„Terrorismus ist etwas ganz anderes“; Interview Deutschlandradio, 10 Mai 2007 Linker EU-Parlamentarier kritisiert Polizeieinsatz gegen G8-Gegner

Moderation: Friedbert Meurer

Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Linkspartei, hält das Vorgehen der Polizei gegen linke Gruppen einen Monat vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm für überzogen. „Mit der Terrorismuskeule“ sollen seiner Ansicht nach „ganz bewusst linke Strukturen kriminalisiert werden“. Das sei Eskalation. „Und wir alle brauchen im Moment Deeskalation“, sagte Pflüger.

Friedbert Meurer: Einen Termin haben sich die Sicherheitsbehörden in Deutschland schon lange ganz rot im Kalender angekreuzt: den Termin 6. bis 8. Juni 2007. Dann findet nämlich in Heiligendamm an der Ostsee der Weltwirtschaftsgipfel statt. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, ist ja im Moment Ratspräsidentin der G8-Staaten und sie wird damit somit die Gastgeberin sein. Gegen den Gipfel wird es viele Demonstrationen geben, die meisten friedlich. Aber schon jetzt zeichnet sich auch ab, dass es Krawalle geben wird. Die Polizei befürchtet Brandanschläge. Eine ganze Reihe hat es schon gegeben. Militante Gruppen seien deswegen, so der Vorwurf, als terroristische Vereinigungen zu betrachten.

Die Polizeirazzien gegen militante Gegner des G8-Treffens haben also ein unterschiedliches Echo hervorgerufen. Die einen halten sie für notwendig. Man müsse eben die Gäste schützen, die nach Deutschland kommen. Die anderen sagen, das war eine übertriebene Aktion. Zu diesen anderen gehört Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Linkspartei, und er ist auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Organisation Attac. Guten Tag, Herr Pflüger!

Tobias Pflüger: Guten Tag, hallo!

Meurer: Sie haben eine Erklärung herausgegeben. Da schreiben Sie – Zitat: „Ich solidarisiere mich mit der von den jüngsten Repressionen betroffenen Initiative.“ Zählen Sie dazu auch die beiden Hauptgruppen „Militante Gruppe“ und „Militante Kampagne“, die ja schon Anschläge begangen haben sollen?

Pflüger: Die Vorwürfe, die im Moment gerade laufen, sind weitestgehend Konstruktionen. Wir haben ja gestern eine umfangreiche Durchsuchung erlebt, und es wurde mit dem Vorwurf von Bildung terroristischer Vereinigungen agiert. Gestern hat ja auch gleichzeitig Herr Christeleit von der Bundesanwaltschaft sehr offen formuliert, um was es ihm eigentlich geht. Er sagte nämlich, dass die Untersuchungen dazu da seien, um die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von Gruppierungen kennenzulernen, und sie dienten nicht der Verhinderung von konkreten Anschlägen. Dafür hätte es gar keine Anhaltspunkte gegeben. Genau das ist der Fall.

Meurer: Aber es gibt doch Anhaltspunkte. Es hat ja schon faktisch Anschläge gegeben zum Beispiel auf den Finanzstaatssekretär Thomas Mirow in Hamburg.

Pflüger: Da gab es einen „Anschlag“ – in Anführungszeichen – auf sein Auto. Ich denke, wir müssen hier sehr genau mit dem gesamten Sachverhalt umgehen, ob Personen angegriffen werden, was völlig inakzeptabel ist, oder ob das passiert, was in Hamburg passiert ist, was überhaupt nicht das ist, was ich befürworte, oder ob hier terroristische Aktionen stattfinden. Was hier passiert ist, dass mit der Terrorismuskeule ganz bewusst linke Strukturen kriminalisiert werden sollen. Die sollen eingeschüchtert werden, und es soll vor allem die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel quasi verhindert werden.

Ich denke, wir sollten noch mal darauf hinweisen, wer sich eigentlich in Heiligendamm trifft. Wer sind eigentlich diese G8? Ich erinnere immer wieder daran: Das sind diejenigen, die für die Kriege verantwortlich sind, die derzeit laufen. Stichwort Afghanistan: Jetzt jüngst sind jetzt wieder 21 Zivilisten bei einem Angriff umgekommen.

Meurer: Dagegen kann man ja friedlich diskutieren.

Pflüger: Genau!

Meurer: Oder erlauben Sie auch andere Protestformen als friedliche?

Pflüger: Nein, sondern ich bin jemand, der immer sagt, man darf nicht in die so genannte Gewaltfalle des Staates reinlaufen, weil ja bewusst gewartet wird und auch provoziert wird, dass es irgendwelche gewalttätigen Reaktionen auf diese gewalttätige Politik der Regierenden gibt.
Meurer: Welches Interesse hat die Polizei zu provozieren?

