Mit kluger Handelspolitik Armut bekämpfen, Entwicklung und Wohlstand fördern

Zum Thema internationale Handelspolitik lagen dem Europäischen Parlament auf seiner Tagung vom 31.05./01.06.2006 mehrere Berichte vor. Während der Bericht von Helmuth Markov (GUE/NGL) sich auf Vorschläge konzentriert, wie mit Hilfe einer gerechten Handelspolitik Armut in der Welt gemindert werden kann, fordert Erika Mann (PSE) die Schaffung eines ‚transatlantischen Marktes ohne Schranken‘ bis 2015.
Die Redebeiträge von Helmuth Markov zu beiden Berichten sind hier dokumentiert:

1) Rede zur Vorstellung des Berichtes ‚Handelspolitische Maßnahmen zur Armutsbekämpfung‘

Herr Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zu allererst bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die mich bei der Erstellung dieses Berichtes zum Zusammenhang zwischen Handel und Armut unterstützt haben, insbesondere bei Frau Pribaz. Ich möchte mich ebenfalls bei den Kollegen aus meinem Ausschuss sowie dem Entwicklungs- und dem Frauenausschuss bedanken. Sie haben mit konstruktiven Änderungsanträgen und Kompromissvorschlägen dazu beigetragen, dass wir heute einen Bericht vorliegen haben, der erste Vorschläge dafür anbietet, wie Handelspolitik ausgerichtet werden kann und sollte, um einen Beitrag zur Lösung des Problems Armut zu leisten.
Ich freue mich, dass der vorliegende Text recht deutlich feststellt, dass Handel nach bestimmten Regeln ablaufen muss, um als ein sinnvolles Instrument zur Armutsbekämpfung und Wohlstandsentwicklung wirksam werden zu können. Denn Handel – ob nun auf regionaler, nationaler oder internationaler Ebene – ist kein Ziel, kein Wert für sich, sondern eben ein Instrument zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen.

In der heutigen Welt ist weder die Versorgung für alle Menschen sichergestellt, noch sind die Chancen, die Handel bietet, gerecht verteilt – nicht geographisch zwischen den Staaten oder Regionen und auch nicht zwischen den individuellen Akteuren auf dem Markt. Unter anderem aus dieser Ungleichverteilung resultiert und reproduziert sich Armut. Dies ist ein Problem, das vor allem, aber nicht nur in Entwicklungsländern existiert.

Die sprichwörtliche ‚unsichtbare Hand des Marktes‘ kann dieses Problem offensichtlich nicht einmal innerhalb eines entwickelten Wirtschaftsraums wie der Europäischen Union lösen: Je weiter sich die Politik aus der Gestaltung der Wirtschaftsordnung davonstiehlt und sie marktliberalen Kräften nach Belieben überlässt, desto weiter weg rücken die Kohäsionsziele. Umso mehr, als dabei gleichzeitig die sozialen Rechte, demokratische Teilhabe und der Schutz unserer Umwelt außer Acht gelassen und regionale wie lokale Bedingungen und Besonderheiten nicht ausreichend in Betracht gezogen werden.

Auf globaler Ebene, wo die gegebenen Entwicklungs- und Verteilungsunterschiede noch weit gravierender, grundlegender sind, stellt sich dieses noch um ein Vielfaches verschärft dar. Wird die gegenwärtige Politik der unbedingten schnellen Liberalisierung unter Druck fortgesetzt, lässt sich das Millenniumsziel – die Zahl der hungernden Menschen bis 2015 zu halbieren – nicht erreichen.

Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die geeignet sind, die friedliche, Ausgrenzung vermeidende, Wohlstand fördernde Entwicklung von Gesellschaft zu ermöglichen. Eine Politik, die Grenzen für den internationalen Markt öffnet, kann Teil davon sein.
Bislang hat sie sich dort als erfolgreich erwiesen,
wo sich Industrialisierung zunächst geschützt durch staatliche Maßnahmen vollziehen konnte,
wo bereits ein institutioneller Rahmen bestand, der die Umverteilung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reichtums regelt,
wo ein ausreichend robuster Wirtschaftssektor bestand, der flexibles Handeln erlaubt,
und wo der Staat finanziell selbständig in der Lage war, bestimmte Wirtschaftssektoren vor der Marktöffnung zu unterstützen. Eine zu hohe Auslandsverschuldung und Abhängigkeit von Krediten schränkt diese Leistungsfähig beträchtlich ein.
In Ländern, wo diese Bedingungen nicht gegeben waren, hat die beschleunigte Liberalisierung dagegen zu Deindustrialisierung, Umweltzerstörung und wachsender Abhängigkeit geführt und die Armut der Bevölkerung verschlimmert.

