Partnerschaftsabkommen mit Entwicklungsländern

Plenarrede von Dr. Helmuth Markov 23. März 2009, Strassburg

Herr Vorsitzender, Frau Kommissarin, Herr Außenminister, geschätzte Kolleginnen und Kollegen,
Wir sprechen in dieser Debatte nicht einfach über ein Paket aus 16 mündlichen Anfragen an Rat und Kommission, 8 politischen Resolutionen und 2 Berichten im Zustimmungsverfahren. Wir sprechen letztlich über 79 Entwicklungsländer, mit denen die Europäische Union ihre Handels- und Kooperationsbeziehungen erneuert.
Handels und Entwicklungskooperation sind wichtige Mechanismen im Kampf um die Überwindung von Armut und um den Aufbau wirtschaftlich und sozial stabiler Volkswirtschaften. Dazu gehört vor allem auch die Unterstützung beim Ausbau von Infrastruktur, Gesundheitsversorgung, Ernährungssouveränität, funktionierender Sozialsysteme, Bildung und kulturellem Austausch.
In der Vergangenheit basierten unsere Handelsbeziehungen zu den AKP-Staaten auf nicht-reziproken Handelspräferenzen, die den meisten in den AKP-Staaten hergestellten Produkten zollfreien Zugang zum EG-Binnenmarkt erlaubten. Im Jahr 2000 wurde vereinbart, bis Ende 2007 neue Partnerschaftsabkommen zu erarbeiten. Darin sollten die unilateralen Handelspräferenzen durch WTO-kompatible Vereinbarungen ersetzt werden.
Zielstellungen sind dabei:
– zur Reduzierung und letztlich zur Abschaffung von Armut und zu nachhaltiger Entwicklung beizutragen.
– regionale Integration, wirtschaftliche Kooperation und gute Regierungsführung zu befördern.
– Die AKP-Staaten müssen beim Ausbau ihrer wirtschaftlichen Fähigkeiten unterstützt und schrittweise in die Weltwirtschaft integriert werden.
Dazu sollen die Produktionskapazitäten erweitert, privatwirtschaftliche Tätigkeit und Investitionen erleichtert werden, um Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum voranzubringen.
Die vorliegenden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA), besonders die sogenannten Interim-WPA oder ‚goods only‘ Abkommen, sind vor allem anderen Handelsabkommen, da sie zu 90 und mehr Prozent Fragen des Marktzugangs und andere Bereiche der Handelspolitik betreffen. Es geht dabei um die schrittweise Liberalisierung des Handels zwischen der EG und den Partnerregionen bzw. einzelnen Staaten. (Nur mit den Ländern des CARIFORUM wurde ein umfassenderes neues Abkommen erreicht.)
Im Verlauf der Verhandlungen ergab sich eine Reihe von Problemen:
– zunächst scheint die Zeit zu eng bemessen gewesen zu sein. Wir können nicht davon ausgehen, dass den AKP-Regionen ähnlich umfassende Arbeitsstäbe zur Verfügung stehen, wie der Kommission. Zudem sind notwendige Rücklaufzeiten zwischen Verhandlungsführern und den einzelnen AKP-Staaten offenbar unzureichend eingerechnet worden. Die EG ist ein gemeinsamer Binnenmarkt mit einer vergemeinschafteten Handelspolitik. Ein derartiger Grad an Integration ist in anderen Weltregionen überhaupt nicht vorhanden. Und es ist ja auch so, dass der Entwicklungsstand der Länder innerhalb der verschiedenen Regionen signifikant unterschiedlich ist, wesentlich größer als innerhalb der EU. Wir sind mehrfach auf das Zeitproblem hingewiesen worden. Aber die Kommission hat immer nur formalistisch mit Deadlines argumentiert. Da wundert es nicht, dass es eine große Unzufriedenheit mit ihrer Verhandlungsführung gibt.
Es sind aber vor allem inhaltliche Argumente, die größte Kritik hervorrufen:
– Obwohl es anderslautende Expertenmeinungen gibt, versteht die Kommission unter WTO-Kompatibilität 80%ige Zollsenkungen innerhalb der kommenden 15 Jahre.
Auch wenn die Liberalisierungsverpflichtungen zunächst asymmetrisch sind, was die Liberalisierungsschritte angeht, so stehen am Ende doch beiderseits offene Märkte. Was sich die EU problemlos leisten kann. Die Exporte aus den AKP-Staaten stellen nur einen geringen Teil ihrer Einfuhren dar.
