„Europäische Union – Menschenrechte in bester Verfassung?“ Rede auf der Konferenz von amnesty international anlässlich der deutschen Ratspräsidentschaft am 11. Januar 2007 in Berlin

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde von amnesty international,

ich sage Freunde, weil ich die Gelegenheit heute gern nutzen möchte, um amnesty international und all seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in meiner Eigenschaft als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments herzlich Dank zu sagen. Dank nicht nur für Ihr großes Engagement, sondern vor allem dafür, dass Sie als Nichtregierungsorganisation auch und gerade gegenüber der Europäischen Union nicht locker lassen. Und da das Neue Jahr noch sehr jung ist, verbinde ich meine gute Wünsche für Sie alle persönlich mit dem speziellen Wunsch: Bleiben Sie dran, bleiben Sie unnachgiebig und fordernd.

Ja, die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union ist volljährig geworden, wirklich erwachsen aber ist sie in der Tat noch lange nicht. Sie haben in Ihrem 10-Punkte-Programm zur deutschen Ratspräsidentschaft den Finger auf offene Wunden gelegt, und ich hoffe, Ende Juni können wir gemeinsam feststellen, dass ihr Heilungsprozess auf gutem Weg ist. Im Europäischen Parlament jedenfalls haben Sie für die Wahrung der Menschenrechte innerhalb der Europäischen Union einen guten Verbündeten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich gehöre im Europaparlament zurzeit drei verschiedenen Ausschüssen an. Gestatten Sie, dass ich ausgehend von meiner eigenen Arbeit einige ausgewählte Fragen aufgreife, die Sie in Ihren zehn Punkten angesprochen haben.

Enorm wichtig ist die Europäische Verfassung, gerade mit Blick auf Fortschritte im Menschenrechtsbereich. Stichworte sind die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta oder die in der Verfassung verankerte Pflicht der EU, dann als Rechtspersönlichkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Das Europäische Parlament hat wie keine andere EU-Institution für die Verfassung gekämpft, und es unterstützt daher die Bemühungen der deutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsprozess wieder zu beleben. Als Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS halte ich persönlich, im Unterschied zu meiner eigenen Partei, nichts, aber auch gar nichts davon, den gordischen Knoten der Verfassungskrise durch einen völligen Neubeginn und eine Neuverhandlung des gesamten Textes lösen zu wollen. Dieser Weg führt, das sagen mir meine Erfahrungen als Mitglied des Grundrechtekonvents und des Verfassungskonvents, geradewegs in die Sackgasse. Komplette Neuverhandlungen würden nicht hin zu einer Verfassung führen, weder hin zur vorliegenden noch zu einer anderen, sondern letztlich nur dazu, dass der Vertrag von Nizza für lange Zeit in Beton gegossen wird. Nizza, das bedeutet Rückschritt, und genau den darf es nicht geben. Auf der Grundlage von Nizza ist die Europäische Union nicht zukunftsfähig. Verhindert werden muss ebenso, dass mit der Verfassung verbundene Fortschritte, etwa im Hinblick auf Demokratie oder Bürgerrechte, auf einer möglichen Regierungskonferenz zur Disposition gestellt werden. Nichtregierungsorganisationen, die beispielsweise im sozialen Bereich oder im Hinblick auf die Rechte von Kindern aktiv sind, sehen diese Gefahr m. E. zu Recht. Sie sollte angesichts der zurzeit auf dem Tisch liegenden unterschiedlichen Vorschläge zur Rettung der so genannten „Substanz“ der Verfassung nicht unterschätzt werden. Deshalb sollte auch nicht Kurs auf eine deutlich abgespeckte Variante des vorliegenden Textes genommen werden. Wir brauchen stattdessen viel mehr Ehrgeiz, die Lösungssuche sollte in Richtung „Verfassung plus“ gehen. In Frankreich und den Niederlanden haben viele Menschen zu Recht ein soziales Europa eingefordert. Vor allem dieses Plus brauchen wir.

Im ersten Punkt Ihres Forderungskatalogs haben Sie sich zur EU-Grundrechteagentur und zur Zusammenarbeit in Strafsachen geäußert.

