Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Europäischen Parlaments zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion (Bericht Berès/Langen)

Zehn Jahre nach Verwirklichung der Währungsunion befindet sich Europa in einer schweren Krise. Banken brechen zusammen oder werden mit Milliardensummen aus dem Staatshaushalt gestützt, der Absatz bricht ein, Millionen Menschen fürchten um ihre Arbeitsplätze und um ihre Zukunft.
Aber nicht nur der Markt hat versagt, sondern auch die herrschende Politik scheint unfähig, aus Fehlern zu lernen.
Wir sind der Ansicht, dass bei der Konstruktion der Wirtschafts- und Währungsunion gravierende Fehler begangen wurden. Ein solcher Fehler ist das strukturelle Auseinanderfallen von Geld- und Fiskalpolitik. Man kann nicht eine gemeinsame Währung schaffen ohne gleichzeitig die Steuer- und Ausgabenpolitik wenigstens in Ansätzen zu harmonisieren. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone haben sich enorm verschärft. Was wir jetzt brauchen ist eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und insbesondere der Steuerpolitik. Wir brauchen wirksame Maßnahmen gegen Steuerdumping, außerdem müssen Steueroasen geschlossen und der Kapitalverkehr demokratisch kontrolliert werden.
Den zweiten gravierenden Fehler sehen wir in der Konstruktion des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Wer in Zeiten wie diesen eine starke Konsolidierung der Haushalte für unumgänglich hält, lebt anscheinend in einer anderen Welt. Nichts wäre fataler, als auf die Krise mit Sparprogrammen zu reagieren. Der Stabilitätspakt hat sein Scheitern unter Beweis gestellt. Er sollte durch eine integrierte Europäische Strategie für Solidarität und nachhaltige Entwicklung ersetzt werden. Nötig wäre eine Investitionsoffensive zur Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur und zur Verbesserung der Lage der sozial Benachteiligten in Europa.
Einen dritten Fehler sehen wir in der Konstruktion der Europäischen Zentralbank, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegt und allein dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist. Wir treten dafür ein, die Europäische Zentralbank zu demokratisieren. Außerdem fordern wir eine Korrektur des geldpolitischen Auftrags der EZB: Wachstum, Beschäftigung und Preisstabilität müssen ausgewogen gefördert werden.
Schließlich sind wir der Ansicht, dass die EZB einen aktiven Beitrag zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte und zu einer global abgestimmten Wechselkurspolitik leisten muss. Als ersten Schritt fordern wir die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen dem Euro und anderen europäischen Währungen, die durch entsprechende Steuern auf Devisentransaktionen gewährleistet werden könnte.
Die gegenwärtige Krise bietet eine Chance für tiefgreifende Reformen der europäischen Währungs- und Finanzarchitektur. Diese Chance sollte nicht leichtfertig verspielt werden.