Pflüger: Sie will den Widerstand und den Protest gegen den G8-Gipfel diskreditieren und betreibt im Moment auch so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung, weil man einfach im Moment sagt, hier gibt es quasi terroristische Aktionen. Man muss sich das noch mal vorstellen: Terrorismus ist etwas ganz anderes. Was hier stattfindet ist, dass verschiedenste Gruppen mobilisieren gegen den G8-Gipfel. Mein Appell ist immer, dass man das so macht, dass man nicht in die Gewaltfalle des Staates reinläuft, das heißt selbstverständlich nicht irgendwelche Anschläge oder sonst etwas macht. Aber was hier bewusst passiert, ist, dass man zum Beispiel auch von den inhaltlichen Debatten, was eigentlich G8 ist und wer sich da trifft, ablenken will und darauf hinweisen will, das sind ja im Grunde genommen kriminelle Terroristen, die sich da treffen und dagegen mobilisieren. Das ist mitnichten der Fall.
Meurer: Nun hat die Polizei die Aufgabe, Herr Pflüger, dafür zu sorgen, dass es keine Anschläge, keine Gewalt gibt im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel. Würden Sie denn der Polizei empfehlen, auf solche Aktionen zu verzichten?
Pflüger: Ich würde der Polizei empfehlen, auf solche Aktionen, wie sie jetzt gelaufen, sind zu verzichten, weil: Hier werden Menschen, die legitim Protest betreiben, mit der Terrorismuskeule behandelt. Wenn man Anschläge verhindern will, dann könnte man zum Beispiel auch bei den Regierungschefs mal nachfragen, weil: Was im Moment dort passiert ist, dass man konkret zum Beispiel in Afghanistan, dem Irak und so weiter einen unmenschlichen Krieg führt. Ich bin jemand, der immer sagt, man sollte nicht mit gewalttätigen Mitteln auf diese gewalttätige Politik der Regierenden reagieren. Was aber im Moment die Polizei macht, ist eindeutig eine Eskalation. Und wir alle brauchen im Moment Deeskalation. Wir brauchen eine politische Auseinandersetzung über das, was G8 ist.
Meurer: Sind Blockaden, Entschuldigung Herr Pfüger, gewalttätige Mittel, gegen die Sie sich aussprechen, oder nicht?
Pflüger: Nein. Blockaden sind ja, das hat ja das Bundesverfassungsgericht damals im Zusammenhang mit Muthlangen entschieden, ich erinnere mich noch sehr gut daran, selbstverständlich ein legitimes Mittel von Protest und Widerstand. Selbstverständlich sind Blockaden, gewaltfreie Blockaden selbstverständlich, möglich. Und ich hoffe, dass es tatsächlich auch entsprechend eine umfangreiche Demonstration gibt, aber auch Blockaden, und hoffe, dass die Polizei nicht von sich aus, wie ich das zum Beispiel aus dem Münchener Zusammenhang kenne, von sich aus die Gewaltspirale immer wieder beginnt.
Meurer: Dann werden Sie sich also auch an einer Blockade beteiligen und am Zaun anketten in Heiligendamm?
Pflüger: Ich werde mich an einer Blockade beteiligen. An einem Zaun anketten werde ich mich nicht. Das ist nicht mein Stil. Aber ich werde mich an den Blockaden beteiligen, die dort stattfinden, sowohl im Zusammenhang mit Rostock-Laage als auch nachher, wenn der Gipfel beginnt. Teile der Demonstrationen sind auf meine Person angemeldet. Das heißt, ich bin da durchaus jemand, der diese Form von Protest und Widerstand für richtig hält. Wir wissen vom Bundesverfassungsgericht, dass dieses das legitime Recht von Bürgerinnen und Bürgern ist. Und ich will noch mal darauf hinweisen: Wer trifft sich da eigentlich? Was machen die? Da ist es so, dass unter anderem Kriege eine ganz, ganz wesentliche Rolle spielen, und die sollten wir thematisieren.

Meurer: Da könnten manche aber auf die Idee kommen, das ist für mich Legitimation, Gewalt auszuüben gegen Leute, die Kriegstreiber sind.

Pflüger: Das sagen Sie! Ich habe mehrfach im Moment gesagt, dass genau dieses nicht von meiner Seite aus unterstützt wird. Es ist das Übliche, dass eine so genannte Gewaltdebatte geführt wird und abgelenkt wird von den Inhalten. Sie haben die Aussage auch von Seiten der so genannten Sicherheitsbehörden, dass sie genau wissen, dass der absolut überwiegendste Teil derjenigen, die da demonstrieren, dieses mit den Mitteln tun, die völlig legitim und legal sind. Was hier passiert, ist, dass man bewusst quasi jetzt Repression betreibt, damit die Leute Angst haben zu kommen, dass man den Polizeiapparat hochzieht, dass man einen Riesenzaun um Heiligendamm baut, dass man vorher schon Personenkontrollen in dieser gesamten Region macht, dass man denjenigen, die dort demonstrieren, kaum Möglichkeiten gibt, in Camps oder so etwas zu übernachten. Da findet im Moment eine Repression statt. Und wie gesagt, das ist auch selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn die Polizei so weiter agiert, dann ist es auch intern sehr, sehr schwierig, weiter immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Mittel, die wir als soziale Bewegung gegen den G8 anwenden, natürlich die sein sollten, dass wir eben nicht in die Gewaltfalle des Staates reinlaufen.

Meurer: Tobias Pflüger war das, Europaabgeordneter der Linkspartei, zu den Auseinandersetzungen und zu den Durchsuchungsaktionen der Polizei und der Bundesanwaltschaft im Vorfeld des G8-Treffens in Heiligendamm. Herr Pflüger, besten Dank und auf Wiederhören.

Pflüger: Ich danke Ihnen.

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