Handels- und Wirtschaftsbziehungen EU-Ukraine

Helmuth Markov in der Plenardebatte vom 14.11.2007 in Strasbourg

Herr Präsident! Alle haben unserem Kollegen Zaleski für gedankt, das möchte ich auch tun. Sein Bericht ist im Ausschuss ohne jede Gegenstimme angenommen worden, und das zeigt, dass, wenn man sich bemüht, fraktionsübergreifend einen Bericht zu erstellen, das auch möglich ist.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen machen. In der Ukraine haben Wahlen stattgefunden. Sie waren demokratisch, sie waren fair, sie waren offen, aber ich glaube, sie haben eine große Zahl von Problemen nicht gelöst. Der jetzige Präsident hatte immer Schwierigkeiten im Umgang mit starken Ministerpräsidenten, egal, ob das Julija Tymoschenko war, die er 2005 entlassen hat, oder 2006/2007 Herr Janukowitsch.
Die Koalitionsvereinbarung, die zwischen dem Bündnis von Julija Tymoschenko und der Partei Unsere Ukraine geschlossen worden ist, ist zwar als Papier, als Basis einer möglichen neuen Regierungskonstellation vorhanden, eine Regierung ist jedoch noch immer nicht gebildet worden. Wir wissen auch nicht, wie das ausgehen wird, wobei das Datum ja schon ziemlich nahe ist. Wenn dann diese Regierung gebildet ist, hat sie meiner Ansicht nach als erstes die Aufgabe, eine Verfassungsreform vorzunehmen. Denn ohne Verfassungsreform wird es auch in Zukunft nicht ausgeschlossen sein, dass die interne Stabilität der politischen Kräfte der Ukraine nicht ausreicht, um zu bewirken, dass es nicht wieder zu Neuwahlen kommt. Umso mehr, als einige schon darüber nachdenken, bei den Präsidentschaftswahlen noch einmal Neuwahlen des Parlaments zu fordern.
Wenn Sie sich bestimmte Bereiche anschauen – zum Beispiel die Wirtschaftspolitik -, dann fällt der OECD-Bericht wirklich positiv aus. Er besagt, dass die Ukraine zwischen 2000 und 2006 ein durchschnittliches BIP-Wachstum von 8,7 % hatte. Wenn Sie aber dahinter schauen, sehen Sie, dass das Handelsdefizit enorm ist. Das Handelsdefizit der Ukraine gegenüber den GUS-Staaten liegt bei etwas über 4,5 Milliarden Euro und etwas unter 4,5 Milliarden Euro gegenüber der Europäischen Union. Das heißt, dass wirtschaftlich tatsächlich noch einiges geändert werden muss und dass dazu auch die Partnerschaftsabkommen dienen können und müssen.
Auf der anderen Seite, wenn man die Zahlen der Ukraine mit – ich nehme einmal mein eigenes Land – der Bundesrepublik Deutschland vergleicht, kann man sagen: Wunderbare Zahlen! Die Arbeitslosigkeit in der Ukraine ist geringer, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ist höher, die Sozialausgaben für Rentenversorgungen sind höher, die Ausgaben für Bildung – das, was in die Zukunft investiert wird – sind in der Ukraine proportional am BIP höher als in der Bundesrepublik Deutschland. Man kann also durchaus feststellen: Dieses Land ist absolut auf dem richtigen Weg!
Aber trotzdem gibt es natürlich – wie ich das schon in Bezug auf die Wirtschaft gesagt habe – auch auf anderen Gebieten Probleme. Russland hat klar angedeutet und gesagt, dass ab 1.1.2008 die Energiepreise um 10 % steigen werden. Das wird eine enorme Auswirkung auf die ukrainische Volkswirtschaft haben. Gegenwärtig bezahlt die Ukraine ihre Schulden mit Gaslieferungen aus ihren eigenen Erdlagerstätten an Russland zurück. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Es wird wieder zu einem politischen Streitpunkt werden, und es ist wichtig, dass die Europäische Union hier Frieden stiftend mit eingreift. Die Russen haben das Recht, ihre Preise zu erhöhen, und die Ukrainer müssen natürlich auch sehen, wie sie damit volkswirtschaftlich umgehen können.
Nehmen Sie einen weiteren Punkt: die Sozialpolitik. Alle Parteien, alle, wie sie da waren, haben während der Wahlen und den Wahlvorbereitungen eine unheimliche Erhöhung der Ausgaben für die Sozialpolitik angekündigt. Wenn Sie sich jetzt die Koalitionsvereinbarungen anschauen, die zwischen dem Block Tymoschenko und der Partei des Präsidenten getroffen wurden: Da steht von der Erhöhung der Sozialausgaben überhaupt nichts mehr drin. Und es ist im Prinzip bei den vorhandenen Staatseinnahmen auch gar nicht möglich, solche Ausgabensteigerungen wie versprochen vorzunehmen. Das heißt, dass die Entwicklung in der Ukraine nicht so schnell voranschreiten wird, wie es immer behauptet wird.
Der nächste Punkt, den ich gerne ansprechen würde, bezieht sich auf den Bereich Außenpolitik. Alle Parteien, alle, haben während der Wahlen versprochen, sich enger an die Europäische Union anzulehnen. Die Partei, die diese Anlehnung an die Europäische Union auch immer am meisten mit der Frage des Beitritts der Ukraine zur NATO verknüpft hat, hat am meisten verloren. Das war die Partei Unsere Ukraine . Und der absolute Mehrheitsanteil der Bevölkerung der Ukraine ist auch gegen einen NATO-Beitritt. Insofern bitte ich die Europäische Union, hier vorsichtig zu sein. Die Mehrheit der Bevölkerung will diesen Beitritt zur NATO nicht. Sie wollen den Beitritt zur WTO, das sagen alle Daten, die uns vorliegen.
Wenn man sich vor diesem Hintergrund darüber Gedanken macht, wie das Partnerschaftsabkommen jetzt gestaltet werden muss, dann sind es genau die Bereiche, die ich aufgezählt habe, bei denen die Ukraine noch Schwierigkeiten hat. Die Ukraine muss – und da schließe ich mich Herrn Zaleski voll und ganz an – eine europäische Beitrittsperspektive haben. Es ist für die Europäische Union gut, einen starken Partner im Osten zu haben, und es ist auch für die Ukraine gut bei ihrer generellen geostrategischen Ausrichtung.