„Ich habe an einem Kapitel europäischer Geschichte mitgeschrieben.“
Interview in EU-Nachrichten Nr. 42 mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP für DIE LINKE, Mitglied des Verfassungskonvents
Wie kamen Sie zu der Arbeit im Verfassungskonvent?
Seit 1999 bin ich die Vertreterin der linken Fraktion (GUE/NGL) im konstitutionellen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Ich gehörte bereits dem ersten Konvent an, der im Jahr 2000 die Charta der Grundrechte erarbeitet hat, und wurde dann auch für den Verfassungskonvent 2002/2003 von meiner Fraktion nominiert.
Wie empfanden Sie diese Arbeit?
Die anderthalb Jahre Verfassungskonvent waren die aufregendste, arbeitsintensivste und interessanteste Zeit meiner Tätigkeit als Europapolitikerin überhaupt. Mit seinem Verfassungsentwurf hat der Konvent ein wichtiges Kapitel europäischer Geschichte geschrieben, und für mich – übrigens als einzige Frau aus Deutschland – war es eine große Ehre und Herausforderung, daran mitwirken zu dürfen.
Was war das Neue, Ungewöhnliche an der Konventsmethode?
Interview mit Sylvia-Yvonne Kaufmann, MdEP für DIE LINKE, Mitglied des Verfassungskonvents
Wie kamen Sie zu der Arbeit im Verfassungskonvent?
Seit 1999 bin ich die Vertreterin der linken Fraktion (GUE/NGL) im konstitutionellen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Ich gehörte bereits dem ersten Konvent an, der im Jahr 2000 die Charta der Grundrechte erarbeitet hat, und wurde dann auch für den Verfassungskonvent 2002/2003 von meiner Fraktion nominiert.
Wie empfanden Sie diese Arbeit?
Die anderthalb Jahre Verfassungskonvent waren die aufregendste, arbeitsintensivste und interessanteste Zeit meiner Tätigkeit als Europapolitikerin überhaupt. Mit seinem Verfassungsentwurf hat der Konvent ein wichtiges Kapitel europäischer Geschichte geschrieben, und für mich – übrigens als einzige Frau aus Deutschland – war es eine große Ehre und Herausforderung, daran mitwirken zu dürfen.
Was war das Neue, Ungewöhnliche an der Konventsmethode?
Erstmals in der europäischen Integrationsgeschichte wurde ein neuer Europavertrag weder allein von den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten noch hinter verschlossenen Türen verhandelt. Im Konvent, an dem auch die damaligen Nochnicht-EU-Mitglieder Mittelosteuropas, Malta, Zypern sowie die Türkei teilnahmen, stellten die demokratisch gewählten Abgeordneten der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments die Mehrheit. Das Wichtigste aber war die Öffentlichkeit der Beratungen. Alle Dokumente wurden veröffentlicht, über das Internet konnten die Tagungen des Konvents verfolgt werden. Es gab einen Jugendkonvent, die Sozialpartner waren beteiligt, und Nichtregierungsorganisationen aller Couleur brachten sich mit ihren konkreten Vorschlägen in die Debatten ein. Am beeindruckendsten für mich war die enorme Vielfalt der Ideen und Meinungen, und vor allem: die einen wollten mehr Europa, und andere wiederum wollten genau das Gegenteil und setzten auf Renationalisierung. Von daher war es ein kleines Wunder, dass es im Konvent schließlich gelang, einen breiten Konsens herzustellen und, getragen von einem gemeinsamen europäischen Willen, einen Gesamtvorschlag zur Reform der EU zu unterbreiten.
Wenn Sie den Vertrag von Lissabon mit dem, was Sie erarbeitet haben, vergleichen – wie fällt dieser Vergleich aus?
Offen gesagt, da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich habe mit großem Engagement für den Verfassungsvertrag gestritten, denn er war das fortschrittlichste Vertragsdokument, das je auf dem Tisch der EU lag. 18 Staaten hatten diesen Text unterstützt, aber durch das Nein in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden konnte er nicht in Kraft treten. Von daher bin ich froh, dass es dank großer Kraftanstrengungen vieler Akteure möglich war, die Substanz des Verfassungsvertrages zu retten. Der politische Preis für die neue Einigung aller 27 Staaten ist in mancher Hinsicht allerdings bitter. Trotzdem: Verglichen mit dem Status quo, also den gegenwärtigen Verträgen, wird auch der Vertrag von Lissabon die EU deutlich voranbringen und die Integration vertiefen.
Haben Sie durchsetzen können, was Sie sich gewünscht haben?
Natürlich nicht alles, schließlich bekommt man keinen neuen Vertrag zwischen 27 Staaten, wenn man hierfür die hundertprozentige Verwirklichung der eigenen Vorstellungen zur Bedingung macht. Europa gelingt eben nur gemeinsam. Jedoch kann ich für mich durchaus auch feststellen, dass es Dutzende Artikel im neuen Vertrag gibt, die ich als Konventsmitglied mitgeschrieben habe. Besonders stolz bin ich darauf, dass das Europäische Parlament künftig ein Initiativrecht für Vertragsänderungen haben wird und dass es mit dem europäischen Bürgerbegehren in der EU künftig direkte Demokratie geben wird. Ich freue mich schon auf die aktive Einmischung der Bürgerinnen und Bürger in das europäische Gesetzgebungsgeschehen!
Der Vertrag umfasst fast 300 Seiten und ist schwer lesbar. Wird die EU damit wirklich verständlicher für die Bürger?
Der Vertrag von Lissabon ist in der Tat leider komplizierter als der gescheiterte Verfassungsvertrag. Anderseits gibt es wohl keinen Vertrag, der ohne weiteres leicht verständlich wäre. Das ist im Europarecht letztlich nicht anders als bei Verträgen, denen man im Alltag begegnet. Wichtig ist deshalb mehr Information. Es muss wesentlich mehr getan werden, um über die EU, ihre Institutionen und Funktionsweise oder über Hintergründe und Zusammenhänge politischer Entscheidungen aufzuklären. So lassen sich im Übrigen auch viele Vorurteile entkräften.
Das Interview erschien in EU-Nachrichten Nr. 42 vom 13.12.2007, herausgegeben von der Europäischen Kommission – Vertretung in Deutschland
Der Link zur vollständigen Ausgabe der EU-Nachrichten
http://relaunch.sylvia-yvonne-kaufmann.de/_blobs/839/2007_12_13_EU-Nachrichten-42_2007-web.pdf