Aussprache über die aktuelle Situation im Südosten der Türkei
Rede während der Strasbourger Plenardebatte des Europäischen Parlaments
Sehr geehrter Herr Präsident,
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrter Herr Rehn,
Im Namen der GUE/NGL Fraktion und insbesondere meines Fraktionskollegen Vittorio Agnoletto möchte ich meine Erschütterung über die Auseinandersetzungen im Südosten der Türkei zum Ausdruck bringen. Seit über einer Woche erreichen uns erschreckende Bilder und Nachrichten aus einem Land, mit dem die EU im Oktober 2005 die Beitrittsverhandlungen eröffnet hat.
Der Aufnahme dieser Verhandlungen haben meine Fraktionskolleginnen und -kollegen und ich seinerzeit zugestimmt –
Die türkische Regierung hat im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der EU zwar einen Reformprozess eingeleitet, doch um die gesellschaftlichen und politischen Probleme und Konflikte der Türkei nachhaltig zu lösen ist dieser unzureichend.
Eins sollte der Türkei und uns allen diesbezüglich klar sein: Die Demokratiedefizite der Türkei waren und sind eng mit der Kurdenfrage verbunden. Solange die Türkei dieses Problem mit militärischen Mitteln, mit Repressionen gegen die Zivilbevölkerung, mit Unterdrückung von Meinungs- und Gedankenfreiheit zu lösen versucht, wird es in dem Land keinen Frieden und damit keine Grundlage für einen demokratischen Staat geben.
Der Graben, der durch die Gesellschaft geht, darf nicht noch tiefer werden, bis er unüberwindbar wird. Der türkische Staatschef Erdogan hat die Morde an Frauen und Kindern als „notwendige Interventionen“ gegen die „Werkzeuge des Terrors“ bezeichnet. Bisher verloren fünfzehn Menschen dabei ihr Leben, darunter drei Kinder von denen das jüngste gerade einmal drei Jahre alt war. Von den 278 in Diyarbakir Verhafteten sind 91 unter 18 Jahre alt.
Wenn die türkischen Sicherheitskräfte weiterhin in Diyarbakir, in Batman, in Mardin und vielen anderen kurdischen Städten auf Zivilisten schießen und die Zahl der getöteten Menschen weiter ansteigt, dann wird eben dieser Graben breiter und eine friedliche Lösung rückt weiter in die Ferne.
Die Europäische Kommission und der Rat sind jetzt aufgefordert mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln die Türkei zum Einhalt der Gewalt zu bewegen. Es muss diskutiert werden, ob die Beitrittsverhandlungen ausgesetzt werden, falls die Missachtung von demokratischen Prinzipien und Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Regierung und die türkische Armee weiter fortgesetzt werden.
Ich fordere, eine ad hoc Delegation in die Türkei zu entsenden, die mit der Aufklärung der Vorfälle betraut wird.
Ich appelliere an alle Konfliktparteien für ein sofortiges Ende der Gewalt und fordere die türkische Regierung auf, die legal gewählten Vertreter der Kurden als Verhandlungspartner zu akzeptieren und die neuerlichen Anklagen gegen sie fallen zu lassen.
Die Verwehrung von politischen und kulturellen Rechten und gesellschaftspolitischer Mitbestimmung von 20 Millionen Kurden kann und darf nicht mehr toleriert werden.