhandelt.
Interview: Juliane Grüning
erschienen in umwelt aktuell 11/2011
http://www.dnr.de/publikationen/umwelt-aktuell/112011/den-europaweiten-ausstieg-vorantreiben.html