„Kein Spiel mit dem Feuer“, Kommentar in Neues Deutschland, 26.05.2006

Antifaschismus ist schon fast zu einem Unwort geworden, 61 Jahre nach der Befreiung Europas vom Faschismus. Geschichtsrevisionismus ist dagegen an vielen Orten wieder an der Tagesordnung. Einer dieser Orte ist das Europäische Parlament (EP). Die Rechten und rechtsextremen Abgeordneten sind, mit wenigen Ausnahmen, fest in die Arbeit integriert. Sie werden, soweit sie präsent sind und mitarbeiten, mit wichtigen Berichten beauftragt und bekommen etwa im Auswärtigen Ausschuss auch gerne mal vom Vorsitzenden Elmar Brok bevorzugt vor den Linken Rederecht. Rechte und rechtsextreme Abgeordneten gelten weitgehend als »normale« Parlamentarier.

Fast schlimmer als dies ist aber der ständige Schulterschluss zwischen rechten und konservativen Abgeordneten. Ein Teil der offen geschichtsrevisionistischen Initiativen stammt aus den Reihen der Konservativen, die die größte Fraktion im EP stellen. Besonders hervor tut sich dabei Vytautas Landsbergis, ehemaliges Staatsoberhaupt Litauens, der in Russland das eigentliche Übel aller Politik sieht und die Sowjetunion viel schlimmer findet als den Nationalsozialismus. In der EP-Resolution zum 60. Jahrestag der Befreiung 2005 fand sich denn auch auf Landsbergis’ Initiative hin und mit Unterstützung anderer Konservativer nicht nur eine Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus, sondern die härteste Kritik wurde an der Sowjetunion geübt. Dies nach der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und nach Auschwitz!
Dies liegt auf einer Linie mit dem, was von der EVP, der Vereinigung der konservativen Parteien der EU, schon im Februar 2004 beschlossen wurde: eine Resolution zur »Verurteilung des totalitären Kommunismus«. Auch dort wurden Kommunismus und Nationalsozialismus auf dieselbe Stufe gestellt, zugleich wurde der Kommunismus als die größere Gefahr bezeichnet, da er noch nicht endgültig überwunden sei. Mit Verweis darauf, dass der Kommunismus eine »Ideologie des Hasses« vertrete, zielte die Resolution auf eine umfassende Delegitimierung jedes linken Ansatzes. Ehemaligen Mitgliedern staatssozialistischer Parteien sollte jegliche politische Tätigkeit verboten werden.

Geschichtsrevisionismus ist wieder salonfähig geworden. Dagegen müssen wir Linken deutlich Stellung beziehen. Eine langfristige Strategie gegen Rechts erfordert nicht zuletzt eine eigenständige, emanzipatorische Kritik an der derzeitigen Politik der EU. Der Kampf gegen den alt-neuen Geschichtsrevisionismus und die Kritik an der Entwicklung der EU zu einem militärisch basierten Global Player unter deutsch-französisch-britischer Führung sowie am fortschreitenden Abbau sozialer und Grundrechts-Standards sollten um die Kritik am doppelzüngigen Umgang der politischen »Mitte« mit der extremen Rechten ergänzt werden. Das Getändel der bürgerlichen Parteien mit diesen Kreisen und deren Positionen muss als das entlarvt werden, was es ist: als Spiel mit dem Feuer.
Auf Einladung der Fraktion der GUE/NGL mit Unterstützung der FIR fand Mitte Mai eine Konferenz unter dem Titel »Antifascism in Europe« im EP statt, auf der zahlreiche Delegierte einzelstaatlicher Verbände und internationaler Komitees ehemaliger KZ-Insassen anwesend waren. Meine Hoffnung ist, dass dies ein erster Schritt gewesen sein könnte, um eine Debatte über effektive antifaschistische Gegenstrategien zu beginnen.