Warum Merkel die EU-Verfassung retten will, in Neue Rheinische Zeitung, 13. Juni 2007
Bundeskanzlerin Angela will während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einen Fahrplan vorlegen, wie der EU-Verfassungsvertrag doch noch durchgesetzt werden kann. Es gehe um die “Handlungsfähigkeit der Europäischen Union”, betonte Merkel. Der Vertrag soll bis zur nächsten Wahl zum Europaparlament im Juni 2009 in allen EU-Staaten ratifiziert werden
Dabei wird inzwischen selbst der Begriff Verfassung fallengelassen. Auf jeden Fall will man aber den Inhalt des Vertragswerks retten. Das hat im Wesentlichen zwei Gründe:
1. Der EU-Verfassungsvertrag bietet andere, für die großen Mitgliedstaaten deutlich vorteilhaftere, Entscheidungsmechanismen. Das Kerneuropakonzept würde damit de facto eingeführt.
2. Der EU-Verfassungsvertrag bietet den EU-Eliten die Möglichkeit, die Europäische Union zu einem militärisch basierten weltweiten imperialen Akteur zu machen.
EU und NATO sollen sich ergänzen
Im EU-Verfassungsvertrag sind eine ganze Reihe von Festlegungen auf eine Militarisierung der Außenpolitik der Europäischen Union enthalten. Neben der Festschreibung der “offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb” (Art. 177, 178) liegt darin die inhaltliche Kernsubstanz des Vertrags. Analytisch richtig hat das Europäische Parlament schon am 9. Dezember 2004 – im so genannten Corbett Mendez de Vigo-Bericht festgestellt: “Die meisten Fortschritte gewährt die Verfassung im spezifischen Bereich der Gemeinsamen Sicherheitspolitik.”
Neben dem berühmt-berüchtigten Artikel I-41(3), der eine Aufrüstungsverpflichtung festschreibt, (“Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.”) gibt es weitere zentrale Festschreibungen einer neuen Militärpolitik der EU: Artikel III-309 legt die so genannten Petersberg-Aufgaben, die es bisher schon gab, fest und ergänzt sie durch weitere militärische Optionen, so genannte „militärische Abrüstungsmaßnahmen“. Damit ist gemeint, dass andere Staaten mit militärischen Mitteln der EU „abgerüstet” werden sollen.
Keine Macht der Demokratie!
Außerdem enthält der EU-Verfassungsvertrag eine Regelung, dass Drittländern „bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet” Unterstützung geleistet wird. Mit dem Verfassungsvertrag soll die Rüstungsagentur auf vertragliche Beine gestellt werden.
Artikel I-41(2), der in der französischen Debatte eine wichtige Rolle gespielt hat, betont, dass die EU-Militärpolitik völlig kompatibel sein muss mit der der NATO.
Artikel III-304 besagt, dass das Europäische Parlament im Bereich der Außen- und Militärpolitik lediglich “auf dem Laufenden” gehalten werden muss. Eine Entscheidungsgewalt in Fragen der Militärpolitik hat das Europäische Parlament nicht. Artikel III-376 regelt, dass auch der Europäische Gerichtshof für den Bereich der Außen und Militärpolitik nicht zuständig sein soll. Und in Artikel I.43 findet sich eine so genannte militärische Solidaritätsklausel innerhalb der EU.
Eine Option für die EU-Eliten
Die wohl wichtigste Neuregelung des Verfassungsvertrags im Militärbereich jedoch ist die “Strukturierte Zusammenarbeit”. Diese besagt, dass einzelne Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die, “untereinander festere Verpflichtungen eingegangen sind”, militärpolitisch handeln können, während den anderen Mitgliedsstaaten nur die Chance einer so genannten konstruktiven Enthaltung bleibt. Das im Militärbereich sonst weitestgehend herrschende Einstimmigkeitsprinzip, bezieht sich im Falle der “Strukturierten Zusammenarbeit” also nur auf die Länder, die an der „Strukturierten Zusammenarbeit auch beteiligt sind.
Das ist die Festschreibung eines militärischen Kerneuropas. Es ist völlig klar, wer diese Option hauptsächlich in Anspruch nehmen wird: Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Umwege des Geldes
Der bislang geltende Nizza-Vertrag verbietet einen eigenständigen Militärhaushalt der EU. Deshalb muss bei der Finanzierung der Militäreinsätze noch vielfach getrickst werden: Dafür gibt es den so genannten ATHENA-Mechanismus; hier zahlen die EU-Mitgliedsstaaten Geld in einen Topf, aus dem dann die Einsätze z.B. in Bosnien oder im Kongo finanziert werden. Es handelt sich dabei explizit nicht um einen EU-Haushalt. Andere ESVP-Missionen werden sogar über den Entwicklungsfonds (mit)-finanziert.
Für eine neue Kampagne
Wenn Merkel von der Handlungsfähigkeit der EU spricht und den EU-Verfassungsvertrag „retten“ will, dann geht es ihr nicht zuletzt um die militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands. Dessen Dominanz – gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien – in einem militärischen Kerneuropa wird durch diesen Vertrag festgeschrieben.
Und wer den Verfassungsvertrag akzeptieren will, der akzeptiert alle genannten Regelungen der Militarisierung. Der EU-Verfassungsvertrag muss vollständig abgelehnt werden. Eine (neue) Kampagne gegen den EU-Verfassungsvertrag ist notwendig, die genau zu dem Zeitpunkt wirksam wird, wenn die deutsche Ratspräsidentschaft ihren Fahrplan präsentiert, am 27. Juni. Dabei müssen alle linken und friedensbewegten Kräfte zusammenarbeiten.