Rede zur Eröffnung des 10. Internationalen WDR Europa Forums am 10. Mai 2007 in Berlin

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union,

„Europa neu denken! Die Globalisierung der Europäischen Union.“ Dieses Thema des 10. WDR Europa Forums ist brandaktuell. Warum? Die Europäische Union befindet sich zur Zeit in der vielleicht schwierigsten Phase ihrer 50jährigen Geschichte. Es geht um die alles entscheidende Frage, ob es gelingt, der Europäischen Union all jene Instrumentarien zu verleihen, die es der Politik ermöglichen, die immer rasanter voranschreitende Globalisierung Europas, die über die Wirtschaft hinaus so gut wie alle Lebensbereiche erfasst, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.

Ich meine, die Europäische Verfassung stellt die Weichen dahin. Sie begründet die Europäische Union neu, und zwar als Union gleichberechtigter Staaten sowie als Union der Bürgerinnen und Bürger, deren nationale Identität ebenso bewahrt bleibt wie ihre kulturelle Vielfalt. Die Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit, der Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte bilden das Fundament dieser Staatengemeinschaft, die – so die Verfassung – gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen will, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. All diese Werte und Grundsätze – gestern wurde hier über konkret geübte Solidarität gesprochen – sind das einigende Band, das die Europäische Union im Inneren zusammenhält und das sie nach außen attraktiv macht. Diese Werte und Grundsätze sind es, die jetzt gegen alle Widerstände verteidigt und vor allem überzeugend mit Leben erfüllt werden müssen.

Gelingen wird das jedoch nur, wenn wir uns nicht selbst etwas vormachen und der Tatsache ins Auge sehen, dass sich die Gemeinschaft in einer dramatischen Krise befindet. Ausgelöst durch ein Doppel-Nein kam sie zwar als Verfassungskrise daher, in Wirklichkeit aber handelt es sich um eine tiefe politische Sinn- und Zweckkrise. Wen schützt die Union – zuvörderst die Menschen oder die Märkte? Das ist die Kardinalfrage, die sich Bürgerinnen und Bürger stellen. Viele sehen die Union als Bedrohung oder als „bürokratischen Moloch“. Befürchtet werden weiterer Sozialabbau sowie Arbeitsplatzverlagerungen in Niedriglohnländer. Hinzu kommen diffuse Ängste vor nationalem Identitätsverlust.

Dies, meine Damen und Herren, ist aus meiner Sicht vorrangig Folge neoliberaler Politik, einer Politik, die auf Lohn-, Sozial- und Steuerdumping setzt, die Hedgefonds-Jongleure gewähren lässt, während immer mehr Menschen – auch wenn sie einen Arbeitsplatz haben – von Arbeit kaum existieren können. Die neoliberale Dominanz ist es, die die historische Rolle der Gemeinschaft als Friedens- und europäisches Einigungsprojekt verwischt. Sie zeichnet verantwortlich dafür, dass sich Nationalismus und Anti-Europa-Stimmungen in einem Ausmaß entfalten, das die politische Integration Europas ernsthaft bedroht. Entgegen jedweder Vernunft wird zudem die Illusion vermittelt, die negativen Folgen der Globalisierung könnten national besser abgewehrt werden. Aber das ist ein Irrweg.

Vor diesem Hintergrund weist die Berliner Erklärung, die Union bis 2009 auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen, in die richtige Richtung. Aber das reicht nicht. Ja, die 500 Millionen Menschen in der Union brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Sie brauchen ein Plus, das aufbauend auf den Werten und Zielen der Verfassung die soziale Dimension der Europäischen Union weiter stärkt. Das wäre ein klares Signal, um Bürgerinnen und Bürger – und zwar nicht nur in Frankreich und den Niederlanden – für Europa zurückzugewinnen. Damit könnte aber auch jenen offensiv begegnet werden, die einen entleerten Minivertrag wollen.

Mit Recht betonte Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker anlässlich der Aachener Karls-Preis-Verleihung im vergangenen Jahr (ich zitiere): „Wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten zehn Jahren, aus dieser höchst erfolgreichen wirtschaftspolitischen Konstruktion Europa, auch eine sozialpolitisch erfolgreiche Europäische Union zu machen, inklusive die Massenarbeitslosigkeit in Europa abzubauen, dann wird Europa scheitern“. Denn, so Juncker weiter: „Der Markt allein produziert keine Solidarität, weder Solidarität unter den Menschen noch Solidarität unter den Völkern“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

abschließend habe ich noch ein Anliegen, das mir am Herzen liegt: Gestern wurde das Europa Forum mit der „Ode an die Freude“ eröffnet. Aber Europaskeptiker wollen, dass in der Verfassung auf Hymne und Flagge verzichtet wird. Sie seien Ausdruck von Staatlichkeit, behaupten sie. Ich finde, das ist prähistorisches Denken. Das darf sich nicht durchsetzen. Hymne und Flagge sind unsere gemeinsamen europäischen Symbole. Sie stiften Identität und gehören in unsere gemeinsame Verfassung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union,

„Europa neu denken! Die Globalisierung der Europäischen Union.“ Dieses Thema des 10. WDR Europa Forums ist brandaktuell. Warum? Die Europäische Union befindet sich zur Zeit in der vielleicht schwierigsten Phase ihrer 50jährigen Geschichte. Es geht um die alles entscheidende Frage, ob es gelingt, der Europäischen Union all jene Instrumentarien zu verleihen, die es der Politik ermöglichen, die immer rasanter voranschreitende Globalisierung Europas, die über die Wirtschaft hinaus so gut wie alle Lebensbereiche erfasst, zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.

