Schmutzige Innovation
Konferenz der europäischen Linksfraktion: Verkehrswissenschaftler bezweifeln den klima- und verkehrspolitischen Nutzen von Elektroautos
Wer über Klimaschutz redet, muß sich auch mit der Zukunft des motorisierten Individualverkehrs beschäftigen. Die Abgase aus Personenkraftwagen tragen knapp zwölf Prozent zu den CO2-Emissionen in Deutschland bei.
Rechnet man die bei der Produktion der Fahrzeuge entstehenden Emissionen dazu, kommt man sogar auf einen wesentlich höheren Wert. Die Bundesregierung setzt bei der Erreichung ihrer Klimaziele vor allem auf die Förderung von Elektroautos. So will sie bis 2020 mindestens eine Million PKW ohne Verbrennungsmotor auf die Straßen zu bekommen. Diskutiert werden größere Forschungsvorhaben und steuerliche Anreize für den Kauf derartiger Autos.
Doch es gibt unter Verkehrs- und Energiewissenschaftlern erhebliche Zweifel, ob das E-Mobil tatsächlich eine nachhaltige Alternative sein kann. Dies wurde auch bei einer Konferenz deutlich, die die Linksfraktion im Europaparlament am Sonnabend in Hamburg veranstaltete. Im Mittelpunkt der Diskussion stand eine im Auftrag der Fraktion erstellte Studie der Verkehrswissenschaftler Axel Friedrich und Rudolf Petersen mit dem Titel: »Der Beitrag des Elektroautos zum Klimaschutz«.
Für den früheren Verkehrsdirektor des Umweltbundesamtes Friedrich sind E-Mobile nichts weiter als »Nachtspeicheröfen mit vier Rädern«, die nicht geeignet seien, einen effektiven Beitrag für den Klimaschutz zu leisten. Der beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie tätige Petersen glaubt ebenfalls nicht an die Zukunft der neuen Antriebsart. Im Gegenteil: »Wer kurzfristig auf Elektroantrieb setzt, unterstützt die Kohle- und Atomindustrie.« Der Schlüssel für eine bessere Energiebilanz des Individualverkehrs liege vielmehr im umfassenden »Downsizing«, beispielsweise durch kleinere Autos in Leichtbauweise, schmalere Reifen und die Erhöhung des Antriebswirkungsgrades.
In ihrer Studie kommen die beiden Wissenschaftler auch zu dem Ergebnis, daß der hohe Anteil der Kohleverbrennung an der Stromproduktion aktuell sogar dazu führe, daß E-Autos eine schlechtere CO2-Bilanz als verbrauchsarme konventionelle Kraftwagen haben. Skeptisch zeigen sich Friedrich und Petersen auch in bezug auf die rasche Marktfähigkeit von E-Mobilen. Die Überwindung der bekannten Handicaps wie lange Ladezeiten, geringe Reichweiten und hoher Verschleiß der Speichermedien sei bislang nicht in Sicht. Zudem müßte ein Boom der E-Autos mit gewaltigen Infrastrukturmaßnahmen begleitet werden. z.B. der Einrichtung von Stromanschlüssen auf öffentlichen Parkplätzen
Die beiden Verkehrsexperten plädieren statt dessen für ein ökologisch und ökonomisch nachhaltiges verkehrspolitisches Gesamtkonzept unter der Leitlinie: »Bessere Mobilität mit weniger Verkehr«. Bereits einfache Maßnahmen, wie etwa die Anpassung der Kfz-Steuer an den CO2-Ausstoß, würden erhebliche Wirkung zeigen. Eine zentrale Rolle müsse ferner der öffentliche Schienennah- und -fernverkehr spielen, der ausgebaut und durch günstige Nutzerpreise attraktiv gestaltet werden müsse, so Petersen. Keinesfalls dürfe die Diskussion über künftige Mobilität auf die Antriebsart reduziert werden. Mit E-Motoren würde Probleme wie verstopfte Innenstädte und Dauerstaus nicht gelöst werden. Eine mögliche positive Rolle für die neue Technologie sieht der Wissenschaftler allenfalls in einer abgespeckten Form der Hybridisierung, z.B. für die Beschleunigungsunterstützung kleinerer Verbrennungsmotoren oder die Bremsenergie-Rückgewinnung.
Der an der Universität Trier lehrende Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim stellte in seinem Beitrag klar, daß die Kosten für Mobilität steigen werden. Gründe seien Ressourcenknappheit bei fossilen Brennstoffen und die immer noch hohen Erzeugerpreise für Strom aus regenerativen Quellen. Daher müsse es bei die Diskussion um die Zukunft des Verkehrs auch eine sozialpolitische Komponente geben unter dem Motto: »Mobilität muß erschwinglich bleiben«. Monheim erwartet außerdem eine Renaissance bewährter, kostengünstiger Verkehrsmittel wie Straßenbahnen und Oberleitungsbusse wie sie in Frankreich bereits zu beobachten sei.
Einschneidende Veränderungen in der Automobilindustrie erwartet der Betriebsratsvorsitzende von VW Braunschweig, Uwe Fritsch. Langfristig bliebe in der klassischen Autoproduktion nur ein Sechstel aller Arbeitsplätze erhalten. Die Branche leide seit Jahren an erheblichen Überkapazitäten. Deswegen sei die Diskussion über die Konversion der Produktion auch in vollem Gange. Als Beispiel nannte Fritsch ein gemeinsames Projekt von VW und dem Stromanbieter Lichtblick. Im kommenden Jahr will die Allianz ein hocheffizientes Mini-Blockheizkraftwerk auf den Markt bringen, welches in Ein- und Mehrfamilienhäuser eingebaut werden soll. Dem »politischen Hype« um das E-Auto steht auch Fritsch skeptisch gegenüber. Dadurch entstünden »keine Beschäftigungs- und Umsatzpotentiale«. Ohnehin seien für die Branche intelligente Modelle zur Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich unabdingbar, egal was produziert werde, betonte der Betriebsratschef.
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Laden Sie sich hier das Gutachten „Der Beitrag des Elektroautos um Klimaschutz“ von Dr. Axel Friedrich und Dr. Rudolf Petersen herunter
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Den Konferenzbericht von Sabine Wils finden Sie HIER
Hier können Sie sich die Präsentationen der Redner als PDF herunterladen:
„Klimaänderung und der Beitrag des Verkehrs und politische Rahmenbedingungen zur reduktion der Klimagasemissionen des Straßenverkehrs“
Dr. Axel Friedrich, Internationaler Verkehrsexperte
Download | PDF (2,67 MB)
„Technische Rahmenbedingungen einer Einführung von Elektrofahrzeugen“
Dr. Rudolf Petersen, ehem. Leiter der Verkehrsabteilung des Wuppertalinstituts
Download | PDF (1,32 MB)
„Das 3-Liter-Auto, Traum oder realistische Möglichkeit“
Wolfgang Lohbeck, Greenpace
Download | PDF (1,6 MB)
„Einschätzung der Einführung des Elektroautos aus Sicht eines Automobilherstellers“
Dr. Klaus-Peter Schindler, VW
Download | PDF (5,51 MB)
„Auswirkung einer Einführung von Elektroautos auf die Beschäftigung in deutschen Automobilunternehmen“
Uwe Fritsch, BR-Vorsitzender VW Braunschweig
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