Parlamentarismus und Bürgerdemokratie stärken

Ein Jahr Lissabon-Vertrag – Kommentar von Lothar Bisky für Euractiv

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Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Dezember vergangenen Jahres war viel die Rede davon, dass die Europäische Union demokratischer werden würde. Der Europäische Parlamentarismus würde nun ein größeres Gewicht erlangen und die Bürger bekämen ein neues Mitwirkungsrecht. Die Stichworte dazu sind bekannt: erweiterte Befugnisse des Europäischen Parlaments, Stärkung des Europäischen Parlaments als Teil der Verfassungsgewalt der EU, Gleichstellung mit dem Rat und – nicht zu vergessen – die Europäische Bürgerinitiative und die Grundrechtecharta.

Steuergelder für Kasinokapitalismus

Tatsächlich aber erleben wir in der Praxis genau das Gegenteil davon und das muss äußerst kritisch beurteilt werden.

Gegenwärtig werden ganz grundlegende Festlegungen zwischen den Regierungen getroffen und unvorstellbar hohe Summen in Milliardenhöhe ausgegeben. Die Parlamente – das Europäische wie auch die nationalen Parlamente – haben bisher zu wenig zu sagen, und da muss man sich wehren. Mit der Methode, die die Regierenden angewandt haben, sind gewaltige Summen in die Rettung selbstverschuldet hochverschuldeter Banken geflossen. Diese Regierungen haben mit Steuergeldern den Kasinokapitalismus gerettet.

Fehlende Transparenz

Sowohl im Europäischen Parlament als auch im Deutschen Bundestag wird kritisiert, dass die Rechte der Parlamentarier verletzt werden. 

Im Europaparlament beklagen Abgeordnete fehlende Transparenz seitens des Rates, Teilweise ist von Rechtsbruch die Rede. Dadurch werden viel gepriesene Verbesserungen des Lissabon-Vertrages z.B. in der EU-Haushaltspolitik verwässert, bevor sie sich überhaupt bewähren konnten. Und mit welchen Schwierigkeiten die Verhandlungen über einen EU-Haushalt zwischen Parlament und Rat sein können, haben wir gerade erlebt. Dabei wird ein Bogen geschlagen, der mit dem Einknicken des Parlaments bei SWIFT Anfang des Jahres seinen Anfangspunkt hat und der mit den Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Rat wie zum Bankdatentransfer, dem Transfer von Flugpassagierdaten fortgesetzt wurde. Nachdem Entscheidungen im Rat getroffen wurden, werden die Parlamentarier vor vollendete Tatsachen gestellt und hecheln – im Grunde genommen – hinterher.

Mitsprache der Bürger

Hoffnungsvoll hingegen stimmt, dass sich das Europäische Parlament mit dem Rat und der EU-Kommission auf einen gemeinsamen Text für eine Verordnung zur Europäischen Bürgerinitiative einigen konnte, auch wenn das erreichte Maß hinter den Vorstellungen meiner Fraktion geblieben ist. Mit der vom Europäischen Parlament erteilten Zustimmung ist dennoch eine gute Grundlage für die Mitsprache der Bürger in den Angelegenheiten der EU gegeben.

Vertreter der deutschen Bundesregierung sprechen sich lobend zur Frage aus, wie der Europäische Rat die Wirtschaftskrise und die Krise des Euro zur eigenen Sache gemacht hat. Die Methode governance hat dabei zentrale Bedeutung erlangt.

Für mehr europäische Integration

Das, was wir gegenwärtig von Seiten der Bundesregierung und vor allem der Kanzlerin erleben, ist meines Erachtens Ausdruck nationaler Borniertheit. Dies schadet der weiteren europäischen Integration. Den Eindruck zu erwecken, die Deutschen seien der Zahlmeister der EU, ohne zugleich zu erwähnen, wie viel die deutsche Wirtschaft durch ihre Exporte in die Mitgliedsstaaten profitiert, ist grob einseitig bzw. demagogisch. Wir brauchen mehr, nicht weniger europäische Integration, wir brauchen eine Europäische Union, die Bürger in allen Belangen einbezieht und ihre Mitentscheidung ermöglicht.