EU-Europa wartet und wälzt ab
In Kopenhagen soll ein neues globales Klimaschutz-Abkommen verabschiedet werden – Ein Gespräch mit der Europaabgeordneten Sabine Wils für „Disput“.
Der Klimagipfel läuft Gefahr, ein weiterer Meilenstein in der Geschichte erfolgloser Versuche für ein weltweit verbindliches Klimaschutzabkommen zu werden. Worum geht es genau?
In Kopenhagen sollen 192 Länder versuchen, auf dem Weltklimagipfel der Vereinten Nationen (COP15) ein Folgeabkommen für das 2012 ablaufende Kyoto-Protokoll zu beschließen. So wurde es zumindest auf der 13. Weltklimakonferenz 2007 auf Bali beschlossen. Auf mehr konnten sich die Teilnehmer der jährlichen Klimakonferenzen bisher nicht einigen. Um zukünftige Klimakatastrophen zu verhindern, müssen in Kopenhagen langfristige Ziele, verbindlich und ambitioniert, formuliert werden. Das Abkommen soll den Ausstoß von langlebigen Treibhausgasen wie etwa Kohlendioxid reduzieren und soll bestimmen, in welcher Form und Höhe Industriestaaten Entwicklungsländer beim globalen Klimaschutz unterstützen. Die UN-Klimakonferenz ist nicht nur ausschlaggebend für ein Folgeabkommen nach Kyoto, sondern auch ein entscheidender Faktor dafür, ob die Welt angemessen auf eine Bedrohung reagieren kann. Eine Bedrohung, die zu katastrophalen Veränderungen mit Überschwemmungen, Dürren, Stürmen, Artensterben und vielen Millionen Klimaflüchtlingen führt, wenn nicht sofort und effektiv reagiert wird.
Welche Rolle spielt die Europäische Union in der Klimaschutzpolitik?
Laut dem schwedischen EU-Ratspräsidenten Fredrik Reinfeldt ist die EU »Vorreiter im internationalen Klimaschutz«. Dennoch agiert sie zögerlich. Ihre vagen Versprechen zur Verringerung der Treibhausgase (CO2-Emissionen) und zur finanziellen Unterstützung armer Staaten macht die EU von Zusagen anderer Länder wie China, Indien und den USA abhängig. Diese Vorgehensweise hat nichts mit der Rolle eines Pioniers zu tun. Es geht der EU vielmehr um ein Abwälzen von Verantwortung auf Andere.
Die Industriestaaten sind nach wie vor die größten Umweltsünder – die weltweiten Folgen des Klimawandels aber treffen die ärmsten Länder besonders schwer. Handelt die EU verantwortungsbewusst?
Die EU-Regierungschefs haben sich bei ihrem Gipfeltreffen Ende Oktober 2009 lediglich darauf geeinigt, ihren Streit über die Kosten für den Klimaschutz in Entwicklungsländern zu vertagen. Sie vermieden es, den armen Länden feste Zusagen über finanzielle Hilfen zu geben. Kurz vor Kopenhagen versäumte die EU, ein konkretes Verhandlungsangebot vorzulegen, auf dessen Grundlage ein Abkommen ausgehandelt werden könnte. Wie EU-Umweltkommissar Stravos Dimas richtig feststellt, können ohne feste finanzielle Verpflichtungen der wohlhabenden Länder keine konstruktiven Verhandlungen geführt werden. Vor allem Deutschland blockiert mit Angela Merkels Orientierung an den kurzfristigen Gewinninteressen der Wirtschaft europäische Zusagen und riskiert damit das Scheitern des Weltklimagipfels. Merkel erkennt damit auch nicht die historische Verantwortung der Industriestaaten an, die überwiegend für den Klimawandel verantwortlich sind.
Wie sieht eine solidarische Klimaschutzpolitik aus?
Wenn die EU es ernst meint mit dem Klimaschutz, muss sie aufhören, sich von anderen Ländern abhängig zu machen. Sie darf nicht darauf warten, dass die USA, Indien und China – drei bedeutende Länder, die bisher nicht das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben und den Klimawandel nicht als Top-Priorität betrachten – den Weg für effiziente Maßnahmen frei machen.
Unabhängig von anderen Staaten muss sich die EU verbindlich für effiziente Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgase verpflichten.
Dazu gehören der Schutz der letzten Urwälder, ein Finanzierungsfonds für die ärmeren Länder in Höhe von 200 bis 600 Milliarden Euro, um Klimaschutzmaßnahmen durchzuführen, sowie ein Technologietransfer, der nicht an Patente gebunden sein darf.
Welche Forderungen stellt DIE LINKE an ein neues globales Klimaschutzabkommen?