Ich meine, die Europäische Verfassung stellt die Weichen dahin. Sie begründet die Europäische Union neu, und zwar als Union gleichberechtigter Staaten sowie als Union der Bürgerinnen und Bürger, deren nationale Identität ebenso bewahrt bleibt wie ihre kulturelle Vielfalt. Die Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit, der Rechtstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte bilden das Fundament dieser Staatengemeinschaft, die – so die Verfassung – gemeinsam eine Gesellschaft aufbauen will, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. All diese Werte und Grundsätze – gestern wurde hier über konkret geübte Solidarität gesprochen – sind das einigende Band, das die Europäische Union im Inneren zusammenhält und das sie nach außen attraktiv macht. Diese Werte und Grundsätze sind es, die jetzt gegen alle Widerstände verteidigt und vor allem überzeugend mit Leben erfüllt werden müssen.

Gelingen wird das jedoch nur, wenn wir uns nicht selbst etwas vormachen und der Tatsache ins Auge sehen, dass sich die Gemeinschaft in einer dramatischen Krise befindet. Ausgelöst durch ein Doppel-Nein kam sie zwar als Verfassungskrise daher, in Wirklichkeit aber handelt es sich um eine tiefe politische Sinn- und Zweckkrise. Wen schützt die Union – zuvörderst die Menschen oder die Märkte? Das ist die Kardinalfrage, die sich Bürgerinnen und Bürger stellen. Viele sehen die Union als Bedrohung oder als „bürokratischen Moloch“. Befürchtet werden weiterer Sozialabbau sowie Arbeitsplatzverlagerungen in Niedriglohnländer. Hinzu kommen diffuse Ängste vor nationalem Identitätsverlust.

Dies, meine Damen und Herren, ist aus meiner Sicht vorrangig Folge neoliberaler Politik, einer Politik, die auf Lohn-, Sozial- und Steuerdumping setzt, die Hedgefonds-Jongleure gewähren lässt, während immer mehr Menschen – auch wenn sie einen Arbeitsplatz haben – von Arbeit kaum existieren können. Die neoliberale Dominanz ist es, die die historische Rolle der Gemeinschaft als Friedens- und europäisches Einigungsprojekt verwischt. Sie zeichnet verantwortlich dafür, dass sich Nationalismus und Anti-Europa-Stimmungen in einem Ausmaß entfalten, das die politische Integration Europas ernsthaft bedroht. Entgegen jedweder Vernunft wird zudem die Illusion vermittelt, die negativen Folgen der Globalisierung könnten national besser abgewehrt werden. Aber das ist ein Irrweg.

Vor diesem Hintergrund weist die Berliner Erklärung, die Union bis 2009 auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen, in die richtige Richtung. Aber das reicht nicht. Ja, die 500 Millionen Menschen in der Union brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Sie brauchen ein Plus, das aufbauend auf den Werten und Zielen der Verfassung die soziale Dimension der Europäischen Union weiter stärkt. Das wäre ein klares Signal, um Bürgerinnen und Bürger – und zwar nicht nur in Frankreich und den Niederlanden – für Europa zurückzugewinnen. Damit könnte aber auch jenen offensiv begegnet werden, die einen entleerten Minivertrag wollen.

Mit Recht betonte Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker anlässlich der Aachener Karls-Preis-Verleihung im vergangenen Jahr (ich zitiere): „Wenn wir es nicht schaffen, in den nächsten zehn Jahren, aus dieser höchst erfolgreichen wirtschaftspolitischen Konstruktion Europa, auch eine sozialpolitisch erfolgreiche Europäische Union zu machen, inklusive die Massenarbeitslosigkeit in Europa abzubauen, dann wird Europa scheitern“. Denn, so Juncker weiter: „Der Markt allein produziert keine Solidarität, weder Solidarität unter den Menschen noch Solidarität unter den Völkern“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

abschließend habe ich noch ein Anliegen, das mir am Herzen liegt: Gestern wurde das Europa Forum mit der „Ode an die Freude“ eröffnet. Aber Europaskeptiker wollen, dass in der Verfassung auf Hymne und Flagge verzichtet wird. Sie seien Ausdruck von Staatlichkeit, behaupten sie. Ich finde, das ist prähistorisches Denken. Das darf sich nicht durchsetzen. Hymne und Flagge sind unsere gemeinsamen europäischen Symbole. Sie stiften Identität und gehören in unsere gemeinsame Verfassung.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.