Die Einrichtung der Grundrechteagentur wird vom Europäischen Parlament unterstützt. Sicher, auch bei uns gab es langwierige und sehr kontroverse Debatten über Sinn und Zweck der Agentur oder darüber, wie Überschneidungen zwischen den Tätigkeiten der Agentur und denen des Europarats vermieden werden können. Aber aus diversen Problemen dann – wie der Bundestag oder das niederländische Parlament – den Schluss zu ziehen, die Agentur besser nicht einzurichten, das war im EP nicht mehrheitsfähig. Mir passt es ebenso wie Ihnen auch nicht, dass ausgerechnet der Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nicht bzw. lediglich „auf freiwilliger Basis“ zu den Aufgabenbereichen der Agentur gehören soll. Geht es doch gerade hier im Zuge der Terrorismusbekämpfung mehr denn je darum, die individuellen Freiheitsrechte zu verteidigen.

Europa ist zu einem Zielgebiet des internationalen Terrorismus geworden. Dieser veränderten Situation muss die Politik zweifellos Rechnung tragen. Jede Form von Terrorismus ist ein Verbrechen, das die Grundfesten unserer Demokratie bedroht. Und diese Verbrechen müssen bekämpft und als solche geahndet werden. Die Ermittlungsbehörden der EU-Staaten müssen selbstverständlich enger zusammenarbeiten. Nur, sie müssen mit den geeigneten Mitteln vorgehen. So darf es eben nicht dazu kommen, dass etwa immer wahlloser Daten und Informationen gesammelt, verlinkt und ausgetauscht werden – bis in naher Zukunft der „gläserne Bürger“ entstanden ist. Ich bin der Auffassung, dass die Europäische Union gut daran täte, sich immer wieder aufs Neue daran zu erinnern, was Benjamin Franklin, der Vater der amerikanischen Verfassung, sagte: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren!“ In diesem Sinne muss die Grundrechteagentur wirken. Und, ich möchte ganz generell hinzufügen und dreimal dick untersteichen: Was wir selbstverständlich brauchen, ist eine zielgerichtete Politik, die jegliche Form von Terrorismus ächtet und vor allem auf die Bekämpfung der verschiedenen Ursachen von Terrorismus gerichtet ist. Nur so wird es letztlich gelingen, ihm den Nährboden zu entziehen.

Meine Damen und Herren,

dringende Veränderungen braucht die Europäische Union im Hinblick auf die Verfahrensrechte in Strafverfahren. Es ist sehr zu unterstützen, dass sich die deutsche Ratspräsidentschaft vorgenommen hat, dieser Frage hohe politische Priorität beizumessen. Ich habe vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Genua miterleben müssen, dass unzählige junge Leute erst von der Polizei unglaublich brutal zusammengeschlagen wurden und sich dann hilflos und zum Teil tagelang entrechtet in italienischen Gefängnissen wieder fanden.

Das Recht auf ein faires Verfahren, das in Artikel 6 der EMRK verankert ist, hat sich damals als zu stumpfes Schwert erwiesen. Es ist überfällig, dass die EU hier handelt. Ein Szenario wie damals darf sich nirgendwo in der Union wiederholen. Und: der Auslieferungspflicht des Europäischen Haftbefehls müssen endlich klar definierte Rechte von Beschuldigten gegenüberstehen. In der EU müssen gemeinsame Mindestnormen für Strafverfahrensrechte fixiert werden. Beschuldigte müssen selbstverständlich in einer ihnen geläufigen Sprache über ihre Rechte informiert werden, selbstverständlich schriftlich. Das Recht auf einen Rechtsbeistand etwa muss ebenso gewährleistet sein wie das auf Inanspruchnahme eines Dolmetschers. Wichtige Verfahrensdokumente sind zu übersetzen. Ich bitte Sie, an der Frage der Verfahrensrechte unbedingt mit dran zu bleiben und Druck zu machen, dass die EU hier endlich vorankommt. Das Parlament fordert dies schon lange, aber wie zu hören ist, gibt es erhebliche Widerstände im Rat.

Lassen Sie mich abschließend kurz auf ein Thema eingehen, das schon sehr bald, und zwar im Februar, in Straßburg auf der Tagesordnung steht: der Abschlussbericht des CIA-Sonderausschusses.