DIE LINKE fordert, dass der Ausstoß von Klimagasen in der EU bis zum Jahr 2020 um mindestens 40 Prozent, bis 2050 um rund 90 Prozent gegenüber 1990 reduziert wird. Doch auch kurzlebige Schadstoffe wie etwa Ruß müssen in ihrem Ausstoß vertraglich begrenzt werden. Rußpartikel absorbieren unter anderem das Sonnenlicht in der Arktis und sind zu 50 Prozent für den Anstieg des Meeresspiegels verantwortlich. Fast zwei Drittel aller Rußpartikel im arktischen Eis stammen aus Europa. Sie werden durch den Wind dorthin getragen.
Welche weiteren Elemente spielen beim Klimawandel eine Schlüsselrolle?
Strategien zur Verringerung der Treibhausgase müssen von der EU auf den Weg gebracht werden. Nur mittels einer deutlichen Verringerung der Treibhausgase lässt sich noch die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad gegenüber vorindustriellen Temperaturen begrenzen. Die Minderungen müssen durch Maßnahmen innerhalb der EU erreicht werden. Der Zukauf von Emissionsrechten aus anderen Teilen der Welt muss deshalb ausgeschlossen werden. Doch auch der EU-interne Emissionshandel als zentrales Klimaschutzinstrument in Europa hatte bisher kaum einen Effekt.
Wo liegen die Probleme beim Handel mit Emissionen?
Die nahezu komplette Vergabe kostenloser Emissionszertifikate führt lediglich zu noch mehr Gewinnen in Milliardenhöhe auf Seiten der großen Energiekonzerne. Das Klima wird damit nicht geschützt. Der Ausstoß von CO2 und anderen klimaschädigenden Gasen ist ein öffentliches Gut und muss einen bestimmten Preis haben. Erst wenn ein vom Markt unabhängiger Mindestpreis von ungefähr 30 bis 35 Euro pro emittierter Tonne CO2 bezahlt wird, besteht überhaupt ein finanzieller Anreiz für die Unternehmen, den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen zu reduzieren.
Der Markt wird den Schutz des Klimas, entgegen gebetsmühlenartig wiederholten Aussagen industriefreundlicher Akteure, nicht alleine richten. Vielmehr bedarf es drastischer Vorgaben zum Klimagasausstoß für die Industrie, damit gerade die großen europäischen Energiekonzerne nicht weiter auf Kosten der Umwelt Milliardengewinne einfahren können. Diese Energiekonzerne müssen einer starken Regulierung unterworfen oder vergesellschaftet werden. Momentan mögen viele Unternehmen auf die Karte Umwelt setzen. Sie tun dies jedoch aus Profitinteresse, da Umweltschutz und Nachhaltigkeit mittlerweile in sehr vielen Branchen verkaufsfördernde Faktoren darstellen.
Du bist im Europäischen Parlament Mitglied im Ausschuss für Umweltfragen. Was tust du – beruflich und privat – gegen den Klimawandel?
Damit Umweltschutz nicht nur ein Trend bleibt und schnell von Ereignissen wie etwa einer Finanzkrise verdrängt werden kann, kämpfe ich für einen radikalen ökologischen Umbau der Wirtschaft. Klimaschutz darf nicht den Profitinteressen der Konzerne geopfert werden. Beispielsweise verhindert jedes neue Kohlekraftwerk weitere 40 Jahre den Einsatz erneuerbarer Energie.
Auch privat versuche ich, das Klima nicht unnötig zu belasten. als Parlamentarierin muss ich leider viel zwischen Hamburg, Brüssel und Straßburg hin und her reisen. Aber die kurzen Strecken in Hamburg fahre ich grundsätzlich mit dem Fahrrad. Früher fuhr ich oft über 13 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ich verlange nicht, dass jeder seinen Lebensstil radikal verändert, aber jeder sollte sich darüber Gedanken machen, wo er dem Klima etwas Gutes tun kann.
Welche Initiativen unterstützt du beim Klimagipfel?
Die Linksfraktion im Europaparlament wird gemeinsam mit sozialen Bewegungen und Klimaschutzbündnissen versuchen, den öffentlichen Druck für eine wirksame und gerechte Klimapolitik zu verstärken. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament streiten wir für eine weniger profitorientierte Politik und unterstützen den Gegengipfel »Klimaforum09«, der bis 18. Dezember 2009 ebenfalls in Kopenhagen stattfindet.
Anders als bei der offiziellen UN-Konferenz steht das »Klimaforum09« jedem offen, und an Stelle von Politikern und Beamten kommen Grassroots-Initiativen (Basisbewegungen), Wissenschaftler, Künstler und andere zu Wort. Zusätzlich fand am 12. Dezember 2009 in Kopenhagen eine große Demonstration statt. Machen wir den führenden Politikern dieser Welt deutlich, dass jetzt etwas getan werden muss!
Die Fragen stellte Sonja Giese.