Neuverhandlungen mit ungewissem Ausgang – Leserbrief im Neuen Deutschland vom 19.01.2006

Zu „Europa – was die Linke will“ (ND vom 12.1.2007)

In einem Memorandum der Genossen Gysi und Lafontaine (ND vom 12. Januar) werden „Ecksteine“ für eine neue EU-Verfassung zur Diskussion gestellt. Jede und jeder, deren bzw. dessen Herz links schlägt, wird es als Plädoyer für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa lesen. Allerdings, eine neue EU-Verfassung für 27 kapitalistische Staaten mit 500 Millionen Menschen wird daraus nicht. Zum einen lassen dies die Kräfteverhältnisse nicht zu. Zum anderen sind zahlreiche „Ecksteine“ nicht einmal unter europäischen Linken mehrheitsfähig. So werden mehr Rechte für das Europaparlament oder eine Harmonisierung von Steuern von anderen Linksparteien abgelehnt.

Außerdem: Viele Vorschläge des Memorandums sind bereits in der Verfassung enthalten (Beispiele: EU-Mitgliedstaaten bestimmen selbst über ihre Eigentumsordnung; Gleichstellung von Mann und Frau; Vollbeschäftigung; Wahrung des Völkerrechts; Pflicht zur Erarbeitung von Leitlinien für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung). Von daher ist zu fragen, weshalb diese Fortschritte der Verfassung nicht verteidigt, sondern komplette Neuverhandlungen gefordert werden, deren Ausgang völlig ungewiss ist.

Seit klar ist, dass die Verfassungskrise nur durch eine sozialere Dimension der EU überwindbar ist, haben die Angriffe auf die Verfassung stetig zugenommen. Jüngstes Beispiel ist ein deftiger, von Bundespräsident a. D. Herzog mit gezeichneter Artikel in der „Welt am Sonntag“ (14. Januar). Darin wird vor einer „intransparenten Union“ gewarnt, die „zu viel Macht an sich ziehe“ und hierzulande die Demokratie gefährde. Im Kern aber geht es gegen die soziale Kompetenz, von der befürchtet wird, dass der EU durch die Verfassung mehr zuwachsen könne. Das verrät die Auswahl der Beispiele. Keines von ihnen bereitet Bürgern „ernste Sorgen“, wie behauptet wird, wohl aber dem Big Business – darunter zu weit gehende Richtlinien beim Umweltschutz, die EU-Diskriminierungsgesetzgebung, die zu massiv in das materielle Arbeitsrecht eingreife, oder ein EuGH-Urteil, mit dem die im Harzt-I-Paket geregelte unbeschränkte Möglichkeit zu befristeten Arbeitsverhältnissen für nichtig befunden werde.

Außerdem wird der bislang breite Konsens, dass die EU nur zukunftsfähig wird, wenn im Rat – wie in der Verfassung vorgesehen – mehr Politikbereiche von der Einstimmigkeits- in die Mehrheitsentscheidung übergehen, als „schleichende Zentralisierung“ diffamiert. Offenbar sollen die politische Integration gestoppt und den Neoliberalen das Tor für eine Freihandelszone de luxe weiter geöffnet werden. Warum im Memorandum ausgerechnet diesen Bestrebungen Vorschub geleistet wird, in dem künftig Konsensentscheidungen im Ministerrat verlangt und damit auf integrationspolitischen Rückschritt gesetzt wird, erschließt sich mir nicht. Von daher hoffe ich, dass das Memorandumsangebot zur Diskussion von der Linken auch tatsächlich genutzt wird.

Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei und Vizevorsitzende der GUE/NGL-Fraktion

( Der Beitrag erschien leicht gekürzt in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 19. Januar 2007)

Zu „Europa – was die Linke will“ (ND vom 12.1.2007)

In einem Memorandum der Genossen Gysi und Lafontaine (ND vom 12. Januar) werden „Ecksteine“ für eine neue EU-Verfassung zur Diskussion gestellt. Jede und jeder, deren bzw. dessen Herz links schlägt, wird es als Plädoyer für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa lesen. Allerdings, eine neue EU-Verfassung für 27 kapitalistische Staaten mit 500 Millionen Menschen wird daraus nicht. Zum einen lassen dies die Kräfteverhältnisse nicht zu. Zum anderen sind zahlreiche „Ecksteine“ nicht einmal unter europäischen Linken mehrheitsfähig. So werden mehr Rechte für das Europaparlament oder eine Harmonisierung von Steuern von anderen Linksparteien abgelehnt.

Außerdem: Viele Vorschläge des Memorandums sind bereits in der Verfassung enthalten (Beispiele: EU-Mitgliedstaaten bestimmen selbst über ihre Eigentumsordnung; Gleichstellung von Mann und Frau; Vollbeschäftigung; Wahrung des Völkerrechts; Pflicht zur Erarbeitung von Leitlinien für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung). Von daher ist zu fragen, weshalb diese Fortschritte der Verfassung nicht verteidigt, sondern komplette Neuverhandlungen gefordert werden, deren Ausgang völlig ungewiss ist.

Seit klar ist, dass die Verfassungskrise nur durch eine sozialere Dimension der EU überwindbar ist, haben die Angriffe auf die Verfassung stetig zugenommen. Jüngstes Beispiel ist ein deftiger, von Bundespräsident a. D. Herzog mit gezeichneter Artikel in der „Welt am Sonntag“ (14. Januar). Darin wird vor einer „intransparenten Union“ gewarnt, die „zu viel Macht an sich ziehe“ und hierzulande die Demokratie gefährde. Im Kern aber geht es gegen die soziale Kompetenz, von der befürchtet wird, dass der EU durch die Verfassung mehr zuwachsen könne. Das verrät die Auswahl der Beispiele. Keines von ihnen bereitet Bürgern „ernste Sorgen“, wie behauptet wird, wohl aber dem Big Business – darunter zu weit gehende Richtlinien beim Umweltschutz, die EU-Diskriminierungsgesetzgebung, die zu massiv in das materielle Arbeitsrecht eingreife, oder ein EuGH-Urteil, mit dem die im Harzt-I-Paket geregelte unbeschränkte Möglichkeit zu befristeten Arbeitsverhältnissen für nichtig befunden werde.

Außerdem wird der bislang breite Konsens, dass die EU nur zukunftsfähig wird, wenn im Rat – wie in der Verfassung vorgesehen – mehr Politikbereiche von der Einstimmigkeits- in die Mehrheitsentscheidung übergehen, als „schleichende Zentralisierung“ diffamiert. Offenbar sollen die politische Integration gestoppt und den Neoliberalen das Tor für eine Freihandelszone de luxe weiter geöffnet werden. Warum im Memorandum ausgerechnet diesen Bestrebungen Vorschub geleistet wird, in dem künftig Konsensentscheidungen im Ministerrat verlangt und damit auf integrationspolitischen Rückschritt gesetzt wird, erschließt sich mir nicht. Von daher hoffe ich, dass das Memorandumsangebot zur Diskussion von der Linken auch tatsächlich genutzt wird.

Sylvia-Yvonne Kaufmann, Europaabgeordnete der Linkspartei und Vizevorsitzende der GUE/NGL-Fraktion

( Der Beitrag erschien leicht gekürzt in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 19. Januar 2007)