Zum Entwurf des Abschlussberichts liegen im Ausschuss 474 Änderungsanträge vor, und von daher ist schwer vorherzusagen, welche Wertungen das Parlament letztlich im Einzelnen treffen wird. Aber, meine Damen und Herren, das Parlament hat, als erste Verdachtsmomente über so genannte außerordentliche Überstellungen der CIA von Menschen aus Europa im öffentlichen Raum standen, unverzüglich gehandelt und als Institution durch die Einsetzung des nichtständigen Ausschusses Flagge gezeigt. Es hat in Sachen CIA-Flüge, illegaler Gefangenentransporte, Verhöre, Entführungen und Folter sehr eng mit dem Europarat kooperiert. Zahlreiche NGO standen uns zur Seite. Ihr Bericht „Unterhalb des Radars“ beispielsweise war für unsere Untersuchungen ein außerordentlich wertvoller Beitrag. 130 Anhörungen fanden statt und mit 153 Personen haben Gespräche stattgefunden. Von den 29 angesprochenen ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten und Kandidatenstaaten haben 15 nicht schriftlich geantwortet, darunter leider auch Deutschland.

Für mich als Ausschussmitglied war es schon bedrückend mitzuerleben, wie zugeknöpft die politisch Verantwortlichen meines Landes zum Beispiel mit der ungeheuerlichen Entführung ihres Staatsbürgers Khaled el Masri umgehen, wie wenig Interesse offensichtlich an der Aufklärung einer solch schweren Straftat besteht. Der EP-Ausschuss hat sich im Verlaufe seiner Tätigkeit mehrfach an die Herren Steinmeier, Fritsch und Uhrlau gewandt und sie zu Anhörungen nach Brüssel eingeladen. Sie haben zwar ihre „grundsätzliche Bereitschaft“ zum Ausdruck gebracht, mit dem Ausschuss zusammenzuarbeiten. Aber Ende vergangenen Jahres gab es trotzdem eine klare Absage. Das Nichterscheinen vor dem Ausschuss des Europaparlaments wurde mit dem Verweis auf die Arbeiten des Untersuchungsausschusses des Bundestages begründet. Ich finde dies nicht nur bedauerlich, zumal die Außenminister Spaniens und Irlands der Einladung unseres Ausschusses gefolgt sind. Nein, ich hätte erwartet, dass gerade die Vertreter des Landes, das ab Januar die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, es sich nicht nehmen lassen, mit dem Europäischen Parlament konstruktiv zusammenzuarbeiten. M. E. offenbart eine solche Absage doch, dass man an Aufklärung und vor allem auch an konkreten politischen und rechtlichen Schlussfolgerungen aus den diversen Fällen außerordentlicher Überstellungen letztlich nicht interessiert ist.

Meine Damen und Herren,

gerade solch schreckliche Fälle wie die von Khaled el Masri, Murat Kurnaz oder Abu Omar zeigen uns, welch dringenden Handlungsbedarf es in Europa gibt. Es ist ein Skandal, wenn die Erfüllung von „Bündnisverpflichtungen“ auf direktem Weg zur „vertraglichen“ Verletzung von Menschenrechten führt. Deshalb muss endlich Schluss damit sein, dass die CIA im Gebiet der Europäischen Union tun und lassen kann, was sie will. Es muss endlich Schluss damit sein, dass Geheimdienste in Europa im Zuge der Terrorismusbekämpfung wie in einem rechtsfreien Raum agieren. Das illegale Verschleppen oder das Verschwindenlassen von Terrorverdächtigen darf nicht geduldet werden. Wir brauchen wirksame Instrumentarien, um dies ein für alle Mal auszuschließen. Dringend geboten sind u. a. schärfere Flugkontrollmechanismen, um die Nutzung von Luftraum und Territorium europäischer Staaten für illegale Machenschaften auszuschließen. Denn es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass wir über den Transport von Kühen dank strenger Gesetze zur Lebensmittelsicherheit in Europa mehr wissen, als über den Verbleib von CIA-Gefangenen.

