Rede von Sylvia-Yvonne Kaufmann zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Brüssel

Die Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sagte in ihrer Rede anlässlich der Plenardebatte am 15.Dezember zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Brüssel:

Die Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS, Dr. Sylvia-Yvonne Kaufmann, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sagte in ihrer Rede anlässlich der Plenardebatte am 15.Dezember zu den Ergebnissen des Europäischen Rates in Brüssel:

„Herr Ratspräsident Vanhanen, Herr Kommissionspräsident, Präsident Borell,
heute ist die letzte Plenartagung in diesem Jahr, und deshalb möchte auch ich die Gelegenheit nutzen, Dank zu sagen. Mein Dank gilt Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Präsidentschaft und Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit. Auch persönlich möchte ich mich für unser beider gute Zusammenarbeit in den letz-ten Jahren bedanken. Mein Dank gilt insbesondere auch Generalsekretär Julian Priestley und natürlich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne de-ren unermüdliches Wirken unser Haus nicht so arbeiten könnte, wie wir es uns alle wünschen und brauchen. Ich möchte mich – auch im Namen unseres Fraktionsvorsitzenden Francis Wurtz, der heute keine Redezeit hat – dem Dank der anderen Fraktionen bei Kollegen Pöttering anschließen. Herr Wurtz, der wie Sie, Herr Pöttering, dem „Klub der 6“ angehört, also der sechs Abgeordneten, die schon seit 1979 im Europäischen Parlament für den Aufbau Eu-ropas wirkten, wird sich sicher bei der nächsten Gelegenheit persönlich an Sie wenden. Wir beide, Herr Pöttering, gehören zwei unterschiedlichen politischen Familien an, und das ist gut so. Das belebt den Meinungsstreit, und das gehört zur Demokratie. Aber wichtig war über all die Jahre, dass wir über die Fraktionsgrenzen hinweg vertrauensvoll und kollegial zusammen gearbei-tet haben. Dafür möchte ich im Namen meiner Fraktion herzlich danken.

Ihnen, Herr Ratspräsident Vanhanen, möchte ich im Namen der GUE/NGL-Fraktion für die enge und konstruktive Zusammenarbeit der finnischen Ratspräsidentschaft mit dem Parlament danken. Und zwar ungeachtet dessen, dass wir die beiden zentralen Projekte, die während der finnischen Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht wurden – die Dienstleistungsrichtlinie und REACH – so nicht unterstützen. Und Kollegen Martin Schulz möchte ich sagen, dass es aus unserer Sicht überhaupt keinen Grund gibt, hier so auf den Putz zu hauen! Weder die Dienstleistungsrichtlinie noch REACH sind „Meisterwerke“. Beide Projekte – und das ist unsere Hauptkritik – symbolisieren eben genau nicht die notwendige Abkehr von der neoliberalen Politik in Europa!

Herr Ratspräsident,
die Entscheidung des Gipfels, die Europäische Union für neue Mitglieder offen zu halten und an den Zusagen gegenüber den im Erweiterungsprozess befindlichen Ländern festzuhalten, möchte ich jedoch im Namen meiner Frak-tion ausdrücklich begrüßen. Gegenwärtig kann zwar niemand genau vorher-sagen, wann wir nach Bulgarien und Rumänien welche neuen Staaten in der Europäischen Union begrüßen können. Aber klar muss bleiben, dass alle europäischen Staaten, die mit uns die gemeinsamen Werte teilen und die die Aufnahmebedingungen, insbesondere die Kopenhagener Kriterien erfüllen, das Recht haben, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Union zu stellen.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass der geltende Vertrag von Nizza keine geeignete Grundlage für künftige Erweiterungen ist. Deshalb ist es mit Blick auf die Zukunft erforderlich, die Integrationsfähigkeit der Union zu stärken und eine wirklich umfassende und tief greifende Reform der Union der 27 auf den Weg zu bringen. Nicht nur die Beitrittskandidaten müssen sich verändern, in erster Linie muss die Union selbst ihre Hausaufgaben machen. Dazu gehört aus meiner Sicht, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft ein für alle akzeptabler Ausweg aus der Verfassungskrise gefunden werden muss.

Entscheidend aber ist, nicht nur gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Frankreichs und der Niederlande endlich unter Beweis zu stellen, dass die Phase des Nachdenkens mit Konsequenzen für eine andere Politik verbun-den ist. Werbeprospekte helfen da nicht.

Die Menschen müssen mit Europa wieder ihre ganz persönliche Zukunftsperspektive verbinden, für sich und für ihre Familien. Arbeit und soziale Sicherheit, das ist es, was sie von Europa erwarten. Menschenwürdige Arbeitsbe-dingungen, tatsächliche Chancengleichheit bei Bildung und Beruf, Schutz bei Krankheit, garantierte Mindesteinkommen – all das zählt. Das, Herr Kommissionspräsident, das wäre in der Tat ein „Europa der Ergebnisse“! Wenn aber die Union und ihre Mitgliedstaaten so weiter machen wie bisher, wenn Lohn-dumping, Sozialdumping und das grenzüberschreitende gegeneinander Ausspielen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Alltagserfahrung bleibt, dann wird Europa weiter an Zustimmung verlieren.

Genau das darf aber nicht passieren. Und deshalb, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, muss die Frage der sozialen Gerechtigkeit höchste politische Priorität haben.“