Chancen nicht vergeben

Artikel von Sylvia-Yvonne Kaufmann in Neues Deutschland vom 12. Oktober 2007

Demnächst wird die Regierungskonferenz ihre Arbeit am EU-Reformvertrag beenden. Die Staats- und Regierungschefs wollen ihn im Dezember unterzeichnen. Ob er jedoch bis zur Europawahl 2009 in Kraft treten wird, ist ungewiss, denn alle 27 EU-Staaten müssen ihn ratifizieren. Widrigenfalls bliebe bei der EU alles wie gehabt und der geltende Nizza-Vertrag die Verfassung der EU. Ihn hatte die PDS abgelehnt. Alle im Reformvertrag enthaltenen Änderungen entfielen – also auch jene, die der Linken neue Spielräume eröffnen würden, um die Europäische Union zu verändern.

Daher sollte darüber diskutiert werden, was uns der Reformvertrag bringen könnte. Deutlich gestärkt werden etwa die Rechte des Europaparlaments, der europäischen Vertretungskörperschaft der Bürgerinnen und Bürger und der einzigen europäischen Institution, in der linke Parteien europäische Politik mitgestalten können. Bedeutsam ist dies auch deshalb, weil es hier keine starre Kräftekonstellation zwischen Regierungskoalition und Opposition wie in nationalen Parlamenten gibt, sondern Mehrheiten ständig zu jedem einzelnen Sachthema neu hergestellt werden müssen. Gerade dies eröffnet vielfältige Möglichkeiten, Entscheidungen von links zu beeinflussen oder sie – wie im Fall der arbeitsplatzvernichtenden Hafendienstleistungsrichtlinie – sogar zu verhindern. Erstmals würde mit dem Europäischen Bürgerbegehren zudem direkte Demokratie in der Europapolitik eingeführt. Soziale Bewegungen erhielten so einen wirksamen Hebel, die EU mitzugestalten. Wichtig für die Linke ist, dass Europol endlich parlamentarischer Kontrolle unterworfen wäre. Bei internationalen Handelsabkommen erhielte das Parlament ein Vetorecht, was die bisherige Allmacht der Exekutive in diesem Bereich brechen würde.

Sozialpolitisch bedeutsam ist, dass der Reformvertrag eine Klausel enthalten soll, die zwingend vorschreibt, alle EU-Richtlinien auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu überprüfen – ein scharfes Schwert, wenn man es zu gebrauchen versteht. Vertragsrechtlich verankert würden zudem die Anerkennung der Vielfalt der Daseinsvorsorge und der vorrangigen Kompetenz der Mitgliedstaaten sowie wesentliche Prinzipien wie Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit und universeller Zugang. Es entstünden neue Rahmenbedingungen zur Korrektur der Politik in der Daseinsvorsorge.

Abzulehnen bleibt, dass die Entwicklung der EU zur Militärmacht weitergehen soll. Dies wäre allerdings auch ohne Reformvertrag der Fall. Aber ohne ihn gäbe es keine klare Bindung an das Völkerrecht und das Friedensgebot der UN-Charta sowie keine Stärkung der zivilen Komponenten, wozu ein Diplomatischer Dienst, die bindende Kooperation mit der OSZE, die Änderungen zur Entwicklungshilfe oder der Aufbau eines Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe gehören.

Vor Ort in der Kommune oder im eigenen Land unterstützen wir Linke Fortschritte für die Menschen. Die neuen Chancen, die der Reformvertrag bietet, sind keine „gut klingende politische Lyrik“. Klug genutzt ermöglichen sie es vielmehr, Europa sozialer und friedlicher zu machen. Wir sollten diese Chancen im Interesse der Menschen nicht vergeben.

Die Autorin ist stellv. Vorsitzende der linken Fraktion (GUE/NGL) und Mitglied des Verfassungsausschusses des EP.

Demnächst wird die Regierungskonferenz ihre Arbeit am EU-Reformvertrag beenden. Die Staats- und Regierungschefs wollen ihn im Dezember unterzeichnen. Ob er jedoch bis zur Europawahl 2009 in Kraft treten wird, ist ungewiss, denn alle 27 EU-Staaten müssen ihn ratifizieren. Widrigenfalls bliebe bei der EU alles wie gehabt und der geltende Nizza-Vertrag die Verfassung der EU. Ihn hatte die PDS abgelehnt. Alle im Reformvertrag enthaltenen Änderungen entfielen – also auch jene, die der Linken neue Spielräume eröffnen würden, um die Europäische Union zu verändern.

Daher sollte darüber diskutiert werden, was uns der Reformvertrag bringen könnte. Deutlich gestärkt werden etwa die Rechte des Europaparlaments, der europäischen Vertretungskörperschaft der Bürgerinnen und Bürger und der einzigen europäischen Institution, in der linke Parteien europäische Politik mitgestalten können. Bedeutsam ist dies auch deshalb, weil es hier keine starre Kräftekonstellation zwischen Regierungskoalition und Opposition wie in nationalen Parlamenten gibt, sondern Mehrheiten ständig zu jedem einzelnen Sachthema neu hergestellt werden müssen. Gerade dies eröffnet vielfältige Möglichkeiten, Entscheidungen von links zu beeinflussen oder sie – wie im Fall der arbeitsplatzvernichtenden Hafendienstleistungsrichtlinie – sogar zu verhindern. Erstmals würde mit dem Europäischen Bürgerbegehren zudem direkte Demokratie in der Europapolitik eingeführt. Soziale Bewegungen erhielten so einen wirksamen Hebel, die EU mitzugestalten. Wichtig für die Linke ist, dass Europol endlich parlamentarischer Kontrolle unterworfen wäre. Bei internationalen Handelsabkommen erhielte das Parlament ein Vetorecht, was die bisherige Allmacht der Exekutive in diesem Bereich brechen würde.

Sozialpolitisch bedeutsam ist, dass der Reformvertrag eine Klausel enthalten soll, die zwingend vorschreibt, alle EU-Richtlinien auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu überprüfen – ein scharfes Schwert, wenn man es zu gebrauchen versteht. Vertragsrechtlich verankert würden zudem die Anerkennung der Vielfalt der Daseinsvorsorge und der vorrangigen Kompetenz der Mitgliedstaaten sowie wesentliche Prinzipien wie Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit und universeller Zugang. Es entstünden neue Rahmenbedingungen zur Korrektur der Politik in der Daseinsvorsorge.

Abzulehnen bleibt, dass die Entwicklung der EU zur Militärmacht weitergehen soll. Dies wäre allerdings auch ohne Reformvertrag der Fall. Aber ohne ihn gäbe es keine klare Bindung an das Völkerrecht und das Friedensgebot der UN-Charta sowie keine Stärkung der zivilen Komponenten, wozu ein Diplomatischer Dienst, die bindende Kooperation mit der OSZE, die Änderungen zur Entwicklungshilfe oder der Aufbau eines Freiwilligenkorps für humanitäre Hilfe gehören.

Vor Ort in der Kommune oder im eigenen Land unterstützen wir Linke Fortschritte für die Menschen. Die neuen Chancen, die der Reformvertrag bietet, sind keine „gut klingende politische Lyrik“. Klug genutzt ermöglichen sie es vielmehr, Europa sozialer und friedlicher zu machen. Wir sollten diese Chancen im Interesse der Menschen nicht vergeben.

Die Autorin ist stellv. Vorsitzende der linken Fraktion (GUE/NGL) und Mitglied des Verfassungsausschusses des EP.

Erschienen in der Rubrik „Brüsseler Spitzen“ in Neues Deutschland am 12. Oktober 2007