Gabi Zimmer für EU-weite Mindestlohnpolitik

Im Verlaufe einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlaments zum Thema Mindestlohn und Mindesteinkommen in der EU argumentierte die Europaabgeordente Gabi Zimmer für EU weite Mindeststandards.

Der Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten des Europäischen Parlements führte am 12. September 2007 eine öffentliche Anhörung zum Thema Mindestlohn und -einkommen in der EU durch. Auf dem Hearing, das durch die GUE/NGL angeregt wurde, stellten Isabella Biletta von der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen aus Dublin ihre Ergebnisse zum Mindestlohn und Chiara Crepaldi vom Istituto per la ricerca sociale in Mailand zum Thema Mindesteinkommen vor.

Isabella Billetta unterschied zwischen kollektiv vereinbarten Mindesteinkommen und gesetzlich festgelegten Mindestlöhnen. Letztere differenzierte sie in kollektiv vereinbarte Kennziffern für gesetzliche Mindestlöhne und real per Gesetz vorgeschriebene Mindestlöhne. Alle 27 Mitgliedstaaten haben irgendeine Form der Mindestlöhne – 20 Mitgliedstaaten haben gesetzlich festgelegte und 7 Mitgliedstaaten vertrauen ganz auf Kollektivvereinbarungen. Die gesetzlichen Mindestlöhne schwanken beispielsweise von 0,53 EUR in einigen neuen Mitgliedsstaaten bis zu 8 oder 9 EUR in den Benelux Staaten, dem Vereinigten Königreich oder Frankreich. Bei einem Vergleich der gesetzlichen Mindestlöhne im Verhältnis zu den durchschnittlichen monatlichen Einkommen zeigte sich eine Dreiteilung:

33%-38% des Durchschnittseinkommens beträgt der Mindestlohn in Ländern wie Polen, Spanien und Ungarn, 40%-45% in Ländern wie den Niederlanden, dem Vereinigten Königreich oder der Slowakei und mehr als 45% in Belgien, Frankreich und Griechenland, mit einem Maximalwert von 50% in Irland. Die vom Europäischen Amt für Statistik festgesetzte Armutsgrenze in der EU beträgt dagegen 60% des Durchschnittseinkommens.

Deutschland ist neben Österreich, Schweden, Dänemark, Zypern, Italien und Finnland ein Land mit keinem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn. In diesen Ländern werden die Mindestlöhne von den Sozialpartnern ausgehandelt. Die konkrete Umsetzung variiert allerdings. Im EUweiten Vergleich hat Deutschland den geringsten Anteil aller Beschäftigten, die durch Mindestlohn- bzw. Tariflohnvereinbarungen geschützt sind. In Italien und Österreich gelten die Vereinbarungen für alle Beschäftigten. Alle kollektiv vereinbarten Mindestlöhne liegen wiederum wenigstens bei 45% des Durchschnittseinkommens und sind damit wesentlich höher als die gesetzlichen Mindestlöhne.

Mindestlöhne haben nach Isabella Biletta eine umverteilende Funktion, sind aber auch ein Mittel zur Bekämpfung von Armut oder Diskriminierung von Frauen.

Chiara Crepaldi nahm das Konzept des Mindesteinkommens als solches kritisch unter die Lupe. Nicht alle Personen würden durch Mindesteinkommen geschützt. Nicht selten erweisen sich Mindesteinkommen auch als Armutsfallen. Eine effektive Umsetzung des Mindesteinkommens erfordert ein koordiniertes Agieren von Behörden, Regionen, Staat und Unternehmen, um Reintegration in den Arbeitsmarkt nicht zu behindern.

Die anschließende Debatte zeigte weitgehende Einigkeit bezüglich der Notwendigkeit von Mindestlohnvereinbarungen unter den Abgeordneten der unterschiedlichsten Fraktionen. Bei der konkreten Umsetzung allerdings variierten die Argumente. Auch die Meinungen zum Mindesteinkommen gingen auseinander. Für Gabi Zimmer war die Position allerdings recht klar. „Wir brauchen gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne, die jedem Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Der Mindestlohn muss so bemessen sein, dass Arbeitnehmer sich selbst und ihre Familien davon ernähren können. Eine EU weite Mindestlohnpolitik ist dringend notwendig, um wirksam die wachsende Armut aus Arbeitseinkommen in den Mitgliedsstaaten zu bekämpfen“, sagte die Europaabgeordnete während der Ausschusssitzung. Ausreden wie das Subsidiaritätsprinzip will Gabi Zimmer nicht gelten lassen. „ Mindestlöhne sollten mindestens 50 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens im jeweiligen Land betragen und in weiteren Schritten sich an der Armutsgrenze (60 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens) orientieren. Ein solches Kriterium kann kaum gegen das Interesse irgendeines Mitgliedstaats verstoßen. Diese Armutsgrenze wird schon seit geraumer Zeit als Kenngröße in der Diskussion auf EU-Ebene angeführt. Kein Mitgliedstaat hat sich bisher daran offiziell gestört. Und jetzt soll es auf einmal ein Eingriff in das Subsidiaritätsprinzip sein? Das kann und will ich nicht akzeptieren“, argumentierte Zimmer.

Das Subsidiaritätsprinzip und die Offene Methode der Koordinierung werden immer wieder bemüht, um EU-weite Mindeststandards abzulehnen. EU weite Lohnstandards würden zu sehr in die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten eingreifen. Schlichtweg übersehen werden dabei die von jedem Mitgliedstaat jährlich vorzulegenden nationalen Berichte zur sozialen Eingliederung. Die Berichte werden dann im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung diskutiert. Die Europäische Kommission spricht den einzelnen Mitgliedstaaten Empfehlungen aus. Die Armutsgrenze von 60% des Durchschnittseinkommens ist dort bereits eine akzeptierte Kennziffer, nur wenn es um eine konkrete Festschreibung der Ziffer und verbindlicher Kriterien geht – wie etwa in einem EU-weiten Mindestlohn, den ja nachweislich bereits alle 27 Mitgliedstaaten in irgendeiner Form implementiert haben, dann verweigern die Mitgliedstaaten ihre Zustimmung.