Airbus/Boeing-Streitfall für grundsätzliche Debatte nutzen

Debatte zu WTO-Streitfällen zwischen der EU und den USA über angebliche Subventionen für Airbus und Boeing, Strasbourg, 7. Juli 2008

Der Handelsstreitfall zwischen der EU und den USA über Großflugzeuge ist keine Kontroverse wie andere, die an die WTO zur Behandlung herangetragen werden.

Es ist das bei weitem größte und komplizierteste Verfahren, das bisher eröffnet wurde. Es geht hier um enorme Interessenkonflikte. Die USA haben die Art und Weise kritisiert, mit der die EU und die am EADS-Konsortium beteiligten Mitgliedstaaten die Einführung neuer Großflugzeuge in den vergangenen zwanzig Jahren subventioniert haben. Die EU ihrerseits hat den USA versteckte Beihilfen vorgeworfen, die Boeing im Rahmen von Verteidigungs- und Raumfahrtprojekten erhalten hat, in die es eingebunden ist.

Wir wissen noch nicht, zu welchem Ergebnis das WTO-Streitschlichtungsgremium kommen wird. Ich nehme an, das Urteil wird sein, dass beiden Parteien Verstöße gegen geltende WTO-Regeln zugerechnet werden. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens kann man trotzdem einige Empfehlungen geben:

1. Vielleicht ist es an der Zeit, dass beide Unternehmen sich viel mehr auf ihre Eigenmittel verlassen anstatt darauf, dass sie auf umfassende staatliche Beihilfen zurückgreifen können, sie Unterstützung und Profite einstreichen, die Risiken aber „vergesellschaften“. Besseres Funktionieren und mehr Transparenz im Luftverkehrssektor würde sicherlich allen betroffenen Sparten sowie den Kunden nützen. Dies bedeutet nicht, dass die großen Flugzeugproduzenten gar keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten sollten. Ich möchte einfach betonen, dass es eines ausgewogenen und angemessenen Systems bedarf, das nicht Interessen der Großunternehmen begünstigt, sondern auch andere wichtige Fragen wie zum Beispiel die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt berücksichtigt, ebenso wie die Verbesserung der Sicherheit der Passagiere.

2. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass im Jahre 2007 infolge einer – aus meiner Sicht nicht erforderlichen – Umstrukturierung Tausende Beschäftigte von Airbus ihren Arbeitsplatz verloren haben – nach Jahren enormer Gewinne für das Europäische Konsortium. Dies ist kein angemessener Weg, betriebswirtschaftliche Krisen zu lösen. Umso weniger, als dass nicht die Beschäftigten die Schuld daran trugen, sondern das Management gnadenlos versagt hat.

3. Das Vorhandensein des WTO-Streitbeilegungspanels ist eine erhebliche Weiterentwicklung des internationalen Handelsregimes, da es bei Meinungsverschiedenheiten, die sich aus unterschiedlichen Auslegungen des Abkommens der Uruguay-Runde ergeben, zuverlässige Anleitungen liefert. Eine Entscheidung werden wir auch hier von ihm bekommen. Aber ist das schon eine Lösung?

4. Es ist zu bedauern, dass das Flugzeugabkommen von 1992 nicht ausreichend war, um eine Verhandlungslösung statt eines Gerichtsentscheids zu erreichen.

5. Die Luftfahrtindustrie wird aktuell mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die wirtschaftliche Krise und der Ölpreisanstieg haben derart immense Auswirkungen auf das Lufttransportsystem, wie wir sie bisher nicht erlebt haben. Eine Antwort sollte schnell gefunden werden und es ist vielleicht an der Zeit, über Kooperation statt Konfrontation nachzudenken.

6. Was die Fragen der öffentlichen Beschaffung betrifft, so bin ich der Meinung, dass es richtiger wäre, diesen wichtigen Wirtschaftsbereich nicht vollständig ins WTO-System einzubeziehen. Öffentliches Auftragswesen ist in fast allen Volkswirtschaften ein wichtiger Katalysator für wirtschaftliche Entwicklung. In für eine Gesellschaft strategisch wichtigen Bereichen muss Politik über gewisse Einflussmöglichkeiten verfügen.

7. Es ist an der Zeit, dass sich die Vereinigten Staaten und die EU darauf verständigen, dass Maßnahmen für politische Steuerung volkwirtschaftlicher Entwicklung möglich bleiben müssen – eben auch die Vergabe öffentlicher Aufträge und finanzielle Unterstützung. Zudem bedarf es aber auch Transparenzmechanismen und demokratischer Kontrolle, die sicherstellt, dass alle die bestehenden Regeln einhalten.

8. Der Boeing-Fall zeigt uns, dass eine Regierung es vermeiden sollten, sich hinter dem Argument angeblicher nationaler Verteidigungsinteressen zu verschanzen, um ihre eigene nationale Industrie oder besser die Interessen einiger starker Lobbygruppen zu stützen, mit denen sie eng verbunden ist.

9. Diese Kontroverse stellt nicht nur einen Streit zwischen der EU und den USA dar. Dies ist erneut ein Fall, wo sich diejenigen, die sich sonst als große Verfechter des Freihandels gerieren, aus Eigeninteresse protektionistischen nationalen Versuchungen hingeben. Von beidem sollten wir Abstand nehmen. Denn das führt nicht zu besseren Bedingungen für unsere Bürger, sondern nur zur Diskriminierung und Dumping-Wettbewerb.