Fatales Forschungsprogramm – Kolumne von Tobias Pflüger in Schwäbisches Tagblatt, 7.7.2006

Das Europäische Parlament verabschiedete jüngst das so genannte 7. Forschungsrahmenprogramm (7.FRP) mit einem Gesamtvolumen von 50,8 Mrd. Euro. In diesem Forschungsprogramm wird festgelegt, für welche Bereiche die EU in den Jahren 2007 bis 2013 Forschungsgelder ausgeben will. Hier gab es im Verhältnis zum letzten Mal erhebliche Änderungen. Schon bisher wurde die sehr problematische so genannte „embryonenverbrauchende Stammzellforschung“ auf europäischer Ebene mit Forschungsgeldern gefördert. Ca. 100 – 200 Mio. Euro sollen in Zukunft jährlich in diesem Bereich ausgegeben werden – gegen meine Stimme und die vieler anderer deutscher Abgeordneter. Hier wird ein hochsensibler Lebensbereich kommerzialisiert. Auch können EU-Gelder für Forschungszwecke verwendet werden, die eigentlich in einzelnen Mitgliedstaaten verboten sind.

Nach Planungen des Europäischen Parlaments sollen bis 2013 insgesamt 1,6 Mrd. Euro und somit dreimal mehr als bislang für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Erneuerbare Energien und Energieeffizienz ausgeben. So weit so gut, könnte man/frau denken. Aber: Eine enorme Erhöhung gibt es auch bei der Atomforschung (größtenteils als Euratom-Forschung verbucht) mit ca. 4 Mrd. Euro! 20 Jahre nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl setzt somit die EU auf Atomenergie als wichtige Energieerzeugungsform. Das ist fatal! Bis heute weiß niemand, was mit dem täglich anfallenden hochradioaktiven Atommüll geschehen soll.

Neu im 7.FRP ist als eigener Haushaltstitel die so genannte Sicherheits- und Rüstungsforschung, da sind 3 Mrd. Euro veranschlagt. Hier wird die Entwicklung von Überwachungs- und Kontrolltechnologie – insbesondere zur militärischen Grenzsicherung – ebenso gefördert werden wie die militarisierte Weltraumforschung. Eingeschlossen sind insbesondere Projekte, die die Kriegsführungsfähigkeit von EU-Eingreiftruppen und den EU-Schlachtgruppen (Battle-Groups) betreffen. Zwar hatte die EU-Kommission von 2004 bis 2006 schon einen vorbereitenden Rüstungsforschungshaushalt eingestellt – damals mit 65 Millionen Euro, heute sind es sage und schreibe 3 Mrd. Euro!

Die großen Rüstungskonzerne werden bis in jede Einzelheit mitbestimmen können, wozu die Forschungsmittel verwendet werden. Es wird ein europäischer Militärisch-Industriellen Komplex aufgebaut. Dieser kann einen Erfolg nach dem anderen vermelden. Erst die Verankerung der Rüstungsagentur und der Militarisierung im EU-Verfassungsvertrag, dann der gemeinsame EU-Rüstungsmarkt und jetzt die Erhöhung der Mittel für Rüstungsforschung auf EU-Ebene. In den Chefetagen der großen Rüstungskonzerne, EADS, BAE Systems, Thales und Finmeccanica werden angesichts dieser Privatisierung öffentlicher Gelder die Sekt- und Champagnerkorken geknallt haben.

Für Rüstungs- und militarisierte Weltraumforschung soll doppelt so viel ausgegeben werden wie für die Forschungsförderung erneuerbarer Energien. Das halte ich nicht nur aus friedenspolitischen Gründen für skandalös. Rüstungstechnologie soll nach dem Vorbild der USA zur Leittechnologie in der EU werden. Dies ist ein Kriegsprogramm, das wir uns auch im Wortsinne nicht leisten können. Wir brauchen ein Umsteuern bei den EU-Forschungsausgaben: Zivil, ökologisch, zukunftsfähig.