Raider heisst jetzt Twix, Artikel in: FriedensForum 4/2007 S. 21
EU: Aufrüstung und Militarisierung – Tücken im Entwurf für den neuen EU-Reformvertrag – vormals EU-Verfassungsvertrag
Seit 1. August 2004 arbeitet die EU-Rüstungsagentur. Mit einem Jahresbudget von 60 Millionen Euro ist sie verantwortlich für die Koordination von Rüstungsprojekten, für die Stärkung des EU-Rüstungssektors und die Etablierung eines gemeinsamen EU-Rüstungsmarkts. Mit Unterstützung von EU-Industriekommissar Günter Verheugen ist es ihr gelungen, 2007 erstmals einen Posten für Sicherheits- und Rüstungsforschung im EU-Haushalt zu etablieren und eine koordinierte Öffnung der einzelstaatlichen Rüstungsmärkte in Angriff zu nehmen.
Aber die großen EU-Rüstungsunternehmen, wie BAE Systems, EADS und Thales wollen mehr. Ihnen geht es um die EU-vetragliche Absicherung der Arbeit der Rüstungsagentur, nicht zuletzt um mehr finanzielle Mittel und Planungssicherheit für mehr Aufrüstungsprojekte zu erlangen. Nach dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrags, der von den EU-Rüstungsunternehmen mit ganzseitigen Anzeigen in großen deutschen Tageszeitungen vor der Abstimmung im Bundestag unterstützt wurde, setzen diese jetzt auf den EU-Reformvertrag, der die Militarisierungsbestimmungen des EU-Verfassungsvertrags aufgreift.
Die Regierungskonferenz
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden in Geheimverhandlungen während der parlamentarischen Sommerpause im August Nägel mit Köpfen zur Erarbeitung des neuen EU-Vertrags gemacht. Der erste Entwurf der Regierungskonferenz liegt jedenfalls jetzt vor. Das Dokument trägt den schönen und einprägsamen Titel „Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ (CIG 1/07) und wird als von der Regierungskonferenz „lediglich zu prüfende Arbeitsgrundlage“ bezeichnet.
Vom Verfassungs- zum Reformvertrag
Bis zum nächsten EU-Gipfel am 17. Oktober in Lissabon soll bereits der fertige Text verabschiedet werden. Der Text muss dann nochmals von den Regierungschefs beschlossen und durch die nationalstaatlichen Parlamente ratifiziert werden. In nahezu allen EU-Mitgliedstaaten soll die Bevölkerung nicht mehr über den neuen EU-Vertrag abstimmen können. Das wurde möglich, indem auf die Benennung als EU-Verfassung verzichtet wurde. Aus der Sicht der Staats- und Regierungschefs war die Textrevision notwendig geworden, da der EU-Verfassungsvertrag nach den Ablehnungen bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden nicht mehr durchsetzbar war. Bei einem Blick auf die Bestimmungen der „Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ wird jedoch schnell klar, dass die Staats- und Regierungschefs in erster Linie lediglich auf kosmetische Änderungen Wert gelegt haben und den EU-Verfassungsvertrag in Reformvertrag umbenannten. In punkto EU-Militarisierung soll jedenfalls alles beim Alten bleiben. Im Textentwurf der Regierungskonferenz finden sich ganz detailliert alle Militarisierungsbestimmungen des EU-Verfassungsvertrags wieder.
Ohne gerichtliche und parlamentarische Kontrolle
Im neuen EU-Reformvertrag soll sich die Zuständigkeit der EU „auf sämtliche Fragen in Zusammenhang mit der Sicherheit der Union“ beziehen. Der Europäische Gerichtshof ist in Bezug auf die Außen- und Sicherheitspolitik der EU schlicht „nicht zuständig“ (Art. 11). Zudem soll darauf geachtet werden, „dass die Auffassungen des Europäischen Parlaments gebührend berücksichtigt werden“ (Art. 21, 1). Ein eigener EU-Haushalt für Militäroperationen – geradezu liebevoll Anschubfonds genannt – soll etabliert werden (Art. 26). Explizit wurde festgehalten, dass dieser Anschubfonds in Anspruch genommen werden kann, wenn eine geplante Operation aus rechtlichen Gründen nicht aus dem Haushalt der Union finanziert werden kann. Eine Haushaltskontrolle des Europäischen Parlaments oder der nationalstaatlichen Parlamente findet nicht statt.
