Rückschritte in Europa verhindern und die Europäische Union sozial und demokratisch mitgestalten!
Erklärung anlässlich der Vorstellung des Buches: „Die EU und ihre Verfassung. Linke Irrtümer und populäre Missverständnisse“
Anlässlich der Vorstellung des Buches: „Die EU und ihre Verfassung. Linke Irrtümer und populäre Missverständnisse“ (erschienen im merus verlag) erklärt die Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann:
Rückschritte in Europa verhindern und die Europäische Union sozial und demokratisch mitgestalten!
Faszinierend ist, was der Franzose Victor Hugo bereits 1849 prophezeite: „Ein Tag wird kommen, wo alle Nationen dieses Kontinents ohne ihre besonderen Eigenheiten oder ihre ruhmreiche Individualität einzubüßen, sich eng zu einer höheren Gemeinschaft zusammenschließen und die große europäische Bruderschaft begründen werden. Ein Tag wird kommen, wo es keine anderen Schlachtfelder mehr geben wird als die Märkte, die sich dem Handel öffnen und der Geist, der sich den Ideen öffnet. Ein Tag wird kommen, wo die Kugeln und Bomben durch Stimmzettel ersetzt werden!“ Millionen Menschen mussten in zwei Weltkriegen ihr Leben lassen, bis diese Vision in greifbare Nähe zu rücken begann.
Inzwischen ist die Gemeinschaft 50 Jahre alt. Für die Linke, die sich selbst überwiegend als proeuropäisch versteht, wird es höchste Zeit, ihr Verhältnis zur Europäischen Union zu klären. Sie kommt dabei nicht umhin, sich dem Faktum zu stellen, dass es die EU überhaupt nicht geben würde, hätten nicht Politikerinnen und Politiker aus anderen politischen Lagern über 50 Jahre hinweg Schritt für Schritt und von Vertrag zu Vertrag die europäische Einigung vorangebracht. Demgegenüber steht manchen unter den Linken Lenin näher, der vor rund 100 Jahren meinte, ein vereintes Europa unter kapitalistischen Bedingungen sei „entweder unmöglich oder reaktionär.“ Wir als Autoren sehen die historische Verantwortung der Linken jedoch vielmehr darin, die real existierende Europäische Union mitzugestalten, damit sie sozial und demokratisch wird.
In der Linken ist eine Debatte über das Europa von heute und morgen nötig. Dazu soll unser Buch beitragen. Vor allem dürfen wir nicht die Augen vor der Vielfalt der europäischen Wirklichkeit mit ihren 500 Millionen Menschen verschließen und die EU auf die Rolle eines „imperialen Machtblocks“ reduzieren. Nicht die EU ist das Problem, vielmehr ist sie Teil der Lösung. Transnationalen Konzernen muss mit transnationaler Politik begegnet werden. Wer auf Desintegration oder Renationalisierung setzt, der handelt daher verantwortungslos, denn mit einem politisch geeinten Europa kann die Globalisierung menschlich gestaltet werden. Nicht um ein imaginäres „anderes Europa“ geht es, sondern darum, diese Europäische Union voranzubringen. Erforderlich ist eine andere Politik, die Lohn-, Sozial- und Steuerdumping aktiv bekämpft. Dazu sind alle Handlungsspielräume zu nutzen. Klar ist: Ohne ein soziales Europa wird es auch kein demokratisches Europa geben. Ohne eine auch sozialpolitisch erfolgreiche EU wird das Projekt Europa scheitern.
Die neue Linkspartei, die sich am kommenden Wochenende gründet, sollte sich daher dem Thema Europa programmatisch stellen. Auf dem bevorstehenden EU-Gipfel wird voraussichtlich die Fortsetzung des europäischen Verfassungsprozesses beschlossen. Die Linke ist damit aktuell gefordert, sich hier mit überzeugenden Ideen einzubringen. Wir sollten nie vergessen, dass die Europäische Union auch heute noch ein fragiles Gebilde darstellt, das nur schwer aufzubauen ist, aber leicht einstürzen kann. Das Ziel der europäischen Einigung darf nie aufgegeben werden. Gerade jetzt erleben wir, wie nationalistische Kräfte im Windschatten des Nein aus Paris und Den Haag in alten und neuen EU-Mitgliedstaaten massiv versuchen, die vertiefte europäische Integration zu blockieren. Konkreter Ausdruck dessen sind die Infragestellung der Grundrechtecharta und die Angriffe gegen die anerkannten Symbole der EU, ihre blaue Flagge mit den zwölf Sternen sowie Beethovens „Ode an die Freunde“.
Unser Buch will mit Blick auf aktuelle europapolitische Auseinandersetzungen Aufklärung leisten. Es informiert zugleich über Hintergründe und Zusammenhänge. Irrtümern, Legenden und Mythen zur EU und ihrer Verfassung wird sachlich mit Tatsachen begegnet. Da Europa, übrigens nicht nur für Linke, sondern für viele Menschen noch immer ein „Brief mit sieben Siegeln“ ist, wollen wir einen Beitrag leisten, um diversen Gespensterdebatten über die Europäische Union und ihre Verfassung den Boden zu entziehen. Wer sich politisch erfolgreich einmischen und Europa verändern will, der kommt nicht umhin, sich den Realitäten zu stellen. Dies ist und bleibt der erste Schritt, um Visionen eine Chance zu eröffnen.
Berlin, den 11. Juni 2007