Zur aktuellen Lage in der Ukraine

Beitrag von Helmuth Markov in der Plenardebatte in Strasbourg vom 25.04.2007

Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissar! Wenn ein Staatspräsident ein Parlament auflöst, dann muss er das selbstverständlich im Einklang mit den Regeln der Verfassung des jeweiligen Staates tun. So, wie Präsident Juschtschenko das nach Artikel 90 der ukrainischen Verfassung gemacht hat, der klar und deutlich festlegt, unter welchen Bedingungen ein Parlament aufgelöst werden kann – und das ist sein gutes Recht –, hat auch das Parlament das Recht, den Verfassungsgerichtshof anzurufen und zu sagen: „Wir sind anderer Auffassung. Dieser Artikel wird nicht entsprechend dem Verfassungstext angewandt.“ Dafür gibt es in einem demokratischen Gemeinwesen eine Gewaltenteilung, die gewährleistet, dass schlussendlich die Judikative entscheidet, wie der Text auszulegen ist. Das ist zunächst einmal keine politische Auslegung, sondern eine rechtliche.

Es ist auch das gute Recht eines jeden Abgeordneten, moralisch zu bewerten, ob es gut ist oder nicht, wenn Abgeordnete die Seiten wechseln. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass sich auch hier im Europäischen Parlament Fraktionen neu gebildet haben, Abgeordnete eine Fraktion verlassen haben und in eine andere eingetreten sind. Das ist in vielen Ländern der Europäischen Union ein ganz normaler Vorgang.

Es gibt in der Ukraine kein imperatives Mandat! Und solange es kein imperatives Mandat gibt, kann man die Abgeordneten zwar moralisch zur Verantwortung ziehen, aber nicht auf der rechtlichen Ebene.

Frau Harms, Sie haben Recht, es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen Moskau und Kiew. Bitte erinnern Sie sich daran: Der nun verstorbene Boris Jelzin hat als russischer Präsident das Parlament zusammenschießen lassen, weil es seinen Wünschen nicht nachgekommen ist! So etwas passiert in der Ukraine nicht! In der Ukraine gibt es die demokratischen Kräfte, die das verhindern werden. Das ist auch gut so!

An dieser Debatte stört mich manchmal, dass man die rivalisierenden Parteien voreilig in Schubladen steckt – das tun auch wir manchmal –, nach dem Motto: Präsident Juschtschenko ist der Partner für die Europäische Union, Ministerpräsident Janukowitsch ist der Interessensvertreter und Protégé Russlands. Natürlich sind beide unterschiedlicher Nationalität. Der eine ist Ukrainer, der andere ist Russe. Sie sind aber beide Staatsbürger der Ukraine und sie vertreten beide die Interessen dieses Landes. Dass sich die Vorstellungen, wie sie diese umsetzen wollen, unterscheiden, ist vollkommen normal. Das ist in jedem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ganz genau so.

Deswegen müssen wir meiner Meinung nach vier Dinge tun: Erstens müssen wir darum ersuchen, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichts in einem absehbaren Zeitraum zustande kommt. Zweitens sollten wir darüber nachdenken und darüber sprechen, ob wir nicht eine Abordnung in die Ukraine schicken sollten. Drittens wäre es auch möglich, alle Fraktionen der Werchowna Rada hierher einzuladen, um mit ihnen eine Debatte zu führen. Viertens könnte man auch die widerstreitenden Protagonisten einladen, am gleichen Tag hierher zu kommen, und dann eine gemeinsame Debatte führen. Wir wollen nicht, dass an einem Tag Herr Janukowitsch kommt, am nächsten Frau Tymoschenko, und am dritten Herr Juschtschenko, sondern es soll eine gemeinsame Debatte sein.

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)