Und lassen Sie mich abschließend sagen: Wir alle in Europa müssen unsere Anstrengungen verstärken, damit Guantanamo aufgelöst wird und endlich der Vergangenheit angehört. Das wäre doch für 2007 ein großartiger Erfolg in unserem gemeinsamen Kampf für die Menschenrechte.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde von amnesty international,

ich sage Freunde, weil ich die Gelegenheit heute gern nutzen möchte, um amnesty international und all seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in meiner Eigenschaft als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments herzlich Dank zu sagen. Dank nicht nur für Ihr großes Engagement, sondern vor allem dafür, dass Sie als Nichtregierungsorganisation auch und gerade gegenüber der Europäischen Union nicht locker lassen. Und da das Neue Jahr noch sehr jung ist, verbinde ich meine gute Wünsche für Sie alle persönlich mit dem speziellen Wunsch: Bleiben Sie dran, bleiben Sie unnachgiebig und fordernd.

Ja, die Menschenrechtspolitik der Europäischen Union ist volljährig geworden, wirklich erwachsen aber ist sie in der Tat noch lange nicht. Sie haben in Ihrem 10-Punkte-Programm zur deutschen Ratspräsidentschaft den Finger auf offene Wunden gelegt, und ich hoffe, Ende Juni können wir gemeinsam feststellen, dass ihr Heilungsprozess auf gutem Weg ist. Im Europäischen Parlament jedenfalls haben Sie für die Wahrung der Menschenrechte innerhalb der Europäischen Union einen guten Verbündeten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich gehöre im Europaparlament zurzeit drei verschiedenen Ausschüssen an. Gestatten Sie, dass ich ausgehend von meiner eigenen Arbeit einige ausgewählte Fragen aufgreife, die Sie in Ihren zehn Punkten angesprochen haben.

Enorm wichtig ist die Europäische Verfassung, gerade mit Blick auf Fortschritte im Menschenrechtsbereich. Stichworte sind die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta oder die in der Verfassung verankerte Pflicht der EU, dann als Rechtspersönlichkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Das Europäische Parlament hat wie keine andere EU-Institution für die Verfassung gekämpft, und es unterstützt daher die Bemühungen der deutschen Ratspräsidentschaft, den Verfassungsprozess wieder zu beleben. Als Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS halte ich persönlich, im Unterschied zu meiner eigenen Partei, nichts, aber auch gar nichts davon, den gordischen Knoten der Verfassungskrise durch einen völligen Neubeginn und eine Neuverhandlung des gesamten Textes lösen zu wollen. Dieser Weg führt, das sagen mir meine Erfahrungen als Mitglied des Grundrechtekonvents und des Verfassungskonvents, geradewegs in die Sackgasse. Komplette Neuverhandlungen würden nicht hin zu einer Verfassung führen, weder hin zur vorliegenden noch zu einer anderen, sondern letztlich nur dazu, dass der Vertrag von Nizza für lange Zeit in Beton gegossen wird. Nizza, das bedeutet Rückschritt, und genau den darf es nicht geben. Auf der Grundlage von Nizza ist die Europäische Union nicht zukunftsfähig. Verhindert werden muss ebenso, dass mit der Verfassung verbundene Fortschritte, etwa im Hinblick auf Demokratie oder Bürgerrechte, auf einer möglichen Regierungskonferenz zur Disposition gestellt werden. Nichtregierungsorganisationen, die beispielsweise im sozialen Bereich oder im Hinblick auf die Rechte von Kindern aktiv sind, sehen diese Gefahr m. E. zu Recht. Sie sollte angesichts der zurzeit auf dem Tisch liegenden unterschiedlichen Vorschläge zur Rettung der so genannten „Substanz“ der Verfassung nicht unterschätzt werden. Deshalb sollte auch nicht Kurs auf eine deutlich abgespeckte Variante des vorliegenden Textes genommen werden. Wir brauchen stattdessen viel mehr Ehrgeiz, die Lösungssuche sollte in Richtung „Verfassung plus“ gehen. In Frankreich und den Niederlanden haben viele Menschen zu Recht ein soziales Europa eingefordert. Vor allem dieses Plus brauchen wir.

Im ersten Punkt Ihres Forderungskatalogs haben Sie sich zur EU-Grundrechteagentur und zur Zusammenarbeit in Strafsachen geäußert.