Für die AKP-Länder aber heißt Zollabbau: Verlust von Zolleinnahmen, die für dringende öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Sozialsysteme, aber auch Unterstützung des wirtschaftlichen Aufbaus sowie die Verbesserung der Verwaltungskapazitäten benötigt werden.
Das bedeutet darüber hinaus die Verlangsamung der volkswirtschaftlichen Entwicklung und damit weitere Abhängigkeit von Exporten aus den Industriestaaten. Das betrifft Nahrungsmittel ebenso wie Industriegüter und ist letztlich ein Teufelskreislauf.
Nicht zum ersten Mal stelle ich hier die Frage: Wenn 50 Jahre nicht reziproke Handelsbeziehungen keine auch nur hinreichende Entwicklung befördert haben – wie soll diese mit gegenseitiger Marktöffnung erreicht werden?
– Ein weiteres großes Problem ist die Beziehung zwischen den Partnerregionen und -Ländern, das mit den vorliegenden Abkommen verschärft wird: Innerhalb des Ostafrikanischen Gemeinschaft – für den entsprechenden Resolutionsentwurf zeichne ich verantwortlich – mag das Problem der internen Zölle weniger bestehen, da hier eine Zollgemeinschaft vorhanden ist. Aber schon die Handelsbeziehungen zu den benachbarten Staaten könnten sich aufgrund der unterschiedlichen Liberalisierungstranchen schwierig gestalten. Hinzu kommen Unklarheiten in Bezug auf die Ursprungslandregeln.
– Große Befürchtungen gibt es im Hinblick auf die Verhandlungen über „umfassende“ WPA. Sie entsprechen auch bestimmten Konflikten innerhalb der blockierten Doha-Entwicklungsrunde: Viele Staaten sehen sich nicht in der Lage, ihre Dienstleistungs-, Investitions- und öffentlichen Beschaffungsmärkte zu deregulieren und dem globalen Wettbewerb zu öffnen. Nicht einmal innerhalb der EG ist das vollständig machbar oder überhaupt wünschenswert. Was obendrauf den Mangel an Kontrollmechanismen für Finanzmärkte angeht, brauche ich hier wohl nicht auszuführen.
– Große Kritik gab und gibt es in Bezug auf die Transparenz der Verhandlungen als solcher, der Einbeziehung der Parlamente und der Zivilgesellschaft.
– Und schließlich stellt sich die Frage hinsichtlich Mode 4: Wenn Güter ‚frei‘ bewegt werden sollen – sollen das dann nicht erst recht Menschen dürfen?
Unser Ausschuss hat entsprechend dieser und weiterer Überlegungen dem Rat und der Kommission einen Fragenkatalog vorgelegt. Dessen detaillierte Beantwortung erwartet nicht nur das Parlament, sondern vor allem auch die Bürgerinnen und Bürger der EU und der AKP-Länder.
Ich fasse die Fragen kurz zusammen:
– Welche finanziellen, technischen und administrativen Unterstützungsmaßnahmen sind im Rahmen der Neugestaltung der Handels- und Entwicklungspartnerschaften vorgesehen?
– Wird die Kommission in weitergehenden Verhandlungen flexibel auf Bedürfnisse der Partnerregionen eingehen, insbesondere hinsichtlich der Ermöglichung von Ausfuhrzöllen für Entwicklungszwecke, des Schutzes junger Industrien, der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und des besonderen Schutzes des öffentlichen Beschaffungswesens?
– Ist sie darüber hinaus bereit, ihre Position über den Schutz geistiger Eigentumsrechte insofern zu überdenken, dass biologische Vielfalt und überliefertes Wissen erhalten bleiben und die medizinische Versorgung der ärmeren Ländern zu bezahlbaren Preisen garantiert wird?
– Sind Rat und Kommission bereit, in Zukunft Parlamenten und Zivilgesellschaften adäquate Informations- und Partizipationsmöglichkeiten zu gewähren?
– Und schließlich: Gibt es die Bereitschaft, die ausgehandelten Abkommen gegebenenfalls einer Revision zu unterziehen, sollte sich herausstellen, dass sich bestimmte Punkte negativ auf die Entwicklungsfortschritte der AKP-Staaten auswirken.