Deutsch-französische Gauklerspiele für die EU
Heute beraten in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU nicht nur zur aktuellen Finanzkrise in der Euro-Zone, sondern auch über die künftige Wirtschaftsstrategie der Gemeinschaft. Vor dem Hintergrund dieser komplexen Herausforderungen kritisiert Helmut Scholz (MdEP), Mitglied des Parteivorstands der LINKEN, die deutsch-französische „Agenda 2020“:
Es gebe den „Willen, Deutschland und Frankreich in den Dienst Europas zu stellen“, hatte Frankreichs Präsident Sarkozy nach den deutsch-französischen Konsultationen am vergangenen Donnerstag erklärt. Die dabei gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel angenommene „Agenda 2020“ soll dabei heute Thema auf dem EU-Gipfel sein.
Ein hoher Anspruch, und dennoch wohl eher Ausdruck für ein einseitiges, dominierend daherkommenden Vorpreschen des „deutsch-französischen“ Integrationsmotors. Kein Wort zu den existierenden Arbeitsgruppen der EU zur Reform des Binnenmarktes oder der Gesamtentwicklung der EU.
Bei näherem Hinsehen entpuppt sich die deutsch-französische Agenda mit ihren über 80 Einzelprojekten jedoch eher als Verweigerung, Europa sozial und ökologisch umzugestalten und Lehren aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise zu ziehen.
Zwar wird erneut Rhetorik bemüht, um zu einem nicht definierten Zeitpunkt eine verstärkte Regulierung der Finanzmärkte in Aussicht zu stellen. Doch werden dafür weder Termine noch Mechanismen benannt, geschweige denn ein Voranschreiten der beiden großen EU-Staaten vereinbart.
So wird den Bürgerinnen und Bürgern der Wille zu einem Umbau Europas mehr vorgegaukelt, als in substanzielle Veränderungen der Finanz- und Wirtschaftspolitik investiert:
Angesichts der weiter ausstehenden Regulierungsmechanismen für Finanzmärkte, von Milliardenhilfen für Großbanken und dem neoliberalen Kurs des „Weiter so“ erweist sich der Ruf nach einer europäischen Wirtschaftsregierung als Theaterdonner.
Angesichts des weit unter dem Notwendigen bleibenden Klimaschutzes in der EU, des gescheiterten Kopenhagen-Gipfels und des unter dem Druck der deutschen und Europäischen Autolobby durchgesetzten Brüsseler Freibriefs für den Schadstoffausstoß deutscher Autos klingt die Forderung nach mehr Elektroautos wie ein Hohn.
Angesichts der Tatsache, dass Projekte wie ein intensiver kultureller Austausch und ein Ausbau der Begegnungen sowie gemeinsame Forschungsvorhaben seit langem existieren, aber vernachlässigt wurden, bleiben Zweifel am Umsetzungswillen für diese Pläne nur allzu berechtigt.
Angesichts der Forderung, sich stärker gegenüber „chinesischen Muskelspielen“ zu positionieren ist offensichtlich, dass an der linearen Fortsetzung heutigen Wachstums-Ansatzes festgehalten wird und die notwendige Veränderung der Wirtschafts- und Produktionsweise in Richtung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Erneuerung außen vor bleibt. Mehr noch: Thematisiert wird nicht die Notwendigkeit, ihre Architektur mit anderen Weltregionen und deren politischen und wirtschaftlichen Akteuren zu entwerfen und einer demokratischen Mitentscheidung der Öffentlichkeit zu unterwerfen, sondern erneut wird der gegeneinander verstandene wirtschaftliche Wettbewerb beschworen. Die Neugestaltung fairer Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Entwicklungsländern wird ausgeblendet.
Vorangekommen ist man dagegen offensichtlich bei der deutsch-französischen Kooperation zur Militarisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU: Mit einem „Marine-EADS“ für den U-Boot-Bau, der Intensivierung der militärischen Kooperation und der „Prüfung“, ob die deutsch-französische Brigade auch Auslandseinsätze durchführen könne, wird ein Beitrag zu einer aggressiveren EU-Außenpolitik geleistet. Die Fortsetzung der staatlichen Subventionierung der Rüstungsindustrie wird fortgesetzt – ungeachtet des völligen Versagens des marktwirtschaftlichen Werts militärischer Güter bei der internationalen Konfliktlösung, wie ein Blick über den vom Profit des Milität-Industrie-Komplexes definierten Zaun in die Kriegs- und Konfliktgebiete in der Welt zeigt. .
Für die EU ist die von oben diktierte deutsch-französische Agenda 2020 trotz wohlklingender Formulierungen ein schlechter Fahrplan.
Strasbourg, 11.02.2010
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Sonja Giese
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