Die Einrichtung der Grundrechteagentur wird vom Europäischen Parlament unterstützt. Sicher, auch bei uns gab es langwierige und sehr kontroverse Debatten über Sinn und Zweck der Agentur oder darüber, wie Überschneidungen zwischen den Tätigkeiten der Agentur und denen des Europarats vermieden werden können. Aber aus diversen Problemen dann – wie der Bundestag oder das niederländische Parlament – den Schluss zu ziehen, die Agentur besser nicht einzurichten, das war im EP nicht mehrheitsfähig. Mir passt es ebenso wie Ihnen auch nicht, dass ausgerechnet der Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit nicht bzw. lediglich „auf freiwilliger Basis“ zu den Aufgabenbereichen der Agentur gehören soll. Geht es doch gerade hier im Zuge der Terrorismusbekämpfung mehr denn je darum, die individuellen Freiheitsrechte zu verteidigen.

Europa ist zu einem Zielgebiet des internationalen Terrorismus geworden. Dieser veränderten Situation muss die Politik zweifellos Rechnung tragen. Jede Form von Terrorismus ist ein Verbrechen, das die Grundfesten unserer Demokratie bedroht. Und diese Verbrechen müssen bekämpft und als solche geahndet werden. Die Ermittlungsbehörden der EU-Staaten müssen selbstverständlich enger zusammenarbeiten. Nur, sie müssen mit den geeigneten Mitteln vorgehen. So darf es eben nicht dazu kommen, dass etwa immer wahlloser Daten und Informationen gesammelt, verlinkt und ausgetauscht werden – bis in naher Zukunft der „gläserne Bürger“ entstanden ist. Ich bin der Auffassung, dass die Europäische Union gut daran täte, sich immer wieder aufs Neue daran zu erinnern, was Benjamin Franklin, der Vater der amerikanischen Verfassung, sagte: „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren!“ In diesem Sinne muss die Grundrechteagentur wirken. Und, ich möchte ganz generell hinzufügen und dreimal dick untersteichen: Was wir selbstverständlich brauchen, ist eine zielgerichtete Politik, die jegliche Form von Terrorismus ächtet und vor allem auf die Bekämpfung der verschiedenen Ursachen von Terrorismus gerichtet ist. Nur so wird es letztlich gelingen, ihm den Nährboden zu entziehen.

Meine Damen und Herren,

dringende Veränderungen braucht die Europäische Union im Hinblick auf die Verfahrensrechte in Strafverfahren. Es ist sehr zu unterstützen, dass sich die deutsche Ratspräsidentschaft vorgenommen hat, dieser Frage hohe politische Priorität beizumessen. Ich habe vor einigen Jahren im Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Genua miterleben müssen, dass unzählige junge Leute erst von der Polizei unglaublich brutal zusammengeschlagen wurden und sich dann hilflos und zum Teil tagelang entrechtet in italienischen Gefängnissen wieder fanden.

Das Recht auf ein faires Verfahren, das in Artikel 6 der EMRK verankert ist, hat sich damals als zu stumpfes Schwert erwiesen. Es ist überfällig, dass die EU hier handelt. Ein Szenario wie damals darf sich nirgendwo in der Union wiederholen. Und: der Auslieferungspflicht des Europäischen Haftbefehls müssen endlich klar definierte Rechte von Beschuldigten gegenüberstehen. In der EU müssen gemeinsame Mindestnormen für Strafverfahrensrechte fixiert werden. Beschuldigte müssen selbstverständlich in einer ihnen geläufigen Sprache über ihre Rechte informiert werden, selbstverständlich schriftlich. Das Recht auf einen Rechtsbeistand etwa muss ebenso gewährleistet sein wie das auf Inanspruchnahme eines Dolmetschers. Wichtige Verfahrensdokumente sind zu übersetzen. Ich bitte Sie, an der Frage der Verfahrensrechte unbedingt mit dran zu bleiben und Druck zu machen, dass die EU hier endlich vorankommt. Das Parlament fordert dies schon lange, aber wie zu hören ist, gibt es erhebliche Widerstände im Rat.

Lassen Sie mich abschließend kurz auf ein Thema eingehen, das schon sehr bald, und zwar im Februar, in Straßburg auf der Tagesordnung steht: der Abschlussbericht des CIA-Sonderausschusses.

