»Postkoloniale Politik unter EU-Flagge« Interview in der „jungen Welt“

Europäisches Parlament beschloß Truppenentsendung in den Tschad. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger von Raoul Wilsterer

Das Europäische Parlament in Strasbourg hat am Donnerstag mit 453 gegen 104 Stimmen beschlossen, den EU-Militäreinsatz in Tschad zu unterstützen. Warum haben Sie dagegen gestimmt?
Es handelt sich um den ersten offiziellen Kampfeinsatz der EU nach Kapitel VII der UN-Charta. Das ist der nächste Dominostein der EU-Militarisierung, der abgelehnt werden muß. Zweitens ist es ein Kampfeinsatz Frankreichs, der lediglich ein EU-Logo bekommt. Alle anderen Truppen sind kosmetisches Beiwerk. Relevante größere Truppenteile, wie die vorgesehene Nordic Battle Group der Schweden, sind zurückgezogen worden. Drittens ist die EU-Truppe nicht neutral. Es gibt Kooperationsabkommen mit dem Militär und der Polizei des Tschad, welche von Bewohnern auch für Übergriffe verantwortlich gemacht werden. Die französischen Truppen, die dort schon stationiert sind, haben Rebellen bombardiert. Nun sollen sie als neutrale EU-Truppen auftreten.

Die treibende Kraft ist Frankreich. Welche Ziele verfolgt Paris?
Der neuen französischen Regierung geht es darum, in der Region militärisch präsent zu sein, aber mit einer höheren Akzeptanz als zuvor. Es geht um die politische, aber auch die militärische Absicherung der nicht gerade demokratischen Regierungen des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, um freie Hand im Darfur-Konflikt zu haben. Es gibt ein Stationierungsabkommen, was auf langfristige Präsenz deutet, obwohl der Einsatz offiziell nur ein Jahr dauern soll.

Am wenigsten geht es um die Menschen im Tschad. Ziel ist die Aufstandsbekämpfung gegen Präsident Idriss Déby, Frankreichs Mann in dem uran- und ölreichen Land, und die Einflußnahme auf die Entwicklung in Sudan.

Der UN-Sicherheitsrat argumentiert, daß es bei dem EU-Einsatz um den Schutz der Flüchtlingslager mit Menschen aus der sudanesischen Anrainerprovinz Darfur und aus anderen Gebieten des Tschad geht.
So soll Zustimmung für den Einsatz geschaffen werden. Schließlich gibt es viel Skepsis bei Regierungen, Abgeordneten und Bevölkerungen. Das Operationsgebiet ist nach wie vor unklar. Aber offenbar ist es nicht bei den Flüchtlingslagern an der Grenze. Der Generaldirektor des EU-Militärstabs (EUMS), General David Leakey, sagte in einer informellen Sitzung im Europäischen Parlament, daß Flüchtlingsrückkehr nicht Aufgabe der EU-Truppen sei.

Zum Ende der Regenzeit, also innerhalb der nächsten Wochen, sollte mit der Stationierung der 3000 bis 4000 Soldaten begonnen werden. Platzt das Projekt wegen der Rückzieher zum Beispiel der Schweden?
Das kann durchaus sein, die französische Regierung pokert hoch. Dennoch vermute ich, daß sie den Einsatz auf jeden Fall durchführt. Paris stellt das Operation Headquarter und das Force Headquarter und die allermeisten Truppen. Hier wird postkoloniale Politik betrieben – unter EU-Flagge.

Deutschland unterstützt den Einsatz nur verbal. Wie bewerten Sie die Zurückhaltung? Vor zwei Jahren beim Kongo-Einsatz gab es weniger Scheu.
Die neue französische Regierung betreibt eine offensive Afrika-Politik, nicht nur im Rahmen der EU, sondern auch alleine. Sie ist sehr aktiv im Ringen um Einfluß auf dem afrikanischen Kontinent, wobei es auch um Rohstoffe geht. Im Gegensatz zu Frankreich hat Deutschland keine alten Kolonien, die heute noch eng mit der ehemaligen Kolonialmacht »verbunden« sind. Die BRD kann sich in bezug auf Afrika nur sehr bedingt auf geschichtliche Traditionen berufen. Natürlich will sie dabeisein, wie der Kongo-Einsatz zeigt. Aber nur, wenn sie eine relevante Rolle spielt und nicht als Appendix wie im Falle des Tschad.

Welche Auswirkung hat die neue Rivalität zwischen Paris und Berlin um die führende Rolle in Europa auf die EU-Militärpolitik?
Es gibt echte Konflikte in der EU-Kriegspolitik. Es geht darum, wer wo was zu sagen hat? Diese Konflikte treiben die Militarisierung weiter voran, weil immer neue Einsätze diskutiert werden. Für die Antikriegs- und Friedensbewegung, für Linke in der Partei Die Linke und außerhalb muß klar sein: Neokoloniale Politik, die immer kriegerischer wird, ist nie gut. Die EU als imperialer Akteur muß ernster genommen werden, und es muß politisch gegengehalten werden.