Aufrüstungsverpflichtung
Auch die skandalöse Aufrüstungsverpflichtung des EU-Verfassungsvertrags hat ihren Weg in den Reformvertragsentwurf gefunden. Es ist wohl als einmalig in der Geschichte internationaler Verträge anzusehen, dass ein völkerrechtlicher Vertrag zu verstärkten Rüstungsanstrengungen anhält. „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Art. 27, 3), so der Entwurfstext. Die EU-Rüstungsagentur – im Orwellschen Sprachgebrauch der EU-Rechtsexperten Verteidigungsagentur genannt – soll dazu eine Grundlage im neuen EU-Vertrag erhalten. Sie soll u.a. „Maßnahmen zur Bedarfsdeckung“ an Rüstungsgütern fördern, zur „Stärkung der industriellen und technologischen Basis“ des Rüstungssektors beitragen und sich „an der Festlegung einer europäischen Politik im Bereich der Fähigkeiten und der Rüstung“ (Art. 27, 3) beteiligen. Auch Rüstungsforschung soll auf ihrer Agenda stehen (Art. 30, 1d). Zudem sollen zweckdienliche Maßnahmen „für einen wirkungsvolleren Einsatz der Verteidigungsausgaben ermittelt werden.“ Rüstungsprojekte sollen auch dadurch befördert werden, dass innerhalb der Rüstungsagentur „spezielle Gruppen“ gebildet werden sollen, „in denen Mitgliedstaaten zusammenkommen, die gemeinsame Projekte durchführen.“ (Art. 30, 2)
Militärische Interventionen weltweit
Generell soll eine offensive militärische Interventionspolitik der EU vertraglich verankert werden. Ganz abgesehen von einzelstaatlichen Verfassungsbestimmungen, die den Einsatz von Streitkräften jenseits der Territorialverteidigung nicht vorsehen, wird festgelegt, dass die Mitgliedstaaten der EU „für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (Art. 27, 3) u.a. „militärische Fähigkeiten“ zur Verfügung stellen. Mit diesen militärischen Mitteln sollen „außerhalb der Union“ sogar „Abrüstungsmaßnahmen“, „Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung“ und „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung“ durchgeführt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die EU das gesamte Einsatzspektrum der neuen Kriege vertraglich sichern will. Besonders pikant ist dabei auch noch der Punkt, dass all diese Missionen „zur Bekämpfung des Terrorismus“ beitragen sollen, „unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ (Art. 28, 1) Das darf mit Fug und Recht als vertragliche Blaupause für den weltweiten Antiterrorkrieg der EU bezeichnet werden.
Kerneuropa, EU und NATO
Auch kerneuropäische militärische Avantgardekonzepte sollen mit dem neuen EU-Reformvertrag machbar sein. Im Rahmen einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ können sich auch einige wenige EU-Mitgliedstaaten nach EU-Ratsentscheidung zusammenschließen, um Militärinterventionen durchzuführen. Die gesamte EU-Militärpolitik soll EU-reformvertraglich an die NATO gebunden werden (Art. 27, 7). Damit würde eine bereits bestehende Praxis legalisiert werden. Denn bei EU-Militäroperationen wird diese Art der institutionalisierten Kooperation bereits angewandt. Für die paramilitärische EU-Polizeiausbildungsmission in Afghanistan seit 1. Juli ist explizit die NATO- und US-Unterstützung festgehalten. Im Bericht des EU-Rates zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik des EU-Rates vom 18. Juni 2007 heißt es dazu: „Das Generalsekretariat des Rates arbeitet auch eng mit dem internationalen Personal der NATO und mit den USA zusammen: mit der NATO hinsichtlich der Bereitstellung technischer Unterstützung im Einsatzgebiet durch die ISAF und mit den USA, weil diese ein entscheidender Partner bei der Koordinierung der Vorgehensweise bei den Reformbemühungen sein werden.“
Militäreinsatz im Inneren
Zuletzt findet sich auch die militärische „Solidaritätsklausel“ (Art. 188) im Entwurf des Reformvertrags wieder. Hier wurde festgeschrieben, dass die EU „alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel“ mobilisiert, um „terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden“. Dies bedeutet nichts anderes als den Einsatz von Militär im Inneren der EU zur Abwendung von so genannten Terrorgefahren. Damit soll auch noch EU-vertraglich eine weitere Militarisierung der EU-Innenpolitik ermöglicht werden.
Fazit
Der Textentwurf der Regierungskonferenz ist das Dokument einer offensiven und aggressiven Sicherheits- und Militärpolitik der EU und kann nur als massiv friedensgefährdend angesehen werden. Es steht nicht zu erwarten, dass sich im Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik im Bezug auf den Entwurfstext des EU-Reformvertrags noch wesentliches ändern wird. Die Mitgliedstaaten der EU werden auf Aufrüstung, Militarisierung und weltweite militärische Interventionen festgelegt. Die EU-Rüstungsagentur wird detailliert mit ihren Aufgaben und Kompetenzen im EU-Vertrag verankert. Der neue EU-Reformvertrag soll dafür die rechtliche Grundlage sein.
Martin Hantke / Tobias Pflüger