Zum Entwurf des Abschlussberichts liegen im Ausschuss 474 Änderungsanträge vor, und von daher ist schwer vorherzusagen, welche Wertungen das Parlament letztlich im Einzelnen treffen wird. Aber, meine Damen und Herren, das Parlament hat, als erste Verdachtsmomente über so genannte außerordentliche Überstellungen der CIA von Menschen aus Europa im öffentlichen Raum standen, unverzüglich gehandelt und als Institution durch die Einsetzung des nichtständigen Ausschusses Flagge gezeigt. Es hat in Sachen CIA-Flüge, illegaler Gefangenentransporte, Verhöre, Entführungen und Folter sehr eng mit dem Europarat kooperiert. Zahlreiche NGO standen uns zur Seite. Ihr Bericht „Unterhalb des Radars“ beispielsweise war für unsere Untersuchungen ein außerordentlich wertvoller Beitrag. 130 Anhörungen fanden statt und mit 153 Personen haben Gespräche stattgefunden. Von den 29 angesprochenen ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten und Kandidatenstaaten haben 15 nicht schriftlich geantwortet, darunter leider auch Deutschland.

Für mich als Ausschussmitglied war es schon bedrückend mitzuerleben, wie zugeknöpft die politisch Verantwortlichen meines Landes zum Beispiel mit der ungeheuerlichen Entführung ihres Staatsbürgers Khaled el Masri umgehen, wie wenig Interesse offensichtlich an der Aufklärung einer solch schweren Straftat besteht. Der EP-Ausschuss hat sich im Verlaufe seiner Tätigkeit mehrfach an die Herren Steinmeier, Fritsch und Uhrlau gewandt und sie zu Anhörungen nach Brüssel eingeladen. Sie haben zwar ihre „grundsätzliche Bereitschaft“ zum Ausdruck gebracht, mit dem Ausschuss zusammenzuarbeiten. Aber Ende vergangenen Jahres gab es trotzdem eine klare Absage. Das Nichterscheinen vor dem Ausschuss des Europaparlaments wurde mit dem Verweis auf die Arbeiten des Untersuchungsausschusses des Bundestages begründet. Ich finde dies nicht nur bedauerlich, zumal die Außenminister Spaniens und Irlands der Einladung unseres Ausschusses gefolgt sind. Nein, ich hätte erwartet, dass gerade die Vertreter des Landes, das ab Januar die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, es sich nicht nehmen lassen, mit dem Europäischen Parlament konstruktiv zusammenzuarbeiten. M. E. offenbart eine solche Absage doch, dass man an Aufklärung und vor allem auch an konkreten politischen und rechtlichen Schlussfolgerungen aus den diversen Fällen außerordentlicher Überstellungen letztlich nicht interessiert ist.

Meine Damen und Herren,

gerade solch schreckliche Fälle wie die von Khaled el Masri, Murat Kurnaz oder Abu Omar zeigen uns, welch dringenden Handlungsbedarf es in Europa gibt. Es ist ein Skandal, wenn die Erfüllung von „Bündnisverpflichtungen“ auf direktem Weg zur „vertraglichen“ Verletzung von Menschenrechten führt. Deshalb muss endlich Schluss damit sein, dass die CIA im Gebiet der Europäischen Union tun und lassen kann, was sie will. Es muss endlich Schluss damit sein, dass Geheimdienste in Europa im Zuge der Terrorismusbekämpfung wie in einem rechtsfreien Raum agieren. Das illegale Verschleppen oder das Verschwindenlassen von Terrorverdächtigen darf nicht geduldet werden. Wir brauchen wirksame Instrumentarien, um dies ein für alle Mal auszuschließen. Dringend geboten sind u. a. schärfere Flugkontrollmechanismen, um die Nutzung von Luftraum und Territorium europäischer Staaten für illegale Machenschaften auszuschließen. Denn es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren, dass wir über den Transport von Kühen dank strenger Gesetze zur Lebensmittelsicherheit in Europa mehr wissen, als über den Verbleib von CIA-Gefangenen.

Und lassen Sie mich abschließend sagen: Wir alle in Europa müssen unsere Anstrengungen verstärken, damit Guantanamo aufgelöst wird und endlich der Vergangenheit angehört. Das wäre doch für 2007 ein großartiger Erfolg in unserem gemeinsamen Kampf für die Menschenrechte.