Ich kann hier nur auf wenige wichtige Aspekte des Berichts verweisen:

Die Chance auf eine eigenständige Entwicklung, auf Industrialisierung muss allen Ländern ebenso zugestanden werden, wie es den heutigen Industrieländern vorher zugestanden worden ist. Dazu gehört auch das Recht, selbst zu entscheiden, wann, wie weit und ob überhaupt ein Land seine Märkte für Waren und Dienstleistungen öffnen will – so ist es auch in den WTO-Regeln vorgesehen.

Seit der Unterzeichung der WTO-Übereinkommen sind die Gewinne für die Erzeuger von Roh- und Grundstoffen kontinuierlich soweit gesunken, dass sowohl im Süden als auch im Norden immer mehr kleine und mittlere Betriebe aufgegeben werden müssen. Gleichzeitig bewirken dieselben Regeln, dass in der Landwirtschaft Monokultur gefördert wird, die zwar riesige Profite für die Agrarindustrie mit sich bringt, aber verheerende Folgen für Umwelt und Beschäftigung mit sich bringt. Das ist eine Landwirtschaft, die letztlich ihre eigene Lebensgrundlage zerstört. Stattdessen müsste Politik – sowohl mit Regeln als auch mit finanzieller Unterstützung darauf hinwirken, dass die biologische Vielfalt durch nachhaltige Wirtschaftsformen erhalten bleibt.

Weiterhin ist es mehr als fraglich, ob Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge auf der Basis von rein marktwirtschaftlichen Strukturen so umfassend erbracht werden können, dass man von der Erfüllung des Grundrechtes auf ein würdevolles Leben sprechen kann. Es geht hier um so einfache aber notwendige Dinge wie den Zugang zu qualitativ hochwertiger Wasserversorgung, Gesundheit, Pflege, Bildung, Ausbildung

In den Bereichen, wo die Bedingungen für Liberalisierung von Marktsektoren gegeben sind, ist schließlich darauf zu achten, dass dabei internationale Normen zum Sozial-, Arbeits- und Umweltschutz verbindlich zum Tragen kommen.

Diese und viele weitere wichtige Punkte sind in den Ihnen vorliegenden Bericht eingeflossen. Kommission und Rat sind aufgefordert, sich die Vorschläge des Parlaments genau anzusehen und in ihrer Politikgestaltung zu berücksichtigen.

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2) Redebeitrag zum Bericht Erika Mann über die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen EU-USA

Herr/Frau Präsident, Herr Kommissar, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir als GUE/NGL-Fraktion sind für eine Verstärkung der Handelstätigkeit mit den USA, genauso wie wir die Ausweitung des Warenaustauschs mit Afrika, Südamerika oder Australien unterstützen.

ABER: Frau Mann fordert in ihrem Bericht faktisch, auch wenn der Begriff dort so nicht steht, eine Freihandelszone zwischen den USA und der EU zu errichten.

Handel darf jedoch kein Selbstzweck zur Erzielung hoher Erlösraten sein, sondern ist eines der Instrumente zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Förderung gesellschaftlicher Entwicklung und Wohlstand.

Deswegen ist zuerst zu prüfen, ob der potentielle Partner international vereinbarte Normen zum Beispiel zum Sozial-, Arbeits-, Umweltschutz, zum Schutz der Menschenrechte einhält und ob er die dafür geschaffenen Institutionen akzeptiert oder nicht.

3 Beispiele:
1. Es gibt grundlegend unterschiedliche Auffassungen z. B. zu GVOs oder hormonbehandeltem Fleisch. Die Bürger in der EU wollen das nicht, in den USA ist der Handel damit aber völlig legal.

2. Während öffentliche Dienstleistungen und umfassende Sozialschutzsysteme ein elementarer Bestandteil der politischen Kultur in der EU sind, wird das in den USA anders gesehen. Ich frage Sie: Wie sollen in einem integrierten Wirtschaftsraum solche wichtigen Interessen der Bürger der EU gewahrt bleiben?

3. Ist es wettbewerbsverzerrend oder nicht, wenn die USA das Kyoto-Protokoll nicht zeichnen? Natürlich! Denn so kann man ja zu Lasten der Umwelt billiger produzieren.

Abschließend ein weiterer wichtiger Punkt:
Vor kurzem hat das EP einen Bericht verabschiedet, der eindeutig sagt, dass die EU in alle Verträge mit Drittstaaten eine Menschenrechtsklausel aufnehmen soll. Die USA führen völkerrechtswidrige Kriege wie im Irak, erkennen den Internationalen Strafgerichtshof nicht an, halten Kriegsgefangene unter menschenverachtenden Bedingungen in rechtlich sehr in Zweifel zu ziehenden Gefängnissen unter anderem in Guantanamo fest.

Dieses Parlament macht sich absolut unglaubwürdig, wenn es ohne vorherige Erfüllung der genannten Mindeststandards den Weg zur Freihandelszone mit den USA beschreitet.